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Die Auswanderung der württembergischen Chiliasten

(Teil 3 von 4)

Neuer Anfang in Transkaukasien

Die etwa 500 Familien, die nach erheblichen Strapazen, am 20. September 1817, fast ein Jahr nach ihrer Abreise aus dem Königreich Württemberg in Tiflis in Transkaukasien (Grusien) ankamen, wurden nach Plan auf die zu gründende Kolonien aufgeteilt.

In den ersten Jahren zwischen 1818-1819 kamen insgesamt 2.629 deutsche Siedler nach Transkaukasien. Sie gründeten vornehmlich um Tiflis (im heutigen Georgien) sechs Kolonien: 1817 die Kolonie Marienfeld (heute Sartitschala), 1818 die Kolonien Neu-Tiflis, Katharinenfeld, Elisabethtal (heute Asureti), Alexanderdorf (heute Liebknechtsdorf) und 1819 Petersdorf.

deutsche Siedlungen in Transkaukasien
deutsche Siedlungen in Transkaukasien

 

Reste der deutschen Kirche in Assureti, erbaut
Assureti Reste der
deutschen evangelisch-lutherische Kirche,
erbaut 1871

Nach weiteren Zuzügen und infolge der über-durchschnittlich hohen Kin-derzahlen der deutschen Familien (über 5 Kinder pro Familie) bei einer auf den ältesten Sohn zentrierten Vererbung folgten weitere Siedlungen.

Zu nennen sind im heutigen Aserbaidschan die Mutter-kolonien Annenfeld (1818) und Helenendorf (1819) und die Tochterkolonien Ge-orgsfeld (1885; auch Leninfeld, Leninkent, Tschinari, Tschinarly), Alexejewka (1904; auch: Kirowka; heute: Gasan-Su), Eigenfeld (1906; auch Jermaschli; heute Irimaschly), Grünfeld (1906; heute Wurgunia) und Traubenfeld (1912; auch: Taus, Towus, heute: Tovuz) und Jelisawetinka (1914; auch Akstafa).

Reste des deutschen Friedhofes in Assureti
Reste des deutschen Friedhofes in Assureti

In den 1920er Jahren kamen die deutschen Dörfer Marxowka und Kirowka hinzu. Die Gründer dieser Tochterkolonien stammten aus den Ursprungsgemeinden um Helenen-dorf und Annenfeld.

Es soll hier auch erwähnt werden, dass sich auch andere Übersiedler, wie Schweizer, Holländer oder Italiener den im Trans-kaukasus lebenden Deutschen anschlossen. In der Stadt Schuscha im Gebiet Berg-Karabach entstand beispielsweise eine An-siedlung von Missionaren aus Basel.

Die Schwierigkeiten der Anfangsjahre

Lehmhütte
Lehmhütte

Die Anfangsjahre des Kolonielebens waren sehr schwer. Sie waren von Hunger und Armut geprägt. Erste eigene Unterkünfte waren Erd- oder Lehmhütten.

Problematisch waren das heiße Klima und das schlechte Trinkwasser. Zahlreiche Kin-der der Kolonisten starben im Säuglingsalter an Dysenterie (Blutdurchfall). Malaria und Typhus führten zu zahlreichen Todesfällen unter den Erwachsenen. Nach einem Jahr (1818) waren in Katharinenfeld z. B. 256 Personen den Strapazen der Neubesiedlung und der Malaria zum Opfer gefallen. In den ersten 20 Jahren der Besiedlung gab es mehr Sterbefälle als Geburten. Die Kolonisten tranken kein ungekochtes Wasser mehr.

Annenfeld und Katharinenfeld mussten nach kurzer Zeit sogar verlegt werden.

Überfall
Tartaren

1826 wurden die Kolonien Annenfeld, Helenendorf und Katharinenfeld von Kurden, Persern, Türken und Tataren geplündert und teilweise auch zerstört. Auch kam es zu Überfällen von. Zuerst wurden die Pferde gestohlen, dann kamen etwa ”1.000 Berittene”. Von 400 Bewohnern der Kolonie überlebten etwa 250 unverletzt den Überfall, 31 Tote wurden gezählt, hinzu kamen zahlreiche Verwundete. 45 Kolonisten wurden entführt und versklavt. Einigen von ihnen gelang die Flucht nach Tiflis.

Neu-Tiflis um 1900
Neu-Tiflis um 1900

Ähnliche brutale Überfälle hatten die Kolonien Annenfeld und Helenendorf schon am 9. und 10. Mai 1826 erleben müssen. Doch trotz aller Rückschläge erlangten die deutschen Kolonien dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Blütezeit, wobei mit dem Wohlstand auch das protestantische Gemeindeleben wuchs. Die deutsche Minderheit war ökonomisch unabhängig, kirchlich-religiös stabil, und etwa 45.000 Deutschstämmige lebten derzeit in Südkaukasien, die meisten aber in Georgien.

 

Vor dem Ersten Weltkrieg lebten in Transkaukasien (Aserbaidschan und Georgien) 20.000 Deutsche. Davon waren 13.000 schwäbische Kolonisten, die sich nun schon über 23 Kolonien (mit Tochterkolonien) verteilten und über einen Landbesitz von 46.000 Hektar verfügten.

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Anmerkungen

2 Die Mutterkolonie Marienfeld (Rosenfeld, heute Sartitschala) wurde 1817 von 34 pietistisch-chiliastischen Familien aus Württemberg im heutigen Georgien gegründet. Sie lag im Südkaukasus etwa 55 km im Osten von Tiflis. 1830 wurde das Kirchspiel Marienfeld gegründet. Ihm gehörten 1905 1.002 Eingepfarrte an. Ihren Namen erhielt die Kolonie zu Ehren der Kaiserinmutter Maria Feodoreona, der Schwester des Königs Friedrich I. von Württemberg. 1941 wurde die deutsche Bevölkerung, die nicht mit Georgiern verheiratet waren, nach Sibirien und Kasachstan deportiert.

6 Neu-Tiflis (auch: Michaelsdorf; im heutigen Georgien; heute liegt sie im Zentrum der Stadt Tiflis) Die Kolonie ist geographisch nicht mehr eindeutig nachweisbar. Sie wurde 1818 zwei Kilometer nördlich vor den Toren der Stadt von 60 Handwerkerfamilien, die vor allem aus Württemberg stammten, gegründet. 1861 wurde sie verwaltungstechnisch mit der Stadt verbunden.

4 Die Mutterkolonie Katharinenfeld (auch: Alt-Katharinenfeld) wurde 1818 von 135 Familien aus Württemberg (Schwaikheim) im heutigen Georgien gegründet und lag etwa 180 km südöstlich von Tiflis. Den Namen Katharinenfeld erhielt die Kolonie nach der Königin Katharina von Württemberg (Schwester von Zar Alexander I.). Die ungünstigen klimatischen Bedingungen begünstigten allerdings die Ausbreitung der Malaria unter den Siedlern, sodass nach einem Jahr 256 Personen den Strapazen der Neubesiedlung und der Malaria zum Opfer gefallen waren. Einem Gesuch nach Umsiedlung gab die Kolonialverwaltung nach und wies den 115 Familien ein 60 km südwestlich von Tiflis gelegenes Gebiet zu. Hier entstand die Kolonie Neu-Katharinenfeld (ab 1921 Luxemburg, ab 1944 Bolnisi). Aber auch hier kam es zu weiteren Todesfällen durch Entbehrungen und Krankheiten, so dass die Kolonie auf 95 Familien zusammenschmolz. 1935 wurden 352 Einwohner verhaftet, verschleppt oder ermordet. 1941 wurde die deutsche Bevölkerung, die nicht mit Georgiern verheiratet waren,nach Sibirien und Kasachstan deportiert.

1 Die Mutterkolonie Elisabethtal (heute: Assureti in Georgien) wurde am 19. November 1818 von 65 pietistisch-chiliastischen Familien aus Württemberg gegründet. Der Name der Kolonie leitet sich aus dem Gründungsdatum ab. Der 19. November ist der Namenstag für den aus dem Hebräischen stammenden weiblichen Vornamen Elisabeth (Gott ist gnädig). Die Kolonie lag etwa 22 km im Südwesten von Tiflis am kleinen Fluss Assurrd.
Bereits 1860 wurde nach Verdoppelung der Einwohnerzahl die Tochterkolonie Alexanderhilf etwa 45 km südwestlich von Elisabethtal. 1941 wurde die deutsche Bevölkerung, die nicht mit Georgiern verheiratet waren, nach Sibirien und Kasachstan deportiert.

3 Die Mutterkolonie Alexanderdorf (Liebknechtsdorf) wurde 1818 von 23 pietistisch-chiliastischen Familien aus Württemberg im heutigen Georgien gegründet. Den Namen erhielt die Kolonie zu Ehren des Zaren Alexander I., der von den Kolonisten als Bezwinger Napoleons und als „Mann biblischer Verheißung“ verehrt wurde. 1941 wurde die deutsche Bevölkerung, die nicht mit Georgiern verheiratet waren, nach Sibirien deportiert.
1861 wurde das Dorf verwaltungstechnisch mit der Stadt Tiflis verbunden und gehört heute zum Stadtteil Didube-Tschuguretivon.

5 Die Mutterkolonie Petersdorf (Rosendorf) im heutigen Georgien wurde 1819 von 12 württembergischen Familien im ehemaligen Dorg Thelethi gegründet. Die Kolonie hieß ursprünglich „Kolonie der 12 Apostel“ und lag in unmittelbarer Nähe von Tiflis (Saganlug). Als 1820 Georgier Ansprüche auf das Gelände anmeldeten,musste die Kolonie geräumt werden und entstand unter dem Namen Petersdorf in unmittelbarer Nähe von Marienfeld neu. 1941 wurde die deutsche Bevölkerung, die nicht mit Georgiern verheiratet waren, nach Sibirien und Kasachstan deportiert.

7 Die Mutterkolonie Annenfeld (Schamchor, heute Schamkir in Aserbaidschan) wurde 1818 von Siedlern aus Württemberg gegründet. Die Kolonie lag 20 kmnorwestlich von Elisawtpol. Ihren Namen erhielt sie zu Ehren der Großfürstin Anna Pawlowna (Königin der Niederlande). Die ungünstige Lage der Kolonie (mitten in der Steppe) und die klimatischen Bedingungen führten im ersten Jahr zu einer sehr hohen Todesrate unter den Einwohnern (Malaria), was dazu führte, dass die Kolonie nach einem Jahr verlegt werden musste.
1826 wurde die Kolonie durch Tataren überfallen und fast völlig zerstört. Die Einwohner konnten sich nur durch die Flucht retten. 1935 wurden rund 600 Einwohner aus Helendorf und Annental wegen des Vorwurfs der Spionage für Deutschland nach Karelien deportiert. Im Oktober 1941 wurde sämtliche Einwohner nach Kasachstan deportiert.

8 Die Mutterkolonie Helenendorf (auch: Xanlar oder Chanlar; heute Göygöl in Aserbaidschan) wurde am Osterdienstag 1819 an der alten Seidenstraße am Fluss Gandsha von 363 Siedlern aus Württemberg gegründet. Sie lag an der Stelle, an der sich vorher das Tatarendorf Chanlar befand. Ihren Namen erhielt sie nach der Großfürstin Helena Pawlowna (Großherzogin von Mecklenburg-Schwerin und Schwester des Zaren Alexander I.). Die Gründerfamilien kamen aus Schwaben. Nach ihrer Ankunft wurden die Kolonisten vorübergehend in Gandscha, in armenischen Häusern einquartiert. 1825 wurde das Dorf von Kurden geplündert; von da ab schützten bewaffnete Kosaken das Dorf bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Im Jahre 1900 lebten in der Kolonie 1.820 Einwohner, jedoch nur 222 deutsche Kolonisten aber 588 Russen und Kosaken, 410 Armenier, 120 Tataren, 140 Perser und Vertreter anderer Nationalitäten.
1935 wurden rund 600 Einwohner aus Helendorf wegen des Vorwurfs der Spionage für Deutschland nach Karelien deportiert. Im Oktober 1941 wurde sämtliche Einwohner nach Kasachstan deportiert.

9 Die Tochterkolonie Georgsfeld (auch: Leninfeld, Leninkent, Tschinari, heute: Tschinarly in Aserbaidschan) lag etwa 15 km im Nordnordwesten von Elisawtpol und wurde 1885 von Kolonisten aus Helenendorf gegründet. Nach der russischen Revolution hieß die Kolonie Leninfeld. Durch den Fluss Schamchor wurde der Ort mittels Bewässerungskanälen versorgt. Das Trinkwasser musste aus Quellen des nahen Gebirges gewonnen werden, da der Fluss Schamchor stark kupferhaltiges Wasser enthält, das in der Gründerzeit zu Erkrankungen der Kolonisten führte. Die Gemeinde gehörte zum Kirchspiel Annenfeld. Im Oktober 1941 wurde sämtliche Einwohner nach Kasachstan deportiert.