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Die deutsche Vorstadt im 17. Jahrhundert

 

die Deutsche Vorstadt in Moskau (Nemezkaja sloboda)
die Deutsche Vorstadt in Moskau
(Nemezkaja sloboda)

Boris Godunow1, der besonders den Deutschen gegenüber auf-geschlossen war, bemühte sich wie seine Vorgänger Iwan III. und Wassilij III. mit großem Erfolg, ausgezeichnete Spezi-alisten ins Land zu holen.

Nach dem Pogrom des Jahres 1578 unter Iwan IV. konnten die Ausländer nun unter Boris Godunows Herrschaft (1598 - 1606) etwas aufatmen. Godunow wurde zum Schirmherr der Ausländer.

Boris Godunow
Boris Godunow

Für sie erbaute er die "Neue deutsche Vorstadt" (die alte Vorstadt wurde 1571 bei einem Angriff der Krimtataren unter Devlet I. Giray zerstört) zwischen dem Fluss Jausa und dem Bach Kokuj. Sie lag ca. 1 Fußstunde nordöstlich von Moskau entfernt und sah wie ein deutsches Städtchen aus. Ihren Kern bildeten Söldner, die als Kriegsgefangene im Livländischen Krieg (auch: Erster Nordischer Krieg; 1558-1583) nach Moskau gebracht wurden.

 

Der deutsche Offizier Conrad Bussow, Verfasser der Moskowitischen Chronik, der damals unter Boris Godunow diente, gibt beispielsweise folgende Beschreibung:

„Den Deutschen, die... in das Land als Gefangene gebracht worden waren und nun nah an einem schönen Ort etwa eine halbe Meile entfernt vom Zarenschloß zusammen wohnten und ein gutes Auskommen hatten, von denen auch viele dem Zaren im Kriege gedient hatten und deshalb mit guten Landgütern versehen waren, genehmigte er, Gottesdienst in ihren Häusern zu halten ..."

 

von oben: die Gesamtansicht der Stadt Moskau, St. Nicolas Kirche, St. Michaels Kirche und Russische Reiter
von oben:
die Gesamtansicht der Stadt Moskau,
St. Nicolas Kirche, St. Michaels Kirche
und Russische Reiter

1600 hatte die Gemeinde bereits drei Pastoren für den Kirchen- und Schuldienst und 1601 konnte eine neue Kirche bezogen werden. Von dem wohlwollen-den Verhalten der russischen Behörden gegenüber einer anderen, nicht orthodoxen Konfession zeugt die Tatsache, dass der Pastor, wie alle Geistlichen, an den Staat keine Steuern zahlen musste. Dies führte zu großer Eifersucht unter der russischen Bevöl-kerung.

 

Nach dem Augenzeugenbericht von Conrad Bussow schätzte Godunow die deutschen Ärzte hoch. Er selbst hatte 6 Ärzte in seinem Dienst. Jeder dieser Ärzte bekam ein Landgut mit 30 bzw. 40 Bauern und fünf guten Pferden aus den Stallanlagen des Zaren.

Fjodor II.
Fjodor II.

Der Zar ergriff auch die Initiative, ausländische Wissenschaftler und Lehrer nach Russland zu holen, um Schulen für den Fremdsprachen-unterricht einzurichten. So wurde z. B. von klein an Godunows Sohn Fjodor, der spätere Fjodor II., durch ausländische Lehrer erzogen.

 

Die Geschlossenheit der Vorstadt begünstigte die Ausprägung kultureller Eigenheiten nach eigenen Vorstellungen, deren Erfolg bewirkte, dass die Russen darin ein Vorbild sahen.

Die deutsche Gemeinde, in der auch Engländer, Holländer u. a. wohnten, nahm allmählich an Größe und Bedeutung zu und lebte zusehends auf.

Nemezkaja Sloboda
Nemezkaja Sloboda

Die im Moskauer Staat willkommenen Deutschen waren respektable Hand-werker und erfolgreiche Kaufleute. Außerdem dominierten sie in Berufen wie Apotheker, Ärzte, Offiziere und militärische Experten.

Untereinander verständigten sie sich entweder in gebrochenem Russisch oder eben in Deutsch.

Seitdem sich Russland verstärkt dem Westen öffnete, benötigte man die sprachkundigen Deutschen auch als Vermittler im Verkehr mit ausländischen Staaten.

 

Was gefangene Deutsche betraf, die in verschiedene russische Städte verbannt worden waren, bestätigte Conrad Bussow aufgrund seiner Beobachtungen, wie folgt:

,,..... jenen deutschen Kaufleuten, die gefangen genommen und nach Moskau aus den livländischen Städten Dorpat, Narwa, Fellina u.a. gebracht worden waren, Boris Godunow das Recht gewährte, frei zu reisen und ihrer Beschäftigung nach zugehen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes, wo und wie sie wollen ….“

 

Grischka Oltrepjew: der 1. falsche Demetrius
Grischka Oltrepjew:
der 1. falsche Demetrius

Die Zahl der Deutschen und anderer Europäer in den Moskauer Streitkräften betrug zur Zeit Godunows ca. 2.500. Allmählich wurden auch verstärkt deutsche Adelige in den russischen Militärstand einbezogen.

Während der "Zeit der Wirren" nahmen deutsche Soldaten an den Kriegshandlungen teil und zwar sowohl auf der Seite der Regierungstruppen als auch auf der Seite der Thronräuber. Zahlreichen Zeugnissen zufolge umgab sich der Pseudodemetrius (falscher Demetrius) seit Beginn seiner Regierungszeit (1605 - 1606) mit deutschen Soldaten, denen er Vertrauen schenkte.

Das Verhältnis der russischen Bevölkerung zu den Ausländern

Anders als die Regierungen, die im Wesentlichen den Ausländern zugeneigt waren, dachte das Volk über die Ausländer. Hielten die Zaren und ihre weltlichen Ratgeber im allgemeinen die Berufung von Ausländern für nützlich und notwendig, so meinte man im Volk, die Fremden seien schädlich und ihre Nähe gefährlich für den Glauben; dieser letzteren Ansicht schloss sich die Geistlichkeit normalerweise an.

Den unteren Klassen des russischen Volkes war es unbegreiflich, dass die höhere Geistlichkeit die Einwanderung von "Ketzern" in so großer Zahl nicht zu verhindern vermochte.

Patriarch Jove
Patriarch Jove

Bei den obenangeführten Maßregeln des Zaren Boris Godunow, der Ausländer ins Land berief, wandten sich die Konservativen an den Patriarchen Jove mit dem Vorwurf:

„Heiliger Vater, warum schweigst du und siehst allem diesem ruhig zu?“

Brückner Alexander: Die Europäisierung Rußlands: Land und Volk, Adamant Media Corporation, Boston 2001, S.279;

 

Als damals der Zar daran dachte, Schulen anzulegen, in denen Ausländer fremde Sprachen lehren sollten, da meinte die Geistlichkeit, das Erlernen fremder Sprachen werde allerlei Verwirrung herbeiführen und die Reinheit des Glaubens verwirren.

Dem Volk missfiel es sehr, wenn die Regierung den Ausländern bedeutende Stellungen gab.

Als die Familie Godunows, bald nach dem Tod des Zaren, vom Pöbel ermordet wurde, wandte sich die Erbitterung der Massen auch gegen die Ärzte, die in besonderer Gunst des verstorbenen Zaren Boris standen. Ihre Häuser wurden geplündert und ihre Weinvorräte ausgetrunken.

Kuzma Minin ruft die Menschen in Nischni Nowgorod zum Volksauftand gegen die Polen auf
Kuzma Minin ruft die Menschen
in Nischni Nowgorod zum Volksauftand
gegen die Polen auf

In der "Zeit der Wirren" (1605 – 1613) gab es manchen Angriff auf das Leben und das Eigentum der Ausländer. Wiederholt sind im Laufe des 17. Jahrhunderts bei Volks-aufständen und Militär-revolten die "Deutschen" in Gefahr gewesen. Auch wenn die Regierung in solchen Fällen gelegentlich auf der Seite der Ausländer stand, so gab es doch hingegen auch Gesetze und Verordnungen, die gegen die Ausländer gerichtet waren. Solche Manifestationen waren meist das Ergebnis geistlichen Einflusses und religiöser Intoleranz.

Marina Mniszech
Marina Mniszech

Die Regierung war im allgemeinen duldsamer als das Volk. Letzteres konnte es dem Demetrius nicht verzeihen, dass er seiner Gemahlin, der Polin Marina Mniszech, einer Katholikin gestattet hatte, die russischen Heiligenbilder zu küssen.

Während die Russen es vermieden, Ausländern den Eintritt in ihre Kirchen zu gestatten, betraten während der Regierung des Demetrius die Vertreter verschiedener Nationalitäten russische Kirchen und mit Entsetzen erzählte man in russischen Kreisen, dass diese Ketzer in den Kirchen während des Gottesdienstes gesessen, sich angelehnt, ja sogar geschlafen hätten.

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Anmerkungen

1 Boris Godunow = war Berater Zar Iwans IV.; von 1584 bis 1598 Russlands Regent für den geistig zurückgebliebenen Zaren Fjodor I. Nach dem Tod Fjodors wurde er 1598 von der Reichsversammlung (Semski Sobor) zum Zaren gewählt. Er starb am 23. April 1605.

2 Nemezkaja sloboda = deutsche Vorstadt; obwohl dort Angehörige der verschiedensten Nationen lebten. Nmezkij kommt von nemoj (stumm); so nannte man alle, die nicht des Russischen mächtig waren, später wurde es vor allem auf Deutsche bezogen. Diese Ausländer genossen russisches Bürgerrecht und unterstanden den allgemeinen Gesetzen, hatten aber einige Sonderrechte, z. B. hinsichtlich der Selbstverwaltung und der Glaubensausübung. Letzteres blieb ihnen auch später erhalten. Im 19. Jahrhundert entstand hier ein Viertel reicher Kaufleute und Fabrikanten.