barabara

Die deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet in der Zwischenkriegszeit

Wer war mit der Bezeichnung "Kulak1" gemeint?

Das Gesetz vom 15. Dezember 1928 in Verbindung mit dem Gesetz über die Arbeitsordnung in kulakischen Betrieben vom 20. Februar 1929 macht eine klare Definition des Begriffes "Kulak" nötig. Als Kulak galt bisher meistens jeder Bauer, der nach dem Wahlgesetz vom 4. November 1926 das politische Wahlrecht verlor, weil er ständige fremde Arbeitskraft, wenn auch nur eine einzige, oder mehr als zwei Erntearbeiter beschäftigte. Alle diese Bauern liefen Gefahr, nicht mehr als „werktätig" anerkannt zu werden und das Landnutzungsrecht einzubüßen.

aus: Auszug aus dem Bericht ,,Die Änderung der grundlegenden Agrargesetzgebung Rußlands durch das Bundesgesetz vom 15. Dezember 1928 in: „Berichte über Landwirtschaft", 1929, Seite 193—220;

Der Ausdruck "Kulak" war eine seit dem 19. Jahrhundert verwendete Bezeichnung für relativ wohlhabende Bauern und bedeutete wörtlich "Faust", im übertragenen Sinne der Mann, der das Dorf unter seiner Faust hält.

Viktor Deni: Brot ist Macht. Kulak = Blutsauger: Was kümmert mich der Hunger?!
der fette Kulak sitzt auf seinem Reichtum

Anfang des 20. Jahrhunderts erhielt der Begriff einen abwertenden Charakter und wurde für den gewinnsüchtigen Krämer benutzt, der mit Waren- und Geldgeschäften die Bauern be-wucherte und vor allem für den rücksichtslos vorwärts strebenden Bauern, der durch Bestechung und anderen Praktiken (Wodka) in allen gemeindewirtschaftlichen Ange-legenheiten sich große Vorteile verschaffte.

Später wurde den "Kulaken", die gelegentlich aus Nächstenliebe den in Not geratenen Nachbarn Geld oder Korn ausliehen, nachgesagt, dass sie den Armen Geld gegen hohe Zinsen oder unter Auferlegung einer schweren Abarbeitungslast aus-liehen.

Kulak und Jude wurden auf der gleichen Ebene dargestellt
Kulak und Jude wurden auf der gleichen Ebene dargestellt

Mit seiner kapitalistischen Einstellung (Verkauf seiner Erzeugnisse zu günstigen Preisen, Speichern der Vorräte seiner Ernte für schlechte Jahre, Getreideeinkauf zu günstigen Preisen) wurde der "Kulak" als konterrevolutionär angesehen, denn sein Verhalten harmonierte nicht mit der der russischen Staatswirtschaft. Kurz gesagt war der "Kulak" mit seiner relativ prosperierenden Wirtschaft allein durch seine Existenz unbequem, da er damit Zeugnis für die Leistungsfähigkeit der Privatwirtschaft ablegte.

Der "Kulak" wurde nun rechtlich mit denjenigen gleichgestellt, denen das politische Wahlrecht nach dem Wahlgesetz Artikel 69 vom 4. November 1926 entzogen worden war. Im "werktätigen" Arbeiter- und Bauernstaat durften weder wählen noch gewählt werden

  1. Personen, die zwecks Erzielung von Gewinn Lohnarbeiter beschäftigen;
  2. Personen, die von arbeitslosem Einkommen leben, wie z. B. von Kapitalzinsen, Einnahmen aus Unternehmen, Erträgen aus Vermögen usw.;
  3. Privatkaufleute, Handels- und kommerzielle Vermittler;
  4. Mönche und Diener der religiösen Kulte aller Bekenntnisse und Sekten, wenn sie diesen Dienst berufsmäßig ausüben;
  5. Angestellte und Agenten der früheren Polizei, des besonderen Gendarmeriekorps und der Ochrana-Abteilungen, Mitglieder des ehemaligen russischen Herrscherhauses, sowie Personen, die früher die Tätigkeit der Polizei, der Gendarmerie und der Strafexpeditionen geleitet haben;
  6. auf vorgeschriebenem Wege für geisteskrank oder irrsinnig erklärte Personen;
  7. Personen, die wegen eigennütziger oder entehrender Verbrechen bestraft sind, auf die Dauer einer vom Gesetz vorgeschriebenen oder durch Gerichtsbeschluss festgesetzten Frist.
Viktor Deni: die Feinde des 5 Jahresplans, 1931
Viktor Deni: die Feinde des 5 Jahresplans: "Kulaken", Säufer, Popen, käufliche Journalisten, Kapitalisten, Menschewiki und "Weißgardisten", 1931

Durch den Verlust des Wahlrechtes wurde die betreffende Person zum 'Lischenzy' (Menschen ohne Rechte) deklassiert, stand somit auf der sogenannten "Schwarzen Liste" und durfte weder in den Vorstand einer Genossenschaft noch in den Dorfrat gewählt werden. Er war somit den örtlichen Obrigkeiten und den Beschimpfungen neidischer Dorfbewohner wehrlos ausgesetzt. Außerdem waren seinen Kindern fortan die Hochschulen verschlossen.

 „... ''Lischenzy'' sind solche Sowjetbürger, die ihr Wahlrecht und hiermit beinahe ihre sämtlichen sonstigen Rechte, darunter die Rechte auf Brotkarte und Wohnfläche, verloren haben, weil sie, nach Erkundungen der gestrengen Behörde nicht zu den Werktätigen gehören. Unter Werktätige versteht man in Rußland Angestellte der Staatsämter, Fabrikarbeiter und Kleinbauern, letztere nur dann, wenn sie selbständig ihren Acker bebauen, ohne bezahlte Arbeiter zu benutzen. Alle anderen Bevölkerungsschichten, etwa Kleinhändler, Inhaber kleiner Werkstätten oder Menschen, die überhaupt keine Tätigkeit aufzuweisen haben, werden als „klassenfremdes Element“ betrachtet und dementsprechend behandelt.
Die Kinder solcher ''Lischenzy'' haben es schwer im Leben weiterzukommen. Die ''Sünden der Väter'' rächen sich bis zur vierten Generation.... Die ''Lischenzy''-Nachkommen begegnen überall großem Mißtrauen. Sie werden aus der Partei, aus den Amtsstellen und den Hochschulen erbarmungslos hinausgestoßen, oder, wie man sich in Rußland auszudrücken pflegt, ''herausgesäubert''....“

aus: Ich verzichte auf meine Eltern …, in: Der Kompaß (Deutsche Tageszeitung in Brasilien), 29. Jahrgang, Nr. 42 vom 14. April 1930;

 "Wohlhabend" und "Kulak" war dasselbe, wenn auch der Begriff der Wohlhabenheit von Gegend zu Gegend unterschiedlich interpretiert wurde. So galt in landreichen Gegenden der Besitzer von 6 Pferden als Mittelbauer, während in armen Gebieten schon das zweite Pferd unbeliebt und verdächtig machte. Oft wurde der Bauer nur deshalb als "Kulak" abgestempelt, weil er früher einmal wohlhabend gewesen war und aus diesem oder auch anderen Gründen die Gesinnung eines "Kulak" bei ihm vorausgesetzt wurde; im günstigsten Fall konnte ihn völlige Verarmung rehabilitieren.

 „Die neue Gesetzgebung erkennt Wirtschaften, die ständige Lohnarbeiter bis zu einer gewissen Grenze verwenden, als werktätig an und unterscheidet von diesen Betriebe von kulakischem Typus, denen der werktätige Charakter abgesprochen wird.
Die Frage, wo die Grenze zu ziehen ist, soll demnächst auf gesetzgeberischem Wege entschieden werden. Im Landwirtschaftskommissariat der RSFSR. neigt man zur Zeit der Lösung zu, daß die Klassifizierung der Wirtschaft als werktätig oder als kulakisch davon abhängen soll, ob Familienkräfte oder Lohnarbeiter im Betriebe überwiegen. Dies würde die Zahl der als Kulak geltenden Bauern sehr vermindern und der Expansion der bäuerlichen Wirtschaft bis zu der gefährlichen Grenze des Kulaks einen erheblich größeren Spielraum gewähren. Jedenfalls aber wird eine klare Definition .... schon an sich eine Verbesserung der zur Zeit sehr verwirrten und widerspruchsvollen Lage bedeuten.“

aus: Auszug aus dem Bericht ,,Die Änderung der grundlegenden Agrargesetzgebung Rußlands durch das Bundesgesetz vom 15. Dezember 1928 in: „Berichte über Landwirtschaft", 1929, Seite 193—220.

Personen, denen das Wahlrecht aufgrund ihrer Klassen- und Standeszugehörigkeit entzogen worden war, die sogenannten Lischenzy, konnten allerdings die Bürgerrechte beantragen und erhalten, wenn sie ihre sozialistische Gesinnung glaubhaft machen konnten.
Es kam vor, dass sich Kinder von ihren Eltern gesetzlich trennten. Anzeigen, wie „Ich, als Tochter eines ehemaligen Priesters, trenne mich hiermit von der Kaste der Geistlichkeit“, „Ich habe die Beziehungen zu meinen Eltern abgebrochen und lebe unabhängig von ihnen seit zwei Jahren“ oder „Ich verzichte auf meinen Vater, den ich als fremdes Element betrachte“ konnte man täglich in allen zentralen und lokalen Zeitungen in Sowjetrussland lesen.

Schon Heranwachsende durften aus der Familie austreten, falls sie so weitgehende weltanschauliche Differenzen mit dem Vater oder der Mutter hatten, dass ein Zusammenleben für sie erschwert war. Diese Heranwachsenden fanden bei der kommunistischen Kinderorganisation, den ''Pionieren'', Anschluss. Die Pioniere, im strengen Sowjetgeist erzogen, traten dann mit den Jahren in den Komsomol ein, vom Komsomol, dem kommunistischen Jugendbund, führte dann ein direkter Weg in die Partei.

 „... Selbstverständlich verlässt ein Pionier das Elternhaus nur im äußersten Fall. Üblicherweise bleibt er bei den Eltern wohnen, ohne jedoch die „Familienbeziehungen“ zu pflegen.
Welche Eltern sind es nun, die eine derart schlechte Behandlung durch ihre Kinder zu erdulden haben? Das sind gewöhnlich Leute aus ehemals bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Kreisen. Menschen, die dem Sowjetsystem ohne besondere Freundlichkeit oder gar mit Feindschaft gegenüberstehen, die in die Kirche oder gar, was das Höchstmaß des Übels bedeutet, „Lischnzy“ sind....“

aus: Ich verzichte auf meine Eltern …, in: Der Kompaß (Deutsche Tageszeitung in Brasilien), 29. Jahrgang, Nr. 42 vom 14. April 1930;
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Anmerkungen

1 Kulak = Bezeichnung für den russischen Mittel- und Großbauern aber auch eine abfällige Bezeichnung der wohlhabenden Bauern auf dem Lande. Kulak, was wörtlich übersetzt “Faust“ bedeutet (jemand, der seinen Besitz fest in den Fäusten hält), wird im Sinne von “Wucherer“ oder “Dorfkapitalist“ gebraucht. Jemanden, der kleine Bauern und seinen in Not geratenen Nachbarn um Hab und Gut gebracht hatte.
Nach der Oktoberrevolution von 1917  und im Verlauf der Kollektivierungsmaßnahmen (1929/30) unter Stalin wurde der Begriff Kulak zum Schimpfwort und auf alle angeblichen 'Ausbeuter' in der Landwirtschaft ausgedehnt und als feindliche 'Klasse' liquidiert. Auch Witwen und alte Bauern fielen unter diese Kategorie, weil sie einen Knecht oder eine Magd beschäftigten.
1919 war ein Kulak der, der zwei Häuser mit Blechdach, mehr als fünf Kühe oder Pferde oder mehr als 20 Schafe besaß. Auf dem Höhepunkt der Kollektivierung (1932) bedeutete bereits geringfügiges landwirtschaftliches Eigentum, wie zum Beispiel eine Kuh oder die Beschäftigung von Tagelöhnern oder Mägden und Knechten als Kulakentum und führte zu Zwangsmaßnahmen: Schon seit 1927 mussten sie höhere Steurn bezahlen und bekamen keine Kredite oder Geräte mehr. Viele verkleinerten ihre Anbaufläche und ihren Viehbestand, um kein 'Kulak' mehr zu sein, was dazu führte, dass bald Getreide für den Export und zur Versorgung der Städte fehlte.
Im Herbst 1929 wurde es den Kulaken verboten, in die entstehenden Kollektive einzutreten, weil man dort ihre Meinungsführerschaft fürchtete, was dann zu Enteignung und schließlich zu Deportation in menschenleere Gebiete oder in den Gulag führte. Oft wurden auch die Familienangehörigen der 'Kulaken' und sogar angebliche Kulakensöldlinge verfolgt.
Auf der Grundlage der Beschlüsse des Zentralexekutivkomitees und des Rates der Volkskommissare vom 30. Januar und 1. Februar 1930 und einer Instruktion vom 4. Februar wurden alle Kulaken in drei Kategorien eingeteilt: die Bauern der 1. Kategorie galten als 'konterrevolutionäre Elemente', die sofern sie Anzeichen fortgesetzten Widerstands zeigten, entweder gleich erschossen, oder in ein Arbeitslager der GPU (Staatssicherheitsdienst) gebracht wurden. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt und ihre Angehörigen fielen unter die Deportierten.
Die Kulaken der 2. Kategorie waren zwar weniger gefährlich, galten aber als 'fürchterliche Ausbeuter'. Sie wurden enteignet, verhaftet und mit ihren Familien in entlegene Gebiete deportiert.
Die Kulaken der 3. Kategorie galten als 'staatstreu, wurden enteignet und in unfruchtbare, unkultivierte Zonen ihrer Distrikte umgesiedelt.