Bernardino Ochino

Bernardino Ochino
Bernardino Ochino

bBernardino Ochino (auch: Bernhard oder Bernardinus Ochinus) wurde 1487 in Siena als Sohn des Barbiers Domenico Tommasini geboren. Über den Ursprung des Spitznamens "Ochino" herrschen seit Jahrhunderten die verschiedensten Versionen, vielleicht wegen seinen kleinen Augen (ital.: occhio) oder weil er im Stadtviertel dell'Oca in Siena geboren wurde und andere mehr.

Nachrichten über die erste Phase seines Lebens sind knapp und unsicher: Es ist bekannt, dass er als Page beim Herrn von Siena, Pandolfo Petrucci, arbeitete und zwischen 1503 und 1504 in den Franziskanerorden ins Kloster Capriola, zwischen Amiata und Siena gelegen, eintrat. Nach ein paar Jahren verließ er den Orden, um an der Universität von Perugia Medizin zu studieren. Dort lernte er Giulio de 'Medici (der zukünftige Papst Clemens VII.) kennen. 1510 erhielt er seinen Doktortitel.

Pandolfo Petrucci
Pandolfo Petrucci

Zurück zu den Franziskanern wurde Ochino 1523 zum Vorgesetzten der Provinz Siena gewählt, die er drei Jahre später, auf dem Generalkapitel von Assisi, von den Annexions-ansprüchen der Florentiner Ordensbrüder verteidigte. Zu dieser Zeit wurde er einer der wichtigsten Mitarbeiter des General-ministers des Ordens, Paolo Pisotti, der ihn als seinen Emissär nach Venedig schickte.

1533 erhielt Michelangelo Florio den Auftrag als Prediger im Kloster Capriola zu wirken, wo er in den Bann und den Einfluss Occhinos geriet.

Eine spirituelle Krise veranlasste Occhino mit allen Mitbrèdern, darunter auch Michelangelo Florio, zu Beginn des Jahres 1534 in den neu gegründeten, strengeren Kapuzinerorden zu wechseln und wurde 1538 dessen Provinzvikar von Siena, eine Position, in die er im Juni 1541 wiedergewählt wurde.
Bald wurde Ochino einer der berühmtesten Prediger seiner Zeit. Seine Predigten beeindruckten durch Sprachgewalt: er konnte die Seelen zum Schwingen bringen und die Herzen bezwingen und das Volk verehrte ihn bald als einen lebenden Heiligen. Dazu kam ein imposantes Äußeres.

Bernardino Ochino
Bernardino Ochino

Zwischen 1534 und 1542 bereiste er zu Fuß die Halbinsel Italien. Auch die Großen und Reichen beugten sich vor dem vermeinten Mann Gottes. Trat er besuchend in ein Haus so eilten sie ihm entgegen, erwiesen ihm während seines Verbleibens die höchste Achtung und begleiteten ihn wieder beim Weggehn in frommer Demuth bis vor die Pforte. Die Theatiner, ein römisch-katholischer Männerorden, aber hegte Verdacht über den Lehrinhalt seiner Predigten.
Ochino hielt Fastenpredigten in Rom und Neapel. 1536 folgte ihm Michelangelo Florio nach Neapel, wo sich Karl V. unter den Zuhörern befand und beeindruckt die Fastenpredigt anhörte; er kam von einer Expedition aus Tunis (Tunisfeldzug von 1535) zurück und verweilte in Neapel.
Ochina stand in Florenz und Ferrara, in Bologna und Venedig, in Pisa und Lucca, Perugia und Palermo, Mantua, Modena, Mailand, Faenza und seiner Vaterstadt Siena auf der Kanzel. Die Städte rissen sich um ihn, um sein feuriges Wort zu hören, so dass Papst Clemens VII. selbst die Reihenfolge festlegen musste.

Juan de Valdés
Juan de Valdés

Die entscheidende Begegnung für seine Zukunft als Reformator hatte er aber in Neapel während seiner Fastenpredigt, die er 1536 in der Kirche des Klosters San Giovanni Maggiore hielt. Ochino begegnete in jener Zeit dem spanischen Flüchtling Juan de Valdés (auch Valdez oder Valdesso), ein reformatorisch gesinnter römisch-katholischer Theologe, Humanist und Anhänger von Erasmus von Rotterdam, der in Deutschland Martin Luthers Lehre kennen und schätzen gelernt hatte. Um ihn vor der Verfolgung in Spanien zu retten, versetzte ihn Kaiser Karl V. in das zu Spanien gehörende Königreich Neapel, wo er als Archivar am Hof des spanischen Vizekönigs Pedro Álvarez de Toledo arbeitete.
Ochino blieb tief von Valdés christozentrischen religiösen, aufgeklärten Glaubenslehre beeindruckt und allmählich erwachte Zweifel in Ochinos Geist. In dieser Zeit begann Occhino sich über die Glaubenslehren Martin Luthers und Philipp Melanchthons zu interessieren.
Um Valdés sammelte sich die Führungsspitze der italienischen Reformatoren der Zeit durch deren Begegnung Ochino die neuen Lehren der deutschen Reformation kennen und schätzen lernte.

Pietro Carnesecchi wurde  wegen Ketzerei zum Tode verurteilt und am  1. Oktober 1567 in Rom enthauptet; sein Leichnam wurde verbrannt.
Pietro Carnesecchi

Zur Führungsspitze zählten Peter Martyr Vermigli (Augustinerprior, Reformator, reformierter1 Theologe und Alttestamentler), Pietro Carnesecchi (italienischer Märtyrer der Reformation), Marcantonio Flaminio (italienischer Humanist), Giovanni Bernardino Bonifacio (italienischer Humanist), Benedetto Fontanini da Mantova (italienischer Mönch), Galeazzo Caracciolo (italienischer Protestant), Bartolomeo Spadafora (italienischer Adliger), Apollonio Merenda (italienischer Priester und Lehrer), Vittore Soranzo (katholischer Bischof), Gasparo Contarin (katholischer Kardinal), die Edelfrauen Vittoria Colonna (italienische Dichterin), Giulia Gonzaga und Caterina Cybo, Anhänger der religiösen Reformbewegung in Italien.

Ochino predigte und bekannte sich 1542 erstmals in Venedig zur Rechtfertigung allein aus Gnade und allein aus Glauben, einem Hauptthema der Reformation, offen zu dieser neuen Lehre.

Heinrich Bullinger
Heinrich Bullinger

Als er sich im Juli 1542 mit Florio in Padua aufhielt, wurde er von Papst Clemens VII. wegen Häresieverdachts nach Rom zitiert. Ochino zuerst nach Florenz, wo er sich mit seinem Ordensbruder Peter Martyr Vermigli traf. Dann floh er über Chiavenna in der Lombardei nach Zürich, wo er nur wenige Tage verweilte und mit dem dortigen führenden schweizerischen Theologen, Reformator, Schriftsteller und Nachfolger Ulrich Zwinglis, Heinrich Bullinger, in Kontakt kam.
Dann zog Ochino weiter nach Genf, wo er von Johannes Calvin, dem Begründer des Calvinismus, selbst begrüßt wurde und dort die erste reformierte Kirche italienischer Flüchtlinge (Ecclesia Peregrinorum: ausländische Kirche) in der Schweiz gründeten. Ochino wurde deren Pfarrer und verweilte drei Jahre in Genf, publizierte und heiratete eine wesentlich jüngere italienische Exulantin aus Lucca, von der er später vier Kinder bekam, was den Zorn des Papstes hervorrief. In dieser Zeit schrieb sich Ochinoin der Universität in Basel ein.

Sebastian Castellio
Sebastian Castellio

Im Sommer 1545 verlies Ochino Genf und reiste ins reformierte Basel, wo er sich mit dem französischen humanistischen Gelehrten, Philosophen und protestantischen Theologen Sebastian Castellio und mit dem humanistischen Gelehrten und evangelischen Theologen italienischer Herkunft Celio Secondo Curione anfreundete.
In der deutschen protestantischen Reichsstadt Straßburg traf Ochino sich mit dem Reformator Straßburgs und des Elsass Martin Bucer und wieder mit seinem Freund Peter Martyr Vermigli. Im Herbst 1545 predigte Ochino wieder erfolgreich in Augsburg, wo er auch einige Predigten veröffentlichte.

Nach der Niederlage in der Schlacht von Mühlberg (1547) zwischen dem von deutschen lutherischen Fürsten gebildeten Schmalkaldischen Bundes und Kaiser Karl V. (Schmalkaldischer Krieg2) forderte Kaiser Karl V., der einst in Neapel Ochinos Fastenpredigt beiwohnte, vom Rat der Freien Reichsstadt Augsburg seine Auslieferung. Heimlich verhalfen ihm die Stadtväter zur Flucht. Über Basel zog er nach Straßburg, wo er erneut mit Vermigli zusammentraf.

zur Vergößerung auf das Bild klicken
Die Reformatoren,  Öl auf Leinwand, 17. Jahrhundert
Die Reformatoren von links nach rechts (stehend): Heinrich Bullinger, Girolamo Zanchi, John Knox, Huldrych Zwingli, Peter Martir (Martyr) Vermigli, Martin Bucer, Matthew Parker, William Perkins
(sitzend): Philipp Melanchthon, Martin Luther, Jean Calvin, Theodore de Bèze (Beza) und John Wyclif
Thomas Cranmer
Thomas Cranmer

Noch 1547 wurde Ochini zusammen mit Vermigli und Bucer von Thomas Cranmer, englischer Erzbischof von Canterbury und Reformator, und Edward Seymour, Herzog von Somerset, Lord Protector seines unmündigen Neffens, König Eduard VI., nach England eingeladen.

Ochino begann in London zu predigen, um die Italiener, die sich aus Handelsinteressen oder als Flüchtlinge in der Stadt aufhielten, seelsorgerisch zu betreuen. Ochino wurde zum Domherrn von Canterbury ernannt, ohne die Verpflichtung, in dieser Stadt seinen Aufenthalt zu nehmen und erhielt aus dem Privatfond von König Eduard VI. eine Rente von 100 Mark, womit er seine wirtschaftliche Situation verbessern konnte.
Im November übergab Ochino sein Amt als Prediger der italienischen Fremdengemeinde dem Prediger und Theologen Michelangelo Florio, der am 1. November 1550 in London eingetroffen war.

mehr dazu .. Die erste italienische Fremdengemeinde in London

1553 mit der katholischen Restauration musste Ochino aus England fliehen. Er kehrte über Straßburg in die Schweiz zurück.

St. Peterkirche in Zürich um 1700
St. Peterkirche in Zürich um 1700

Am 27. Oktober 1553 erreichte er Genf, wo er 1554 seine Apologi veröffentlichte, eine Sammlung von hundert satirischen Anekdoten gegen das Papsttum, die Kardinäle, die Geistlichkeit und die Mönche, was sich in der nächsten Ausgabe steigerte. 1554 weilte er im italienischen Chiavenna, wo ihn der Reformator und reformierter Pfarrer Agostino Mainardi aufnahm, um den sich eine große evangelische Gemeinde gebildet hatte.

1555 befand sich Ochino in Basel, wo ihn eine Delegation unter der Führung des Sieneser Lelio Sozzini, italienischer Humanist, unitarischer Theologe und Begründer des Sozinianismus, erreichte, um ihm vorzuschlagen, in Zürich in der St. Peterkirche die am 12. Mai 1555 aus Locarno ausgewiesene reformierte italienische Flüchtlingsgemeinde zu betreuen. Es waren ca. 170 Personen, die sich von ihrem reformierten Bekenntnis nicht lossagen wollten und deshalb am 3. März aus ihrer Heimat, die ennetbirgische Vogtei Locarno, vertrieben wurden.


Ankunft der Flüchtlinge aus Locarno
Ankunft der Flüchtlinge aus Locarno

Ochino akzeptierte, nahm das Zürichsche Glaubenbekenntniss an und wurde zu seiner Ehre ein Freund des berühmten Heinrich Bullinger, Nachfolger von Ulrich Zwingli. Ochino verwaltete diese Gemeinde bis 1563.

Ochino war ein eigenständiger Denker, nonkonformer Schreiber und kritisierte auch Ungereimtheiten und Missstände im reformierten Genf und Zürich. Die Züricher Regierenden verlangten, dass seine Bücher vorgängig zensuriert würden, was Ochino umging und sein Buch 30 Dialoge erregte wegen des 21. Dialogs Anstoss, wo er „unorthodoxe“ Ausführungen zur Vielweiberei (Polygamie) machte ohne seinen eigenen Standpunkt preiszugeben, was ihn verdächtig machte. Zudem wurde ihm vermutlich zu Unrecht Antitrinitarismus vorgeworfen. Dies provozierte die Ausweisung des hochbetagten Ochino aus Zürich wegen Ketzerei am 2. Dezember 1563.
Vergeblich forderte seine Flüchtlingsgemeinde in Zürich einen neuen Prediger an. Die Behörden gewährten den Flüchtlingen aus Locarno keinen anderen Prediger mehr.

Mikołaj Krzysztof Radziwiłł
Mikołaj Krzysztof Radziwiłł

Der unbezwingbare Prediger, Witwer seit 1562 (seine Frau war nach einem Sturz gestorben), begab sich mit seinen vier Kindern nach Basel, wo er Professoren und Geistliche bat ihm und seinen Kindern die Erlaubnis zum Aufenthalt auszuwirken. Aber auch hier sollte er über den Geist seiner Dialoge Auskunft geben und der Rat gewährte ihm keinen Aufenthalt. So ging er nach Frankfurt am Main, wo er seine Kinder zurückließ und verbrachte den Winter 1563 in Nürnberg, wo er einen handgeschriebenen entschuldigenden Dialog gegen die Vorwürfe seiner Kritiker in Umlauf brachte.

Im Frühjahr 1564 zog Ochino mit seinen Kindern weiter nach Krakau in Polen, wo er dank des Schutzes von Mikołaj Krzysztof Radziwiłł (trat 1566 zum Katholizismus über), hochrangiger Funktionsträger in Polen-Litauen, den italienischen Verbannten dort predigen durfte.

Jedoch schon im Sommer 1564 unter dem Druck des Nuntius Giovanni Francesco Commendone, erließ Sigismund II. August, König von Polen, ein Ausweisungsdekret für alle ausländischen Nicht-Katholiken in Polen und Litauen, darunter auch Ochino, der ins nahe Pińczów, an der Grenze zu Mähren, weiterzog, wo drei Söhne wegen einer Pestepidenie starben. Er selbst ist von den Strapazen der Wanderschaft und vom Fieber völlig erschöpft, als er im Huse des venezianischen Anritrinitariers und Wiedertäufer Nicolò Paruto im mährischen Austerlitz (Slavkov) einen letzten Unterschlupf fand und an einem Tag irgendwann zwischen Ende 1564 und Anfang 1565 dort starb.
Nur seine älteste Tochter Aurelia überlebt ihn; sie starb in hohem Alter als Witwe in Genf.

 

zurück 1 weiter

Quellen: Treccani, Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 79 (2013); Iris, Unterhaltungsblatt für Freunde des Schönen und Nützlichen, Erster Band, Johann Friedrich Menner, Frankfurt am Main, 1826, S. 277 ff.;M. Anne Overell: Italian Reform and English Reformations, C.1535–c.1585, The Open University UK, Routledge, New York, 2016; Karl Benrath: Bernardino Ochino von Siena: Ein Beitrag zur Geschichte der Reformation, C.A. Schwetschke und Sohn Verlag, Braunschweig, 1892, S. 176; Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge, Dritte Section, Verlag von Johann Friedrich Gleditsch, Leipzig, 1830, 266 ff.; Patrik Mähling: Orientierung für das Leben: Kirchliche Bildung und Politik in Spätmittelalter, Reformation und Neuzeit, Lit-Verlag, Berlin, 2010, S. 146 ff.

1 reformiert: (oft auch: evangelisch-reformiert): auf die Reformation Ulrich Zwinglis und Johannes Calvins (Calvinismus) zurückgehende Kirchengemeinschaften, die hauptsächlich in der Schweiz, in Schottland, in einigen Teilen Deutschlands, in Frankreich, in Ungarn und den USA (Presbyterianer) verbreitet ist.

2 Der Schmalkaldische Krieg (1546-1547) war ein Religionskrieg und wurde von 1546 bis 1547 von Kaiser Karl V. gegen den Schmalkaldischen Bund geführt.
Die protestantischen Fürsten, die sich nach dem Augsburger Reichstag von 1530 zum Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossen hatten, wurden zunehmend zu einem Machtfaktor, der die Autorität des katholischen Kaisers gefährdete. Erst nachdem Karl V. 1544 die Auseinandersetzung mit Frankreich beenden konnte, gelang es ihm, gegen den Schmalkaldischen Bund vorzugehen.
Karl schloss mit Papst Paul III. einen Bund gegen die “Ketzer“ und als der Bund sich 1546 weigerte, Vertreter zum Konzil von Trient zu entsenden, eröffnete Karl V. den Krieg mit der Verhängung der Reichsacht gegen die protestantischen Herrscher von Hessen und Sachsen.
Mit dem Sieg in der Schlacht bei Mühlberg 1547 versuchte der katholische Kaiser auch die Anerkennung des Protestantismus im Heiligen Römischen Reich zu verhindern. Die protestantischen Herrscher wurden entmachtet und durch katholische ersetzt. Die Unruhen im Reich konnte Karl V. damit aber nicht beenden und der Sieg über die Protestanten sollte nur von kurzer Dauer sein.

Straßburg war von 1524 bis 1681 protestantisch, als Straßburg französisch wurde. Mit der Abschaffung der katholischen Messe wurden damals Gemälde, Statuen, Reliquien, Kruzifixe und geweihte Kultobjekte aus den Kirchen geholt und teilweise zerstört. Auch für verfolgte Protestanten aus ganz Europa war Straßburg ein Zufluchtsort. Glaubensflüchtlinge aus Frankreich wie der Reformator Johannes Calvin wurden ebenso aufgenommen wie Vertreter radikaler evangelischer Bewegungen wie die der Täufer. Die Straßburger Protestanten selbst wandten sich 1577 der lutherischen Glaubenslehre zu. Straßburg war neben Wittenberg, Zürich, Genf und Basel eines der Zentren des Protestantismus.