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Die Ansiedlungspolitik unter Katharina II. (1762-1796)

(Teil 1 von 3)

Katharina II. von Russland
Katharina II. von Russland

Zarin Katharina II. (Tochter des Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst-Dornburg) wollte den Aufschwung des Reiches erreichen und verfolgte im Wesentlichen vier Ziele:

  • die Vergrößerung des Reiches
  • die Wiederherstellung des Friedens
  • Vermehrung des Wohlstandes und
  • aktive Bevölkerungspolitik: Besiedlung der menschenleeren Gebiete mit arbeitsamen Untertanen.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts hatten sich der Merkantilismus1 und der Kameralismus2 in Europa durchgesetzt. Man wurde sich dessen bewusst, dass Untertanen nicht nur Wehrdienstleistende und Abgabenpflichtige waren, sondern auch Leute, die ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellten und nicht zuletzt Konsumenten sind.

Der Reichtum eines Staates hängt nicht von seiner Größe, sondern von der Zahl seiner Einwohner ab.

Victor de Riqueti, marquis de Mirabeau in
Ami des hommes au trait de la population, 1756;

 

Ein neues Schlagwort entstand: Peuplierung1 = Menschenökonomie, oder einfach ausgedrückt: Ansiedlungspolitik.

 

Die bis dahin brachliegenden Steppengebiete an der Wolga sollten erschlossen werden.

„Felder, die ein ganzes Volk sättigen könnten, ernähren kaum eine Familie."

Katharina II. von Russland

 

Für eine Kolonisation hatte Russland aber keine ausreichenden Menschenmengen, da ca. 75% der russischen Bauern als Leibeigene an ihre Grundherren gebunden waren.

Deshalb richteten sich die Hoffnungen der Zarin Katharina auf Europa. Die neu eroberten und noch unerschlossenen Gebiete im Süden des Reiches sollten mit "ruhigen" und "zuverlässigen" Kolonisten besiedelt werden, die gleichzeitig auch etwas "westliche" Kultur in das noch relativ "wilde" Land bringen würden.

Die Peuplierungspolitik

Katharina II., geboren in Stettin in Preußen, hatte in ihrer Jugend die preußischen Puplierungsmaßnahmen kennen gelernt. Mit der "Peuplierungstheorie" (mehr Arbeitskräfte = stärkere Wirtschaftskraft) erhoffte man den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes vor allem durch die Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte.

Katharinas Vater, Fürst Christian August von Anhalt-Zerbst, General in preußischen Diensten, setzte sich z.B. dafür ein, dass die ungeheuerlichen Bevölkerungsverluste des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) dadurch ausgeglichen wurden, dass den verfolgten Protestanten in Frankreich (Hugenotten) und in Salzburg (Salzburger Exulanten) im protestantischen Preußen Aufnahme und Schutz gewährt wurde.

Kurmark, Neumark, Jutland und Schleswig
Kurmark, Neumark, Jutland und Schleswig

Sie wurden in den entvölkerten Gebieten in Westpreußen, in der Kurmark, der Neumark und in Pommern angesiedelt und gaben durch ihre Kenntnisse der Wirt-schaft Preußens wesent-liche Impulse.

So entstanden dann auch in den durch den Sieben-jährigen Krieg (1756-1763) besonders verheerten Provinzen Schlesien und Ostpreußen 1.000 Kolonisten-dörfer.

 

Militärisch, fiskalisch, kulturell und sicherheitspolitisch profitierte der Staat von den Einwanderern4. So ist es also kein Wunder, dass nicht nur Preußen, sondern auch Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Dänemark5, Spanien und Portugal Bedarf an Menschen anmeldeten, vorwiegend allerdings, um den Besitz in den außereuopäischen Kolonien zu sichern und die dort befindlichen Reichtümer zu bergen. Da war es auch kein Wunder, dass man sich gegenseitig belauerte und zu verhindern versuchte, dass die eigenen Untertanen in andere Hoheitsgebiete abwanderten.

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Anmerkungen

1Merkantilismus ist ein nachträglich verliehener Begriff für verschiedene wirtschaftspolitische Ideen und Politiken, die sowohl geldpolitische als auch handels- und zahlungsbilanztheoretische, aber auch finanzwirtschaftliche Ansätze hatten.
Zwischen der Reformation und bis Mitte des 18. Jahrhunderts war der Merkantilismus der Inbegriff wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Mit dem Bedürfnis der absolutistisch regierten Staaten nach wachsenden, sicheren Einnahmen zur Bezahlung der stehenden Heere, des wachsenden Beamtenapparats und nach repräsentativen Bauten und Mäzenatentum der Fürsten entwickelte sich in den verschiedenen europäischen Staaten eine geprägte wirtschaftspolitische Praxis, der eine geschlossene wirtschaftstheoretische und -politische Konzeption fehlte. Man kam zu der Überzeugung, die Mehrung von Wohlstand und Reichtum kann nur durch der Menschenhände Arbeit gewonnen werden.

2 Kameralismus = Lehre von der ertragreichsten Gestaltung der Staatseinkünfte

3 Unter „Peuplierung“ versteht man bevölkerungspolitische Maßnahmen im 18. Jahrhundert, die der Besiedlung leerer oder bevölkerungsarmer Gebiete dienen sollte. Dies sollte zum Bevölkerungzuwachs und zum wirtschaftlichen Gedeihen des Landes beitragen, den allgemeinen Wohlstand erhöhen und nicht zuletzt eine Steigerung der Einkünfte des Landesherren erreichen. Man warb unter Zustimmung verschiedener Vergünstigungen Fachkräfte aus dem Ausland an, die sich meist aus Glaubensflüchtlingen rekrutierten.

4 Neben dieser Form von "Anwerbeversuchen" gab es schon seit dem 17. Jahrhundert das sogenannte "Soldatenpressen". Die Verschwendungssucht der absolutistischen Fürsten verschlang ungeheure Geldsummen. Um der permanenten Geldnot abzuhelfen, entdeckten einige Landesherren eine neue Geldquelle: Sie verkauften ihre Landeskinder. Junge Männer, oft nicht älter als 15 oder 16 Jahre, wurden an kriegführende Länder verkauft. So kämpften z.B. im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg tausende deutscher Soldaten unter englischem Kommando. Der erste, der solche sogenannten Subsidienverträge abschloss, war der katholische Bischof von Münster, Bernhard von Galen, der zwischen 1665 und 1677 ungefähr 8.000 Mann an England, Frankreich, Spanien, Dänemark und den Kaiser vermietete, natürlich immer an den Meistbietenden. So verschacherte Wilhelm der VIII. von Hessen z. B. 6.000 Landeskinder an Georg II. von England, der sich mit Maria Teresia verbündet hatte, und weitere 6.000 hessische Männer an Karl VII., der ja mit Maria Teresia Krieg führte. So durften sich die Hessen gegnseitig abschlachten. Für jeden Toten kassierte der Landesvater 30 Kronen, für jeden Verwundeten 10 Kronen.
Der älteste würtembergische Subsidienvertrag datierte von 1752 und wurde zwischen Herzog Karl Eugen und Frankreich abgeschlossen.
Friedrich Schiller hat diesen Soldatenhandel in seinem Trauerspiel Kabale und Liebe (2. Akt, 2. Szene) literarisch verarbeitet:
Im 2. Akt, 2. Szene überbringt der Kammerdiener der Mylady im Namen des Herzogs ein Geschenk zu ihrer Hochzeit: Brillanten. Erstaunt will sie nun wissen, wie viel der Herzog wohl dafür bezahlt hätte.
"Sie kosten ihn keinen Heller. Gestern sind siebentausend Landskinder nach Amerika fort - Die zahlen alles".

5 Dänemark versuchte ab 1761 durch Kolonisten die Heide in Jütland und Schleswig urbar zu machen. ..... mehr zu Deutsche in Dänemark mehr