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Die Flucht aus dem Warthegau

Die Odyssee der Deutschen

Der Verlauf der sowjetischen Offensive erfasste im Januar 1945 die östlichen Teile des Warthegaus1 als erstes.

In den ehemaligen besetzten Gebieten, in Polen, im Sudetenland2 (Gebiet im tschechischen Teil der damaligen Tschechoslowakei), in Ungarn, in Rumänien (Siebenbürgen3, Banat), in Kroatien (Slawonien), in Serbien und im Baltikum setzten noch vor Ende des Krieges großflächig zuerst "wilde" und dann systematische Vertreibungen der Deutschen ein.

Umsiedlung der Volksdeutschen 1939 - 1944
Anzahl Umsiedlung der Volksdeutschen 1939 - 1944 -
Anzahl der Personen in Tausend (auf- bzw. abgerundet)
die Vertreibung der Deutschen
Vertreibung der Deutschen

 

Es entluden sich Ressentiments der jahrelang unterdrückten Völker gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung, die unter-schiedslos als feindliches Kollektiv be-handelt wurde.

 

Hass und Zerstörung waren die Antwort auf die Gewaltverbrechen der Nazis, will-kürliche Übergriffe, Morde, Hinrichtungen, Vergewaltigungen, Enteignungen, Demütigungen und Repressalien trafen die verhassten Deutschen mit ganzer Härte.

 

Millionenfach ergoss sich ein Exodus aus fliehenden Trecks nach Westdeutschland.

auf der Flucht
auf der Flucht

Doch die Menschen konnten, von den Strapazen der Flucht ge-schwächt, kaum die lange Wegstrecke zurücklegen.

Aus dem Danziger Raum nutzten viele die Möglichkeit, mit Schiffen über die Ostsee zu entkommen.

Große Teile der Deutschen flohen nach Süden in Richtung Schlesien, viele wurden Opfer der sowjetischen Besat-zungspolitik und in die Sowjetunion repatriiert.

 

Die russische Front drang täglich 50 bis 70 Kilometer vor und ließ schon ab Februar keine Fluchtbewegungen mehr zu; weite Teile Westpreußens und fast das gesamte Warthegau waren bereits besetzt.

auf der Flucht

Alle Zugverbindungen waren durch die hereinbrechende Front unter-brochen. Kraftfahrzeuge und Motor-räder besaßen nur die Wehrmacht. Die Menschen flohen zu Fuß, mit Handwagen oder Pferdefuhrwerken in das westliche Reichsgebiet. Es gab keine hygienische und keine medi-zinische Versorgung, keine Lebens-mittel, kaum Trinkwasser. Säuglinge und Kleinkinder waren die ersten Opfer dieser Odyssee. Sie fielen der Kälte zum Opfer oder sie verhungerten. Auch alte, kranke und schwache Menschen hatten nur geringe Überlebenschancen. Kleidung und "Fluchtausrüstung" waren oft ungeeignet, viele Flüchtlinge trugen unhandliche, schwere Koffer, die wenigsten verfügten über einen Rucksack.

Vertreibung

Oft flohen sie unkontrolliert, in wilder Panik und im allerletzten Moment. Viele von ihnen verließen ihre Heimat zum ersten Mal. Oft waren sie von den Flucht-vorbereitungen überfordert, oft blieb ihnen kaum Zeit an das Nötigste zu denken. Viele Flüchtenden wurden außerdem von NS-hörigen Kreis- und Gauleitern mit Durchhalte-parolen zu lange am Verlassen ihrer Heimat gehindert. Viele der Flüchtlinge sahen Flucht und Abschied von der Heimat nur als vorübergehend an. Den wenigsten war bewusst, dass Flucht und Vertreibung ein Abschied für immer bedeuten sollten.

 

Rote Armee

Buchstäblich überrollte die schnell vorrückende Rote Armee Flücht-lingstrecks, die nicht schnell genug ausweichen konnten. Panzer schossen in die Wagen, russische Tiefflieger beschossen die Flüchtlingskolonnen. Schon lange wurde zwischen feindlichen Soldaten und der Zivilbe-völkerung kein Unterschied mehr gemacht. Zehntausende starben an den Folgen der Kriegshandlungen, durch Verwundungen und Über-griffe.

Flucht

Wer von den russischen Soldaten eingeholt wurde, dem drohten Miss-handlung, Vergewaltigung und Ermordung durch verrohte und oft rachsüchtige russische Sol-daten. Schätzungen gehen von etwa 1,4 Millionen vergewaltigten Frauen aus. Aufgegriffene Männer, Jugend-liche und Kriegsgefangene wurden zu Hunderttausenden als "lebende Reparationszahlung" nach Russland repatriiert4 - die expansionistische, menschenverachtende Siedlungspolitik unter dem NS-Regime hat entsetzliche Opfer gefordert..

In der neuen Heimat

Vertreibung

Über 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene suchten nach 1945 in Restdeutschland eine neue Heimat. Viele von ihnen starben auch noch nach dem Marsch in die deutschen Kernlande durch die Stra-pazen und Entbehrungen der Flucht. Erste Anlaufstellen waren vorwiegend näher stehende oder entferntere Verwandte in den alliierten Bestzungszonen (Amerikanische, Französische und Britische Besatzungszone), wenn es sie überhaupt gab. Zumeist verlief die Odyssee der Flüchtenden aber ziel- und orientierungslos. Es herrschte zum Teil erhebliche Desinformation, im Chaos der unmittelbaren Nachkriegszeit strebten die treckenden Flüchtlinge und Vertriebenen in erster Linie Schutz und Sicherheit vor gewaltsamen Übergriffen und Kriegshandlungen seitens der Sieger an, ein eigentliches Ziel der Reise gab es für die meisten nicht.

 

Vertreibung

Die riesigen Flüchtlingsströme verliefen quer durch das zerstörte Deutschland und trafen auf Menschen, die durch Bomben-angriffe und Kriegshandlungen selbst kaum über das Nötigste zum Leben verfügten. Vielerorts wurden die Neuankömmlinge daher miss-trauisch als Habenichtse beäugt und nicht selten feindselig behandelt.

Im kriegszerstörten Deutschland mangelte es an den elementarsten Dingen des Lebens, Wasser, Lebensmittel, Medikamente, Wohnraum, Kleidung, Heizmaterial, und zunächst auch an Arbeit.

Krieg

Viele Heimatvertriebene mussten jahrelang in Auffanglagern oder Baracken leben, denn Wohn- und Lebensraum musste ja erst wieder neu geschaffen werden. Die Vertriebenen wurden neben den Strapazen der Flucht und dem Verlust der Heimat vom Los des sozialen Abstiegs durch den totalen materiellen Verlust getroffen. Sie mussten mit leeren Händen den Neuanfang versuchen, Haus, Hof, Hab und Gut hatten sie zurücklassen müssen, mitgenommene Wertgegenstände waren meist von den Besatzern konfisziert worden, Entschädigungen gab es für wenige.

 

Die ehemaligen Administrativumsiedler, denen die Flucht in den Westen gelang, aber nicht untertauchen konnten, wurden von den Westalliierten (Briten und US-Amerikanern) als Displaced Person den sowjetischen Militärbehörden ausgeliefert und, wenn sie einem der fünf Kriterien der Konferenz von Jalta entsprachen, wurden sie ohne Rücksicht auf ihre individuellen Wünsche zwangsrepatriert.

 

So wurden die Russlanddeutschen, die unter deutsche Besatzung geraten waren, nach Umsiedlung und Ansiedlung versprengt.

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Anmerkungen

1 Die von 1939 bis 1945 als Warthegau oder Wartheland bezeichnete Region war vor dem Angriff Deutschlands auf Polen im September 1939 polnisches Staatsgebiet. Historisch gesehen bestand der Warthegau aus zwei Teilen, aus der westlich gelegenen ehemaligen deutschen Provinz Posen (vor 1919) und den östlich gelegenen polnischen (vor 1916 russischen) Gebieten um Lodsch. Im westlichen Teil (Provinz Posen) stellten die Deutschen zum Zeitpunkt der preußischen Volkszählung von 1910 rund 45 % der Gesamtbevölkerung.
Nachdem diese Provinz im Zuge des Versailler Vertrages 1919 von Polen annektiert wurde, sank die Anzahl der Deutschen in diesem Gebiet rapide ab, so dass diese zu Beginn des Zweiten Weltkrieges weniger als 15 Prozent der Gesamtbevölkerung dieses Gebietes stellten. Der Grund für den Rückgang des deutschen Bevölkerungsanteils nach 1919 ist im Wesentlichen in der Politik der ethnischen Homogenisierung des nationalistischen polnischen Diktators Józef Piłsudski zu sehen. Dieser versuchte den Anteil der Deutschen massiv zu reduzieren, z.B. Massenausweisungen nach Deutschland, entschädigungslose Enteignungen von zumeist adligem deutschem Großgrundbesitz und Ansiedlung polnischer Kleinbauern, Schulpolitik (ausschließlich in polnischer Sprache) und einer Vielzahl von Diskriminierungen im öffentlichen Leben.
Von 1939 – 1941 wurden 280.606 ethnische Polen und Juden, die in Gebieten des Warthegaus oder Danzig-Westpreußens wohnten, ins Generalgouvernement Polen vertrieben, um Platz für die Deutschen zu schaffen.  Nach 1940 konzentrierte sich die NS-Politik zunehmend auf die Ansiedlung deutscher Bevölkerung im Warthegau.
Hierzu wurden eine Vielzahl von Volksdeutschen (Baltendeutsche, Wolhyniendeutsche, Bessarabiendeutsche, Buchenlanddeutsche, Dobrudschadeutsche, Ukrainedeutsche) aus dem Gebiet der Sowjetunion angesiedelt und fanden dort oft in Höfen und Häusern vertriebener Polen Unterkunft.

2 Sudetenland = Bezeichnung für das geschlossene, von Asch im Westen bis Troppau im Osten reichende deutsche Siedlungsgebiet in Böhmen, Mähren und Schlesien, wo im Zuge der deutschen Ostsiedlung Deutsche (Bayern, Franken, Obersachsen, Schlesien und Österreich) schon seit 12. und 13. Jahrhundert lebten.

 3 Siebenbürgen = Landschaft, im Innern des Karpatenbogens, die heute zu Rumänien gehört. Vom 3. Jahrhundert v. Chr. an Teil des Königreichs der Daker, 106-271 n. Chr. Teil der römischen Provinz Dakien, seit dem 7. Jahrhundert des Bulgarischen Reiches, seit dem 9./10. Jahrhundert bis 13. Jahrhundert von Ungarn.
Zum Grenzschutz wurden im 10. Jahrhundert Szekler, ab etwa 1150 deutsche Bauern und Handwerker (Siebenbürger Sachsen) angesiedelt; 1211-25 breitete sich im Burzenland (historische Grenzlandschaft im Südosten Siebenbürgens) der Deutsche Orden aus. Eine rumänische Bevölkerung ist erst seit etwa 1210 sicher bezeugt. 1437 kam es zur »Union der drei Nationen« (Ungarn, Szekler, Sachsen) zur Abwehr der seit 1432 vordringenden Türken.
Die Bedrohung durch die Türken führte nach 1493 bis etwa 1530 zum Um- und Ausbau der Kirchen zu Kirchenburgen. Nach der Schlacht bei Mohács (1526) kam Siebenbürgen unter osmanische Oberhoheit; 1688 bzw. 1691 fiel Siebenbürgen vorläufig, 1699 (Frieden von Karlowitz) bei Wahrung seiner Autonomie endgültig an die Habsburger (Österreich); 1848/49 kurz, nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867, wieder mit Ungarn vereinigt. Die Magyarisierungspolitik stieß auf den entschiedenen Widerstand der dort lebenden Rumänen und Sachsen. Durch den Frieden von Trianon (1920) kam Siebenbürgen an Rumänien, durch den 2. Wiener Schiedsspruch (1940) Nordsiebenbürgen und das Szeklerland (Ostsiebenbürgen) an Ungarn, durch den Pariser Frieden (1947) ganz Siebenbürgen wieder an Rumänien.

4 Repatriierung = (lat. repatriare "ins Vaterland zurückschicken") Unter Repatriierung versteht man allgemein die völkerrechtliche Rückführung von Menschen durch den Aufenthaltsstaat und die Wiederaufnahme dieser Menschen durch den Heimatstaat. Nachdem 2. Weltkrieg kam es zu einer Repatriierungswelle von Russlanddeutschen aus Deutschland.
Gemäß den Vereinbarungen auf der Konferenz von Jalta unterzeichneten die westlichen Regierungen USA und Großbritannien am 11. Februar 1945 ein Abkommen mit der Sowjetunion, das eine Repatriierung sowjetischer Displaced Persons (DP) vorsah, die in der Obhut der Westalliierten waren. Nach dem SHAEF-Befehl sollten sie 'nach Identifizierung durch sowjetische Repatriierungsvertreter ... ohne Rücksicht auf ihre individuellen Wünsche' auf den Transport Richtung Osten geschickt werden.
Ein Kriterium von fünf möglichen musste dafür erfüllt werden:
1. Wohnsitz auf sowjetischem Territorium am 1. September 1939
2. nach der Konferenz von Jalta (11. Februar 1945, Tag der Unterzeichnung des Jalta-Abkommens) in westalliierte Hand geraten
3. am 22. Juni 1941 oder später dienstpflichtig in der Roten Armee
4. Gefangennahme in einer deutschen Uniform
5. Nachweis für Kollaboration
Die Kriterien 1. und 2. sollten verhindern, dass Angehörige der nach 1917 emigrierten Sowjetbürger von der Zwangsrepatriierung bedroht waren. Außerdem erkannten die Amerikaner wie die Briten die Annexion der Westukraine, West-Weißrusslands, Lettlands, Litauens und Estland durch die Sowjetunion von 1939/1940 nicht an und zählte folglich die 'Kinder' all dieser Staaten nicht als sowjetische Staatsbürger.
In den Augen Stalins galten alle sowjetischen Bürger, die sich während des Zweiten Weltkriegs aus welchen Gründen auch immer zeitweise außerhalb des UdSSR aufgehalten hatten als 'Vaterlandsverräter' und 'engste Kollaborateure des Naziregimes' und sollten dementsprechend behandelt werden.
Im Rahmen der Operation Keelhaul (engl. für Kielholen) wurden zwischen 1943 und 1947 rund zweieinhalb Millionen Menschen, die aus dem Gebiet der Sowjetunion stammten, von den Briten und den US-Amerikanern dorthin zurückgeschickt. Viele dieser Menschen kamen ums Leben, durch Selbstmord oder auch durch Hinrichtungen. Andere wurden, entgegen dem Versprechen wieder in der alten Heimat angesiedelt zu werden, in 'neue Ansiedlungsgebiete', vor allem nach Sibirien unf nach Kasachstan gebracht und dort in Sondersiedlungen oder Arbeitslager (Trudarmee) eingewiesen.
Das Genfer Abkommen vom 12. August 1949 regelte die Repatriierung mit Artikel 135 (Die Kosten für die Repatriierung hat die internierende Partei zu tragen) dann völkerrechtlich.