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Die Flüchtlingsgemeinden in England
im 16. Jahrhundert

(Teil 1 von 2)

Heinrich VIII.
Heinrich VIII.

schon im 15. Jahrhundert waren Wirtschaftsemigranten aus den Niederlanden und Frankreich, aber auch aus den italienischen Republiken Florenz, Genua, Venedig, dem Herzogtum Mailand, dem Königreich Neapel (Apulier, Lukaner) und dem Königreich Sizilien (Ragusa), Spanien und dem Heiligen Römischen Reich (dem heutigen Deutschland) nach England gekommen. 1550 hatte England eine Bevölkerung von drei Millionen, 1600 waren es vier Millionen, 1650 waren es 5,2 und im Jahr 1700 fünf Millionen Einwohner.
Vor allem in London, in der damals wichtigsten Hafenstadt des Königreichs Englands, lebte eine Großzahl ausländischer Handwerker und Kaufleute. Von 1600 bis 1700 vergrößerte sich London mit Westminster von 200.000 auf über 550.000 Einwohner und war damals die weltweit größte Stadt. Als Handels-und Finanzzentrum übte sie eine große Anziehungskraft auf Händler, Gewerbetreibende und Neuansiedler aus. Zur Zeit des Todes von Heinrich VIII. (1547) lebten etwa fünf bis sechstausend Ausländer in London, was fünf bis acht Prozent der Bevölkerung ausmachte.

Durch die unnachgiebige Ketzerverfolgung in den Niederlanden kamen seit etwa 1536 die ersten evangelischen Niederländer nach England, die dort niederländische Exilantengemeinden gründeten, die unter zwinglianisch-calvinistischen Einfluss gerieten.

Eduard VI.
Eduard VI.

Nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg1 (1547) und dem "Augsburger Interim"2 (30. Juni 1548) flohen immer mehr Protestanten nach England, wo die Vormundschaftsregierung des minder-jährigen protestantisch erzogenen Königs Eduards VI., Sohn Heinrichs VIII., der Reformation offen gegenüberstand.

Unter den Glaubensflüchtlingen befanden sich nicht nur calvinistische Französisch sprechende Wallonen und calvinistische Niederländisch sprechende Flamen aus den habsburgischen spanischen katholischen Niederlanden3, deutsche und französische Protestanten4, sondern auch Kaufleute, Bankiers, Handwerker, Söldner und besonders Glaubensflüchtlinge aus den katholischen Ländern Italiens.

Flandern und Wallonien im heutigen Belgien
Flandern und Wallonien im heutigen Belgien
Edward Seymour, Herzog von Somerset
Edward Seymour, Herzog von Somerset

Edward Seymour, Herzog von Somerset, unterstützte den Protestantismus und bemühte sich mit Thomas Cranmer, dem Erzbischof von Canterbury die Reformation in England durchzusetzen. Dazu lud Cranmer führende Reformatoren nach England ein, wie die Italiener Peter Martyr Vermigli, reformierter5 Theologe und Alttestamentler, und Bernardino Ochino, reformatorischer Theologe, die seinem Ruf 1547 folgten. Der polnische Johannes a Lasco, Theologe und Reformator, und der spanische Francisco de Enzinas (bekannt als Francis Dryander), Humanist und Protestant, erreichten England im Jahr 1548. Der elsässische Martin Brucer, Theologe der Reformation und Reformator, der französische Valérand Poullain, reformierter Geistlicher, und der deutsche Paul Fagius, deutscher Reformator und Hebraist folgten 1549.
Der 1539 nach Frankreich und dann in die Schweiz geflüchtete englische John Hooper, reformierter Theologe und Reformator, kehrte 1549 nach England zurück.

Thomas Cranmer
Thomas Cranmer

Cranmer wollte damit ein Beispiel geben, wie stark er die Reformation in England durchführen wollte. Seine Idee war es London in ein Aufnahmezentrum der Verbannten aus ganz Europa zu verwandeln, was die Stadt zur Hauptstadt der protestantischen Wiederbelebung in Europa gemacht hätte. Es sollten eine Reihe von ausländischen Fremdenkirchen entstehen, die den Verbannten als Zufluchtsort dienen sollten.

Die seit 1547 angekommenen Flüchtlinge begannen sich zu organisieren. Sie schlossen sich in Gemeinden zusammen und trafen sich zu Privatgottesdiensten in Privathäusern. Bereits 1548 begannen diese Ausländer sich um die Errichtung einer eigenen Kirche zu bemühen.
Auch von der Regierung wurde es als notwendig angesehen, einer Ausländergemeinde von solcher Größe eigene Gottesdienste und Sakramentsverwaltung zuzugestehen.

Im Sommer und Herbst 1548 bemühten sich die verschiedenen Reformatoren, für die Fremdengemeinden Prediger zu finden, womit sie spätestens im Frühjahr 1550 erfolgreich wurden.

 

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Quellen: Friedrich Clemens Ebrard: Die Französisch-reformierte Gemeinde in Frankfurt am Main, 1554-1904, Richard Ecklin Verlag, Frankfurt am Main, 1906;
Dr. Judith Becker: Gemeindeordnung und Kirchenzucht: Johannes a Lascos Kirchenordnung für London (1555) und die reformierte Konfessionsbildung, The University of Chicago Press, 2007;
Eberhard Gresch: Die Hugenotten: Geschichte, Glaube und Wirkung, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig, 2009;

1 Der Schmalkaldische Krieg (1546-1547) war ein Religionskrieg und wurde von 1546 bis 1547 von Kaiser Karl V. gegen den Schmalkaldischen Bund geführt.
Die protestantischen Fürsten, die sich nach dem Augsburger Reichstag von 1530 zum Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossen hatten, wurden zunehmend zu einem Machtfaktor, der die Autorität des katholischen Kaisers gefährdete. Erst nachdem Karl V. 1544 die Auseinandersetzung mit Frankreich beenden konnte, gelang es ihm, gegen den Schmalkaldischen Bund vorzugehen.
Karl schloss mit Papst Paul III. einen Bund gegen die “Ketzer“ und als der Bund sich 1546 weigerte, Vertreter zum Konzil von Trient zu entsenden, eröffnete Karl V. den Krieg mit der Verhängung der Reichsacht gegen die protestantischen Herrscher von Hessen und Sachsen.
Mit dem Sieg in der Schlacht bei Mühlberg 1547 versuchte der katholische Kaiser auch die Anerkennung des Protestantismus im Heiligen Römischen Reich zu verhindern. Die protestantischen Herrscher wurden entmachtet und durch katholische ersetzt. Die Unruhen im Reich konnte Karl V. damit aber nicht beenden und der Sieg über die Protestanten sollte nur von kurzer Dauer sein.

2 Das Augburger Interim war eine vorläufig getroffene Regelung der konfessionellen Frage im Reich nach der Niederlage der Protestanten in der Schlacht bei Mühlberg 1547 bis ein allgemeines Konzil über die Wiedereingliederung der Protestanten in die katholische Kirche endgültig entschieden hätte.
Obwohl Theologen beider Seiten mitgearbeitet hatten, trug angesichts der religiösen Überzeugung des Kaisers Karl V. das am 30. Juni 1548 in Augsburg verkündete Reichsgesetz überwiegend katholische Züge: u. a. Wiedereinführung der katholischen Messe, der Heiligenverehrung, der katholischen Sakramentslehre und die Einhaltung der katholischen Feiertage. Den Protestanten wurde nur der Laienkelch und die Priesterehe gewährt.
Das Augsburger Interim konnte nur in Süddeutschland mit Gewalt durchgesetzt werden, während es die norddeutschen Territorien ablehnten oder höchstens pro forma einführten. Mit dem Augsburger Religionsfrieden wurde das Augsburger Interim außer Kraft gesetzt.

3 Die Niederlande wurden am 19. August 1477 durch die Heirat von Maria von Burgund mit Maximilian von Habsburg ein Teil des habsburgischen Hausbesitzes. Maximilian war ab 1486 römisch-deutscher König, ab 1493 Erzherzog von Österreich und ab 1508 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs.
Bei der Teilung des habsburgischen Herrschaftsgebietes kamen die Niederlande an die spanische Linie. Diese Teilung datiert im Erbteilungsvertrag von Brüssel 1522, der das Haus Habsburg in die Österreichische und Spanische Line zerfallen ließ, und mit der das Königreich Spanien die Hoheit übernahm, wenn auch die Verwaltung durchaus geteilt wurde, da das Gebiet ja im Heiligen Römischen Reich lag.

4 Die ersten französischen Protestanten flüchteten 1550 vor der Verfolgung König Franz I. nach London, wo sie sich den den Französisch sprechenden Wallonen anschlossen.
König Franz I. regierte von 1515-1547. Bei der Reformation unterstützte er aus politischen Gründen die deutschen Protestanten, bekämpfte die Reformation aber im eigenen Land.
Nach der Bartholomäusnacht (1572) flüchteten viele Hugenotten (Benennung der französischen Calvinisten seit 1560) aus ihrer Heimat wegen der Verfolgung der katholischen Kirche (Inquisition) und schlossen sich an.
Hugenottische Zentren in England waren u. a. London, einige Orte in den Grafschaften Kent und Bedfordshire sowie Norwich.

5 reformiert: (oft auch: evangelisch-reformiert): auf die Reformation Ulrich Zwinglis und Johannes Calvins (Calvinismus) zurückgehende Kirchengemeinschaften, die hauptsächlich in der Schweiz, in Schottland, in einigen Teilen Deutschlands, in Frankreich, in Ungarn und den USA (Presbyterianer) verbreitet ist.