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Mühlhausendorf1,
eine deutsche Mutterkolonie im Schwedenbezirk

Die evangelische Mutterkolonie Mühlhausendorf (Mühlhausen, Mühl-dorf, Michailowka Mychajliwka) liegt etwa 20 km östlich von Beryslaw am Westufer des Dnepr, unmittelbar südlich von Altschwedendorf. Heute ist Mühlhausendorf ein Teil des Dorfes Smijiwka.

 

Über die Herkunft des Namens besteht Unklarheit. Zum einen wird die These vertreten, dass die Gründerfamilien den Namen des Heimatdorfes ihres Führers und Schulzen übernahmen, zum anderen wird der Name auf die vor der Gründung vorhandenen Mühle zurückgeführt.

 

Die 16 Gründerfamilien kamen bis auf eine deutsch-böhmische Familie aus Österreich und Württemberg.

Sie hatten in ihrer Heimat Zeitungsnachrichten empfangen, dass Kaiser Alexander I. im Süden seines Reiches Land an Kolonisten unter günstigen Privilegien abgebe und waren, ohne eine Partie zu bilden, auf eigenes Risiko aufgebrochen.

Grodno war ihr Sammelplatz. Dort wählten sie sich zum Führer aus ihrer eigenen Mitte den Kolonisten Karl Waser aus Mühlhausen in Württemberg.

Auswanderungsweg
Auswanderungsweg

 

Von Grodno an bekamen die Ansiedler 25 Kopeken Banko Nahrungsgelder auf die Seele und nach ihrer Ankunft in Jekaterinoslaw (heute: Dnipropetrowsk) erhielten sie zur Ansiedlung 160 Rubel Banko Vorschuss von der Krone. Die eigenen aus der alten Heimat mitgebrachten Mittel hatten sie bereits auf der Reise verzehrt.

 

Erdhöhle
Erdhütte

Bei ihrer Ankunft 1805 fanden die Siedler nur ein Windmühle mit einem kleinen Haus. Beides gehörte dem Altschwedendorfer Kolonisten Herman aus Preußen, der es auch gebaut hatte.

 

Bauholz erhielten sie von der Krone. Bis zum Aufbau der Häuser 1806 wurden die Kolonisten teils in Altschwedendorf unter-gebracht, teils mussten sie sich eigene Hütten (Erdhöhlen) bauen.

 

der Schwedenbezirk am Dnepr
der Schwedenbezirk am Dnepr

Die Kolonie befand sich an der nördlichen Seite des Flusses Dnjepr, zwischen Schlangendorf und Altschwedendorf.

Der Übergang von einem Dorf in das andere war hier fließend. Zwischen Schlangendorf und Mühlhausendorf lagen der gemeinsame Friedhof, die gemeinsame Kirche und die Pfarrwohnung.

 

In den ersten Jahren nach der Ansiedlung zeichneten sich die Kolonisten durch Trägheit, Gleichgültigkeit, Prozess- und Trunksucht aus.

Mit dem Schulwesen war es schlecht bestellt. Die Beaufsichtigung des Schulwesens in den Kolonien gehörte ab Mai 1801 zu den Pflichten der Geistlichkeit und waren vortan aus der Gemeindekasse zu unterhalten.

Da die Kolonisten die Landessprache nicht verstanden, kam es öfter vor, dass sie von den Einheimischen betrogen, belogen und bestohlen wurden.

 

Das ungewohnte Klima und Epidemien wie Malaria und Ruhr raffte viele hinweg. Beide Erkrankungen traten immer wieder epidemisch auf, wobei die Zahl der Opfer schwankte. 1808 lebten In Mühlhausendorf zehn Familien2.

 

Zieselmaus
Zieselmaus

In den Jahren 1821 bis 1824 richteten Heuschrecken, 1825 die Viehseuche, 1840 bis 1843 Erdhasen (Zieselmäuse) großen Schaden an.

Doch trotz den Schwierigkeiten und Hindernissen gelangten die Kolonisten, wenn nicht zum Wohlstand, so doch zu ungleich besseren moralischen und ökonomischen Verhältnissen.

 

am Dnepr
am Dnepr

1857 zählte Mühlhausendorf 35 Wirtschaften (149 Männer) auf 2.100 Desjatinen (2289 ha) und 3 landlose Familien (16 Männer).

In der Kolonie wechselten häufig die Siedler. Viele zogen nach der Molotschna, nach Kronau Omsk, Orenburg, Kustanei, Petropaw-lowsk, Tatarsk oder Slawgorod.

1915 wurde Mühlhausendorf (Mychajliwka) mit Schlangendorf (Smijiwka), Klosterdorf (Kostyrka) und Altschwedendorf (Staro-schwedske) im Dorf Smijiwka vereinigt.

 

1918 wurden 2.700 ha von 40 Höfen bewirtschaftet.

 

Armeeflagge der Machnowschtschina
Tod - all denejnigen, die sich der Freiheit
der Arbeitenden widersetzen

Nicht lange nach dem Abzug der deutschen Truppen im September 1918 wurde die Kolonie zuerst von der Nestor Machno angegriffen, wobei 12 Männer ums Leben kamen.

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Während der Hungersnot von 1921/22 starben 10 Einwohner den Hungerstod.

 

In den 1920er Jahren wurde die Kirche in einen Klub umgewandelt und der Glockenturm abgetragen.

 

Zur Sowjetzeit hatte die Kolonie keine eigene Schule und die Kinder besuchten die Schule in Schlangendorf.

der Schwedenbezirk am Dnepr
der Schwedenbezirk am Dnepr

Zu Hause wurde eine dem Hochdeutsch ähnelnde Mundart gesprochen.

 

1926 gründeten acht Familien aus Schlangendorf und Mühlhausen-dorf die Tochterkolonie Frieden-heim (Belajewka), die ungefähr 10 km nördlicher lag.

 

Obwohl 1933 eine absolute Spitzenernte eingebracht werden konnte, fielen der zweiten großen Hungersnot (Holodomor) 1932/33 fünf Einwohner zum Opfer.

Hungersnot
Hungersnot

 

Kulaken raus!
Kulaken raus! (Plakat aus dem Jahr 1931)

Zwischen 1930 und 1941, während der Stalinschen Säuberung, wurden 33 Ansässige als Kulaken3 verhaftet und deportiert. Allein 1937 wurden 17 Personen verhaftet.

 

Unmittelbar nach Kriegsbeginn (Juni 1941) wurden 29 Einwohner und im August 1941 weitere 26 Männer wegen Verdacht auf Kollaboration mit dem Feind (Deutschland) deportiert.

Als das Dorf am 25. August 1941 von den Deutschen erobert wurde, wurden diese als Befreier begrüßt. Alle Einwohner, ob schwedischer oder deutscher Abstammung, wurden zu Volksdeutschen4 klassifiziert.

Umsiedlung
Umsiedlung

Mit dem Rückzug der deutschen Armee im Jahr 1943 wurde die deutschstämmige Bevölkerung der Nachbardörfer zusammen mit der schwedischen (rund 6.000) als Administrativumsiedler5 eva-kuiert. Die meisten kamen nach Krotoschin im Warthegau6, wo sie letztendlich doch von der Front eingeholt, unter sowjetische Besatzung kamen und als 'Vaterlandsverräter' und 'engste Kollaborateure des Naziregimes' repatriiert7 und dort in den Osten (Sibirien, Kasachstan) deportiert wurden.

Diejenigen, die sich zu den Alliierten (Briten, US-Amerikaner) "retten" konnten und den Kriterien des Jaltabkommens vom Februar 1945 entsprachen, wurden an die Sowjetunion ausgeliefert und ohne Rücksicht auf ihre individuellen Wünsche auf den Transport in Richtung Osten geschickt (zwangsrepatriiert).

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Anmerkungen

1 Margarete Woltner: Die Gemeindeberichte von 1848 der deutschen Siedlungen am Schwarzen Meer, S. Hirzel Verlag, Leipzig, 1941;

2 Die Familiennamen und Häusernummern der Einwohner von Mühlhausendorf: Frey (1), Friedrich (6), Gilbrecht (8), Heberling (oder Häbling) (10), Lang (4), Lutzer (7), Rath (3), Schwarz (11), Schweizer (2, 9) und Tromlschläger (5).

3 Kulak = Bezeichnung für den russischen Mittel- und Großbauern aber auch eine abfällige Bezeichnung der wohlhabenden Bauern auf dem Lande. Kulak, was wörtlich übersetzt “Faust“ bedeutet (jemand, der seinen Besitz fest in den Fäusten hält), wird im Sinne von “Wucherer“ oder “Dorfkapitalist“ gebraucht. Jemanden, der kleine Bauern und seinen in Not geratenen Nachbarn um Hab und Gut gebracht hatte.
Nach der Oktoberrevolution von 1917  und im Verlauf der Kollektivierungsmaßnahmen (1929/30) unter Stalin wurde der Begriff Kulak zum Schimpfwort und auf alle angeblichen 'Ausbeuter' in der Landwirtschaft ausgedehnt und als feindliche 'Klasse' liquidiert. Auch Witwen und alte Bauern fielen unter diese Kategorie, weil sie einen Knecht oder eine Magd beschäftigten.
1919 war ein Kulak der, der zwei Häuser mit Blechdach, mehr als fünf Kühe oder Pferde oder mehr als 20 Schafe besaß. Auf dem Höhepunkt der Kollektivierung (1932) bedeutete bereits geringfügiges landwirtschaftliches Eigentum, wie zum Beispiel eine Kuh oder die Beschäftigung von Tagelöhnern oder Mägden und Knechten als Kulakentum und führte zu Zwangsmaßnahmen: Schon seit 1927 mussten sie höhere Steurn bezahlen und bekamen keine Kredite oder Geräte mehr. Viele verkleinerten ihre Anbaufläche und ihren Viehbestand, um kein 'Kulak' mehr zu sein, was dazu führte, dass bald Getreide für den Export und zur Versorgung der Städte fehlte.
Im Herbst 1929 wurde es den Kulaken verboten, in die entstehenden Kollektive einzutreten, weil man dort ihre Meinungsführerschaft fürchtete, was dann zu Enteignung und schließlich zu Deportation in menschenleere Gebiete oder in den Gulag führte. Oft wurden auch die Familienangehörigen der 'Kulaken' und sogar angebliche Kulakensöldlinge verfolgt.
Auf der Grundlage der Beschlüsse des Zentralexekutivkomitees und des Rates der Volkskommissare vom 30. Januar und 1. Februar 1930 und einer Instruktion vom 4. Februar wurden alle Kulaken in drei Kategorien eingeteilt: die Bauern der 1. Kategorie galten als 'konterrevolutionäre Elemente', die entweder gleich erschossen, oder in ein Arbeitslager der GPU (Staatssicherheitsdienst) gebracht wurden. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt und ihre Angehörigen fielen unter die Deportierten.
Die Kulaken der 2. Kategorie waren zwar weniger gefährlich, galten aber als 'fürchterliche Ausbeuter'. Sie wurden enteignet, verhaftet und mit ihren Familien in entlegene Gebiete deportiert.
Die Kulaken der 3. Kategorie galten als 'staatstreu, wurden enteignet und in unfruchtbare, unkultivierte Zonen ihrer Distrikte umgesiedelt.

4 Volksdeutsche = (bes. nationalsozialistische) Bezeichnung für die außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches und Österreichs ansässigen Personen deutscher Volks- und fremder Staatszugehörigkeit [besonders in ost- und südosteuropäischen Ländern bis zur Umsiedlung im 2. Weltkrieg (1940/1945) und der Vertreibung (1947)]. Wer in die Deutsche Volksliste aufgenommen worden ist, erhielt ein späteres Anrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit.

5 Man unterscheidet zwischen Administrativumsiedler und Vertragsumsiedler. Administrativumsiedler waren ca. 228.000 Volksdeutsche, die nach einer Anordnung der Militär- und Zivilverwaltung des Dritten Reiches in den besetzten Gebieten der UdSSR (Reichskommisariat Ukraine, rumänische Transnistrien) ohne einen zwischenstaatlichen Vertrag in den Jahren 1942-44 in den Warthegau oder ins Altreich umgesiedelt wurden. Fast alle von ihnen hatten bis Kriegsende die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen bekommen.

6 Die von 1939 bis 1945 als Warthegau oder Wartheland bezeichnete Region war vor dem Angriff Deutschlands auf Polen im September 1939 polnisches Staatsgebiet. Historisch gesehen bestand der Warthegau aus zwei Teilen, aus der westlich gelegenen ehemaligen deutschen Provinz Posen (vor 1919) und den östlich gelegenen polnischen (vor 1916 russischen) Gebieten um Lodsch. Im westlichen Teil (Provinz Posen) stellten die Deutschen zum Zeitpunkt der preußischen Volkszählung von 1910 rund 45 % der Gesamtbevölkerung.
Nachdem diese Provinz im Zuge des Versailler Vertrages 1919 von Polen annektiert wurde, sank die Anzahl der Deutschen in diesem Gebiet rapide ab, so dass diese zu Beginn des Zweiten Weltkrieges weniger als 15 Prozent der Gesamtbevölkerung dieses Gebietes stellten. Der Grund für den Rückgang des deutschen Bevölkerungsanteils nach 1919 ist im Wesentlichen in der Politik der ethnischen Homogenisierung des nationalistischen polnischen Diktators Józef Piłsudski zu sehen. Dieser versuchte den Anteil der Deutschen massiv zu reduzieren, z.B. Massenausweisungen nach Deutschland, entschädigungslose Enteignungen von zumeist adligem deutschem Großgrundbesitz und Ansiedlung polnischer Kleinbauern, Schulpolitik (ausschließlich in polnischer Sprache) und einer Vielzahl von Diskriminierungen im öffentlichen Leben.
Von 1939 – 1941 wurden 280.606 ethnische Polen und Juden, die in Gebieten des Warthegaus oder Danzig-Westpreußens wohnten, ins Generalgouvernement Polen vertrieben, um Platz für die Deutschen zu schaffen.  Nach 1940 konzentrierte sich die NS-Politik zunehmend auf die Ansiedlung deutscher Bevölkerung im Warthegau.
Hierzu wurden eine Vielzahl von Volksdeutschen (Baltendeutsche, Wolhyniendeutsche, Bessarabiendeutsche, Buchenlanddeutsche, Dobrudschadeutsche, Ukrainedeutsche) aus dem Gebiet der Sowjetunion angesiedelt und fanden dort oft in Höfen und Häusern vertriebener Polen Unterkunft.

 1. Wohnsitz auf sowjetischem Territorium am 1. September 1939
2. nach der Konferenz von Jalta (11. Februar 1945, Tag der Unterzeichnung des Jalta-Abkommens) in westalliierte Hand geraten
3. am 22. Juni 1941 oder später dienstpflichtig in der Roten Armee
4. Gefangennahme in einer deutschen Uniform
5. Nachweis für Kollaboration
Die Kriterien 1. und 2. sollten verhindern, dass Angehörige der nach 1917 emigrierten Sowjetbürger von der Zwangsrepatriierung bedroht waren. Außerdem erkannten die Amerikaner wie die Briten die Annexion der Westukraine, West-Weißrusslands, Lettlands, Litauens und Estland durch die Sowjetunion von 1939/1940 nicht an und zählte folglich die 'Kinder' all dieser Staaten nicht als sowjetische Staatsbürger.
In den Augen Stalins galten alle sowjetischen Bürger, die sich während des Zweiten Weltkriegs aus welchen Gründen auch immer zeitweise außerhalb des UdSSR aufgehalten hatten als 'Vaterlandsverräter' und 'engste Kollaborateure des Naziregimes' und sollten dementsprechend behandelt werden.
Im Rahmen der Operation Keelhaul (engl. für Kielholen) wurden zwischen 1943 und 1947 rund zweieinhalb Millionen Menschen, die aus dem Gebiet der Sowjetunion stammten, von den Briten und den US-Amerikanern dorthin zurückgeschickt. Viele dieser Menschen kamen ums Leben, durch Selbstmord oder auch durch Hinrichtungen. Andere wurden, entgegen dem Versprechen wieder in der alten Heimat angesiedelt zu werden, in 'neue Ansiedlungsgebiete', vor allem nach Sibirien unf nach Kasachstan gebracht und dort in Sondersiedlungen oder Arbeitslager (Trudarmee) eingewiesen.
Das Genfer Abkommen vom 12. August 1949 regelte die Repatriierung mit Artikel 135 (Die Kosten für die Repatriierung hat die internierende Partei zu tragen) dann völkerrechtlich.

7 Repatriierung = (lat. repatriare "ins Vaterland zurückschicken") Unter Repatriierung versteht man allgemein die völkerrechtliche Rückführung von Menschen durch den Aufenthaltsstaat und die Wiederaufnahme dieser Menschen durch den Heimatstaat. Nachdem 2. Weltkrieg kam es zu einer Repatriierungswelle von Russlanddeutschen aus Deutschland.
Gemäß den Vereinbarungen auf der Konferenz von Jalta unterzeichneten die westlichen Regierungen USA und Großbritannien am 11. Februar 1945 ein Abkommen mit der Sowjetunion, das eine Repatriierung sowjetischer Displaced Persons (DP) vorsah, die in der Obhut der Westalliierten waren. Nach dem SHAEF-Befehl sollten sie 'nach Identifizierung durch sowjetische Repatriierungsvertreter ''... ohne Rücksicht auf ihre individuellen Wünsche'' auf den Transport Richtung Osten geschickt werden.
Ein Kriterium von fünf möglichen musste dafür erfüllt werden.