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Die russische Expansion unter Alexander I.

 

Alexander I.
Alexander I.

Nach der Ermordung Pauls I. im Jahr 1801 folgte ihm sein Sohn als Alexander I. (Bruder von Katharina Pawlowna Romanowa, Königin von Württemberg) auf den Thron. Erzogen im Geist der Aufklärung1, unter Aufsicht seiner preußischen Großmutter Katharina II., reformierte Alexander den Staatsapparat nach Prinzipien des aufgeklärten Absolutismus2.

Innenpolitisch war er bestrebt die geistige Bildung zu fördern und das harte Los der Leibeigenen zu mildern.

Im Oktober 1801, kurz nach seiner Thronbesteigung, schaffte Alexander mit den Worten „.. der Name Folter, der die Menschheit schändet und ihr Vorwürfe bringt, werde auf immer aus dem Andenken des Volkes ausgelöscht..."3 die Folter und die Prügelstrafe für Adelige, Bürgerliche und Geistliche ab und untersagte die Anwendung der Tortur bei Verhören. 1808 wurde die Körperstrafe für Frauen von Priestern und 1811 für die einfachen Mönche aufgehoben.

Leibeigene zum Verkauf auszustellen oder in den Zeitungen anzubieten wurde 1801 verboten.

 

Alexanders Innenpolitik

Neurussland
Neurussland

Am 8. Oktober 1802 teilte Alexander das von seinem Vater Paul I. geschaffene große Gouvernement Neurussland in die Gouvernements Ekaterinoslav, Taurien, Nikolev (später Cherson) auf und entwarf einen Plan für die Erschließung der von den Osmanen (Türken) eroberten, fast menschenleeren Grenzgebiete.

Dafür berief er sich auf die von seinen Vorgängern gemachten Erfahrungen.

 

 

Einladungsmanifest
Einladungsmanifest

Zur Gründung neuer Kolonien sollten in der Nähe der Seehäfen Odessa und Theodosia Gebiete abgeteilt werden. In Taurien sollten Winzer und im Gartenbau erfahrene Leute und an der Molotschna sollten Ackerbauern angesiedelt werden.

1803 erließ Alexander I. sein erstes Einladungsmanifest, indem er den Auswanderungswilligen die gleichen Privilegien des Manifestes von 1763 gewährte.

 

In der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts ließen sich zirka 55.000 Deutsche als Bauern und Handwerker in den Kolonien und Städten Neurusslands nieder.

Viele der Auswanderer kamen aus Baden, dem Elsass4, der Pfalz und der Schweiz. Die meisten Auswanderer kamen aber aus Württemberg, das seinen Bürgern damals das einmalige Abzugsrecht5 gewährte. Den Deutschen schlossen sich vielfach aber auch Niederländer, Franzosen Schweden und Italiener an.

 

 

Der Bauer reitet nunmehr auf seinen ehemaligen Unterdrückern, er hat die Hacke weggeworfen, die Tiere, die früher Saat und Ernte vernichtet haben, liegen gerupft am Boden. Er selbst folgt dem Ziel von "Frieden und Eintracht" und damit dem Vorbild König Heinrichs IV. (Medaillon an der Jacke). Die früher Privilegierten tragen die Waage der Gerechtigkeit mit "Gleichheit, Freiheit und Entlastung des Volkes" und sind zu einer allgemeinen "Grundsteuer" verpflichtet. Alle drei tragen die Kokarde, die die patriotische Eintracht versinnbildlicht.
Abschaffung der Feudalrechte

Die Auswanderungsgründe der Würt-temberger waren vielfältig. In dieser ersten Phase (1804-1810) waren es überwiegend wirtschaftliche Probleme, die zur Auswanderung führten.

Die anfängliche Begeisterung der Württemberger für die Französische Revolution (1789-1799) hatte einen Dämpfer erhalten, als die französischen Truppen 1796 wie „Schwärme hungriger Wölfe“ über das Land herfielen.

Die Menschen flohen in die Wälder oder griffen zu den Waffen, um sich der Marodeure zu erwehren.

Die jahrelangen kriegerischen Aus-einandersetzungen zuerst mit und dann gegen Napoleon (Revolutionskriege von 1792 bis 1802, Napoleonische Kriege von 1800 bis 1814/15) hatten gewaltige Opfer an Menschenleben gefordert; hatten aber auch Geld und Material gekostet.

 

Schwäbischer Kreis im Heiligen Römischen Reich (rot gefärbt)
Schwäbischer Kreis im
Heiligen Römischen Reich (rot gefärbt)

Entsprechend der Waffenstill-standsbedingungen von 1797 mussten die Staaten des Schwäbischen Kreises6 Pferde, Getreide und Futter liefern.

Als der 2. Koalitionskrieg7 (Großbritannien, Österreich, Russ-land, Osmanisches Reich, Portugal, Neapel, Kirchenstaat, Österreich, Kurbayern, Kurmainz und Württemberg gegen Frankreich) 1798 gegen Frankreich begann, war auch Württemberg gezwungen, sich an den Kriegskosten zu beteiligen und die Österreicher im Land zu verpflegen.

Aber 1799 kamen die Franzosen zurück und sogen das Land wiederum aus.

 

 

Armut
Armut

Die nahezu ununterbrochenen Kriegs-anstrengungen trieben die Steuerlasten in die Höhe und führten in Kriegszeiten zu permanenten Sonderabgaben und Beschlag-nahmungen, in Friedenszeiten dagegen zur Ab-zahlung von Kriegsschulden und Ent-schädigungsleistungen an die Siegermächte.

Aber auch Überbevölkerung und Armut durch Realteilung8 zählten zu den damaligen Auswanderungsgründen.

Während die Wohlhabenden durch die Auswanderung den letzten Rest ihres Besitzes zu bewahren suchten, wollten die Armen ihr Los verbessern.

mehr ...... Wie sah es damals in Württemberg aus?

 

 

die polnische Teilung in den Jahren 1772, 1793 und 1795
die polnische Teilung
in den Jahren 1772, 1793 und 1795

Da fragt man sich allerdings, warum wan-derten sie gerade nach Russland aus, wenn die meisten schon um 1800 nach Preußisch Polen gezogen waren? Dabei spielten die besonderen staatlichen Vergünstigungen (Privilegien) eine wichtige Rolle, die damals in Russland günstiger waren als in Preußen.

Besondere Vergünstigungen für ausländische Kaufleute, im fremden Land nach eigenen Bräuchen zu leben, gab es schon seit Iwan dem Schrecklichen. Auch Peter der Große, der im Frühjahr 1690 das erste Mal in der Nemezkaja Sloboda, der Deutschen Vorstadt, in Moskau war, hatte 1702 mit seinem Manifest Auswanderern aus Deutschland ausdrücklich Religionsfreiheit verbürgt, was 1735 von Zarin Anna Iwanowna und 1751 von Elisabeth I. erneuert und dann von Katharina II.1763 in ihrem Einladungsmanifest erweitert wurde. Von 1763-1767 wurden im Wolgagebiet rund 30.000 Deutsche angesiedelt.

deutsche Kolonisten
deutsche Kolonisten

Wer bereit war sich als Kolonist in Russland anzusiedeln, dem wurden nicht nur ein auf den jüngsten Sohn (Minorat) ver-erbbares Stück Land und die Grundausstattung für die An-siedlung versprochen, sondern auch Steuerfreiheit für die ersten 10 Jahre, weitgehende Selbst-verwaltung, Befreiung vom Militärdienst, Religionsfreiheit und die Möglichkeit in die Heimat zurückzukehren.

Für ein so autoritär regiertes Land wie das Zarenreich, indem die Landbevölkerung weitgehend im Zustand der Leibeigenschaft lebte und in dem die russisch-orthodoxe Kirche die beherrschende Staatskirche war, waren das recht weitgehende Vergünstigungen.

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Anmerkungen

1 Aufklärung = Bezeichnung einer geistesgeschichtlichen Epoche des 18. Jahrhunderts in Europa und Nordamerika. Der Begriff Aufklärung stammt von dem englischen ,,englightenment", dem französischen ,,illuminére" und dem italienischen Wort ,,illuminismo" ab und bedeutet Erleuchtung im Sinne des Verstandes. Im Allgemeinen verstehen wir unter Aufklärung eine Erweiterung unseres Verstandes. ,,Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" war nach Immanuel Kant der Leitspruch der europäischen Aufklärung und meinte damit direkt die innere Befreiung von der Bevormundung.
Für die Aufklärung bestimmend sind neben Rationalismus und Empirismus u. a. die folgenden Auffassungen: Kritik an Kirche und religiösem Dogmatismus, Kritik an der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, unbedingter Fortschrittsglaube, Toleranz in Gesellschaft, Politik und Religion, Weltbürgertum (Kosmopolitismus), Individualismus, Deismus (Lehre, wonach Gott die Menschen und die Welt zwar erschaffen hat, dann aber nicht mehr in den Weltengang eingreift).
In Russland bezeichnete man schon im Mittelalter mit dem Begriff просвеще́ние (Aufklärung) die göttliche Erleuchtung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erhielt er neue Bedeutungen und meinte sowohl allgemein "Bildung", "Wissenserwerb" und "Zivilisation", "Europäisierung" und "Verwestlichung", Übung der Verstandeskräfte und menschliche Selbstvervollkommnung, als auch im engeren Sinn die Teilhabe Russlands an der europäischen Emanzipationsbewegung des "Siècle des Lumières". Dabei wurde die Verbreitung der Aufklärung hauptsächlich durch ausländischen Fachkräfte gefördert.
Wenn es in der Anfangsphase unter Peter dem Großen vorwiegend praktische Berufe, Offiziere, Seeleute, Ärzte, Handwerker usw. waren, nahm Russland seit den 1730er Jahren zunehmend Universitätsabsolventen, zumeist junge Theologen als Hauslehrer (Hofmeister) auf, die in adeligen Häusern westliches Denken vermittelten. Theater- und Musikleben St. Petersburgs, aber auch die Bildenden Künste wurden im 18. Jahrhundert von italienischen, deutschen und französischen Künstlern geprägt. Beträchtlichen Anteil besaßen auch die Baltendeutschen, die zumeist an den Universitäten des Reiches ihre Ausbildung erhielten und später in russischen Diensten Karriere machten. Unter Katharina II. erhielt die Aufklärung in Russland ihren Höhepunkt; sie stellte sich programmatisch in die Tradition Peters.

2 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich durch die enge Verknüpfung von absoluter Fürstenherrschaft mit den Ideen der Aufklärung eine Sonderform des Absolutismus, die man als aufgeklärten Absolutismus bezeichnet hat. Der Einfluss der Aufklärung kam in der Veränderung der Legitimation der Herrschaft zum Ausdruck. Während der klassische Absolutismus als Herrschaft 'von Gottes Gnaden' verstanden wurde, rechtfertigten die Vertreter des aufgeklärten Absolutismus ihre Stellung mit ihrem Eintreten für das Untertanenwohl. Friedrich II. von Preußen bezeichnete sich als den 'ersten Diener' seines Staates. Die zweckrationale Begründung der Herrschaft führte zur Anerkennung eines durch gegenseitige Pflichten bestimmten Vertragsverhältnisses zwischen Monarch und Untertanen.
Aufgeklärte Herrschaft zeigte sich auch im Bemühen um Reformen im Staat. So führten die Reformen des Vaters Friedrichs des Großen, Friedrich Wilhelm I. von Preußen, oder die Maria Theresias, der Mutter Josephs II., in den Bereichen Verwaltung, Militärwesen oder Finanzen zu einer zweckmäßigeren Organisation. Die entscheidenden Reformen des aufgeklärten Absolutismus betrafen aber den juristischen Bereich, etwa die Abschaffung der Folter und die Einschränkung der Todesstrafe.
Die zunehmende Gewährung religiöser Toleranz war ein weiteres Merkmal aufgeklärter Herrschaft. Neben den ökonomischen Vorteilen, die solche Reformen brachten, entsprachen sie meist auch der persönlichen Überzeugung der Herrscher. In Verbindung mit der naturrechtlichen Selbstbindung der Fürsten an ihre Amtspflichten stand die Ausbildung einer Bürokratie, die dann im 19. Jahrhundert zu einem gewichtigen Faktor bei der Modernisierung der Staaten werden konnte.

3 Conversations-Lexicon oder Encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände, 1. Band, Verlag A. F. Macklot, Stuttgart, 1816, S. 129

Unterelsass
Unterelsass

4 Von 1798 – 1871 war die Region Elsass Teil von Frankreich. In den Jahren 1803 – 1817 gab es drei Auswanderungswellen von Elsässern nach Südrussland. Die meisten kamen aus den Kreisen Weißenburg (Wissembourg), Hagenau (Haguenau) und Zabern (Saverne) im Unterelsass. Diese Gebiete hatten in den Jahren der Französischen Revolution wirtschaftlich am meisten zu leiden. In dieser Zeit verließen etwa 40.000 Menschen ihre Heimat und zogen über den Rhein in deutsche Lande. Erst 1798 durften sie in das Elsass zurück, waren aber land- und mittellos geworden. Immer mit der Hoffnung auf eigenes Land suchten viele elsässische Bauern einen Neuanfang in Russland.
Die erste Auswanderungswelle setzte mit dem Manifest Alexanders I. ein. Bereits 1803/04 zogen viele Familien in die Gebiete bei Odessa und wurden in den Liebentaler Kolonien bzw. auf der Krim angesiedelt.
Die 2. und größte Auswanderungswelle folgte in den Jahren 1808/09. Diese Gruppe gründete zusammen mit Kolonisten aus der Südpfalz und dem Herzogtum Baden die katholischen Kolonien am Kutschurgan und im Beresaner Gebiet.
Nach dem Sturz Napoleons im Jahr 1815 und der Invasion des Elsass folgte im Jahr 1817 die 3. Welle. 25 Familien aus dem Elsass wanderten nach Russland aus. Soziale Missstände und die katastrophale materielle Lage der meisten Bauernwirtschaften (Missernten in den Jahren 1815-1817) zwangen viele Menschen zur Auswanderung.

5 Das inländische Abfahrts- bzw. Abzugsrecht der preußischen Staaten wurde durch Verordnung vom 27. November 1777 aufgehoben, aber durch das Edikt vom 15. November 1787 wieder eingeführt (Paragraph 176).
Im Königreich Württemberg wurde es 1807 wieder aufgehoben und am 15. März 1815 durch die Landständische Verfassung mit Artikel 56 wiederhergestellt. Außerdem erlaubte die Verfassung des Deutschen Bundes von 1815 den Untertanen deutscher Fürsten und den Bewohnern der freien Städte die Auswanderung ausdrücklich, insofern ein anderer Staat sie zu Untertanen annehmen wollte (Artikel 18).
In Württemberg wurde das Abzugsrecht vollständig durch das Gesetz vom 19. November 1833 aufgehoben.

6 Schwäbischer Kreis = einer der zehn Reichskreise des Heiligen Römischen Reichs (1512 -1806), umfasste die Hochstifte Konstanz und Augsburg, die gefürsteten Abteien Kempten und Ellwangen, 21 Abteien, das Herzogtum Württemberg, die Markgrafschaften Baden, die Fürstentümer Hohenzollern, die gefürsteten Damenstifte Lindau und Buchau, zahlreiche andere weltliche Herrschaften und 31 Reichsstädte (unter anderem Ulm).

7 2. Koalitionskrieg = die aggressive Politik bzw. das entschiedene Vordringen der Franzosen im Rahmen der „Napoleonischen Kriege“ führte zum dreijähriger Koalitionskrieg (1799-1802) europäischer Mächte (Großbritannien, Österreich, Russland, dem Osmanischen Reich, Portugal, Neapel, dem Kirchenstaat, Österreich, Kurbayern, Kurmainz und Herzogtum Württemberg) unter der Führung des russischen Zaren Paul I. gegen die Französische Republik, der 1800 mit der Niederlage Österreichs und 1802 mit dem vorläufigen Frieden mit England (Frieden von Amiens) endete.

8 Durch die Realteilung wurde der Besitz einer Familie, insbesondere der Landbesitz, real unter den Erbberechtigten aufgeteilt. Diese Aufteilung fand bei jedem Erbgang statt, sodass die Anzahl von Kleinstparzellen mit der Zeit anstieg.
In der Landwirtschaft führte die fortgesetzte Realteilung zu einer Zersplitterung des Ackerlandes in eine Vielzahl kleiner Äcker, oft in Form schmaler Streifen.
Die Realteilung führte in Altwürttemberg dazu, dass di Äcker bald zu klein waren, um eine ganze Familie zu ernähren, deshalb gab es in Württemberg schon früh Nebenerwerbslandwirte, die nebenbei ein Handwerk betrieben. Gleichzeitig sicherte das ererbte Gut einen Mindestunterhalt, denn man erbte nicht nur ein Stück Acker, sondern auch einen Anteil am elterlichen Haus. Allerdings waren das oft nur einzelne Zimmer, in denen sich ganze Familien zusammendrängten.