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Die deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet in der Zwischenkriegszeit

Joseph Stalin
Joseph Stalin

Auf der Konferenz marxistischer Agrarsachverständiger vom 20. bis 27. Dezember 1929 erklärte Stalin, dass die kollektivwirtschaftliche Bewegung inzwischen solche Fortschritte gemacht habe, dass der Kulak1 nunmehr entbehrlich geworden sei und forderte dazu auf, das Kulakentum zu Boden zu werfen und den Weg für einen umfassenden sozialistischen Aufbau im Dorfe zu bahnen.... Eine Offensive gegen das Kulakentum unternehmen, das heißt das Kulakentum zerschlagen und als Klasse liquidieren. ....

aus: Zu Fragen der Agrarpolitik in der UdSSr in: J.W. Stalin Werke, Band 12, April 1929 - Juni 1930;

„Um das Kulakentum als Klasse zu verdrängen, muss man den Widerstand dieser Klasse in offenem Kampf brechen und ihr die Quellen ihrer Existenz und Entwicklung in der Produktion (freie Bodennutzung, Produktionsinstrumente, Pacht, Recht auf Anwendung von Lohnarbeit usw.) entziehen. ...“

aus: Heiko Zänker: Stalin-Tod oder Sozialismus, Books on Demand GmbH, Norderstedt, 2002, S. 153;
gemeinsam gegen die Kulaken
gemeinsam gegen die Kulaken
ohne Rücksicht sollte schnell eine neue Menschenklasse geschaffen werden
ohne Rücksicht sollte schnell
eine neue Menschenklasse
geschaffen werden

Alle Groß- und Mittelbauern, die von den kommunistischen Behörden als Kulaken bezeichnet wurden, mussten als solche fortan doppelt soviel Steuern bezahlen.

Wer der Pflicht nicht genügte, wurde zur Strafe mit dem fünffachen Geldwert belegt und mußte sich gefallen lassen, daß ihm die Gebäude, lebendes und totes Wirtschaftsinventar sowie der Hausrat zwangsweise versteigert wurden; er zog als Bettler ab, sofern er nicht noch ins Gefängnis gesetzt wurde.

Um dem Stigma des Kulaken und der damit auferlegten Steuererhöhung zu entkommen, verkleinerten die Betroffenen oft ihre Anbaufläche, ließen das Land unbestellt, liquidierten ihre Höfe und verkauften ihr Vieh. Es ist vorgekommen, .... daß ein Pferd für 60 Kopeken versteigert wurde.

Um nicht wegen Steuerrückständigkeit eingesperrt zu werden und rücksichtsloser Zwangsversteigerung zu verfallen, mussten viele nun auch bei mittlerer Ernte Pferde und Kühe und totes Inventar verkaufen, was wiederum als konterrevolutionär angesehen wurde.

Obwohl es streng verboten war, Jungvieh abzuschlachten, kam es trotzdem vor, mit der Begründung, daß das Kalb ein Bein gebrochen habe oder erfroren oder aus anderer Ursache krepiert sei, oder er fühlt sich mit der ganzen Gemeinde solidarisch, wenn er ohne jede Ausrede mit dem Tier kurzen Prozeß macht, da er sich den Luxus der Aufzucht nicht leisten kann....
Die Verluste an Vieh betrugen 150 Millionen Stück, was mehr als die Hälfte der Bestände ausmachte.

Steuereintreiber und Kulak
Steuereintreiber und Kulak

Laut Otto Auhagen, Landwirtschaftsexperte der deutschen Botschaft in Moskau hatte der Viehbestand eine geradezu katastrophale Verminderung erfahren und war im letzten Jahr (1929/30) schätzungsweise auf weniger als die Hälfte zusammengeschmolzen.

„.. Der Mangel an Fleisch, Milch, Butter und Eiern wird sich in diesem Jahre auch für die Stadt in empfindlichster Weise verschärfen. ..“

Der passive Widerstand der Bauern äußerte sich außerdem in der Tatsache, dass sie sich weigerten, Getreide zu den staatlichen Aufkaufspreisen abzugeben und, dass sie einfach weniger Getreide angebaut wurde.

Im Herbst 1929 wurde den sogenannten Kulaken verboten, in die entstehenden Kolchosen2 einzutreten, weil man dort ihre Meinungsführerschaft fürchtete.

Angesichts des wirtschaftlichen und politischen Druckes flüchteten über 10.000 deutschstämmige Kolonisten aus Sibirien, Kasachstan, Orenburg, der Krim und den Bezirken Stawropol und Armawir im Nordkaukasusgebiet nach Moskau, um von dort weiter nach Deutschland auszuwandern.

massenweise strömten die Menschen in die Städte
massenweise strömten die Menschen in die Städte
Wir wollen keine Kulaken in den Kolchosen
Wir wollen keine Kulaken in den Kolchosen

Auhagen berichtete am 11. Oktober 1929 an die Botschaft in Moskau :

„.... Die Gründe, die zu diesem Verzweiflungsschritt getrieben haben, sind überall dieselben. 1928 galt der Kampf der Regierung nur der eigentlichen Oberschicht des Bauernstandes, dem Kulak, der aber damals noch hoffen konnte, wenigstens als Mittel- oder Kleinbauer weiterzubestehen. 1929 wurden sehr viel brutalere Methoden ersonnen. Ein gewisser, zunächst noch nicht großer Teil der Oberschicht verfiel zu Ausgang des Winters und im Frühjahr der zwangsmäßigen Aussiedlung als angebliche Angehörige des früheren Gutsbesitzerstandes.
Das eigentliche Verhängnis brachte aber im Sommer die neue Methode der Auferlegung von Getreidelieferungen. Die Gemeinden wurden veranlaßt, „freiwillig" hohe Lieferungen zu beschließen, mit denen die Wirtschaften bis zu den schwachen Mittelbauern herab belegt wurden. Obgleich schon in der vorhergehenden Zeit große Lieferungen erfolgt waren, sollten nun als „überschüssiges" Getreide Mengen abgegeben werden, die bei vielen überhaupt nicht vorhanden waren. Die Ablieferung halte binnen kürzester Frist zu erfolgen; viele sahen sich genötigt, Pferd und Kuh zu verkaufen, um Getreide zu 5 bis 7 Rubel je Pud zu erstehen und es für 1,10 Rubel abzugeben; in manchen Gegenden war Getreide überhaupt nicht käuflich aufzutreiben.

aus: Otto Auhagen: Die Schicksalswende des Russlanddeutschen Bauerntum in den Jahren 1927-1930, S. Hirzel Verlag, Leipzig, 1942, S. 50 ff;

Ein Teil dieser Flüchtlinge durfte nach längerem bürokratischen Tauziehen mit den sowjetischen Behörden auswandern und die anderen wurden in ihre Heimatdörfer zurückgeschickt.
Deutschland nahm 5.750 Flüchtlinge vorübergehend bis zur Weiterreise nach Übersee auf.

Auf einem Treffen mit Churchill am 16. August 1942 meinte Stalin: „... Die Kolchosenpolitik, ein vierjähriger Kampf (1928-1932), war schlimmer als die Kriegsbelastungen. Davon waren 10 Millionen Kulaken betroffen....“

aus: Winston Churchill: The Second World War: Volume IV – The Hinge of Fate, 1950, 1978. Boston, MA: Houghton Mifflin Company, S.447;
Churchill und Stalin in Moskau, 16. August 1942
Churchill und Stalin in Moskau, 16. August 1942
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Anmerkungen

1 Kulak = Bezeichnung für den russischen Mittel- und Großbauern aber auch eine abfällige Bezeichnung der wohlhabenden Bauern auf dem Lande. Kulak, was wörtlich übersetzt “Faust“ bedeutet (jemand, der seinen Besitz fest in den Fäusten hält), wird im Sinne von “Wucherer“ oder “Dorfkapitalist“ gebraucht. Jemanden, der kleine Bauern und seinen in Not geratenen Nachbarn um Hab und Gut gebracht hatte.
Nach der Oktoberrevolution von 1917  und im Verlauf der Kollektivierungsmaßnahmen (1929/30) unter Stalin wurde der Begriff Kulak zum Schimpfwort und auf alle angeblichen 'Ausbeuter' in der Landwirtschaft ausgedehnt und als feindliche 'Klasse' liquidiert. Auch Witwen und alte Bauern fielen unter diese Kategorie, weil sie einen Knecht oder eine Magd beschäftigten.
1919 war ein Kulak der, der zwei Häuser mit Blechdach, mehr als fünf Kühe oder Pferde oder mehr als 20 Schafe besaß. Auf dem Höhepunkt der Kollektivierung (1932) bedeutete bereits geringfügiges landwirtschaftliches Eigentum, wie zum Beispiel eine Kuh oder die Beschäftigung von Tagelöhnern oder Mägden und Knechten als Kulakentum und führte zu Zwangsmaßnahmen: Schon seit 1927 mussten sie höhere Steurn bezahlen und bekamen keine Kredite oder Geräte mehr. Viele verkleinerten ihre Anbaufläche und ihren Viehbestand, um kein 'Kulak' mehr zu sein, was dazu führte, dass bald Getreide für den Export und zur Versorgung der Städte fehlte.
Im Herbst 1929 wurde es den Kulaken verboten, in die entstehenden Kollektive einzutreten, weil man dort ihre Meinungsführerschaft fürchtete, was dann zu Enteignung und schließlich zu Deportation in menschenleere Gebiete oder in den Gulag führte. Oft wurden auch die Familienangehörigen der 'Kulaken' und sogar angebliche Kulakensöldlinge verfolgt.
Auf der Grundlage der Beschlüsse des Zentralexekutivkomitees und des Rates der Volkskommissare vom 30. Januar und 1. Februar 1930 und einer Instruktion vom 4. Februar wurden alle Kulaken in drei Kategorien eingeteilt: die Bauern der 1. Kategorie galten als 'konterrevolutionäre Elemente', die sofern sie Anzeichen fortgesetzten Widerstands zeigten, entweder gleich erschossen, oder in ein Arbeitslager der GPU (Staatssicherheitsdienst) gebracht wurden. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt und ihre Angehörigen fielen unter die Deportierten.
Die Kulaken der 2. Kategorie waren zwar weniger gefährlich, galten aber als 'fürchterliche Ausbeuter'. Sie wurden enteignet, verhaftet und mit ihren Familien in entlegene Gebiete deportiert.
Die Kulaken der 3. Kategorie galten als 'staatstreu, wurden enteignet und in unfruchtbare, unkultivierte Zonen ihrer Distrikte umgesiedelt.