Du bist in: Geschichte der russischen Leibeigenen > im 19. Jahrhundert

 

Die Leibeigenschaft in Russland

im 19. Jahrhundert

(Teil 2 von 3)

Nikolaus I.

N

achfolger von Alexander I. wurde sein Bruder Nikolaus I. (Regierungszeit: 1825-1855). Mit Nikolaus begann eine Epoche, in der der blosse Gedanke als Frechheit und das schüchterne Wort als Verbrechen galt. Während seiner Regierunsgzeit wurden viele Ukase erlassen, die die gutsherrlichen Rechte und die Stellung der Leibeigenen betrafen, aber nur wenige davon sind wirklich nennenswert.

 

Mitte des 19. Jahrhunderts lebten in Russland weit über 80 Prozent der Menschen auf dem Land. Diese Bäuerinnen und Bauern waren die Lebensgrundlage des Staates, denn sie lieferten die Nahrungsmittel, stellten Soldaten und zahlten Steuern. Etwa die Hälfte von ihnen (zirka 50 Millionen Menschen) lebte in Leibeigenschaft und war der Willkür ihrer Herrinnen und Herren auf Gedeih und Verderb ausgesetzt.

Die meisten der Bauern konnten weder lesen noch schreiben und niemand, weder Staat noch Kirche noch die Gutsbesitzer waren an der Bildung dieser Menschen interessiert. Aberglaube und Zauberpraktiken waren daher weit verbreitet.

Michail Spiridonowitsch Erassi: ein russisches Dorf
Michail Spiridonowitsch Erassi: ein russisches Dorf

Über den Bauern saß, allmächtig, die Gutsherrschaft. Und über dieser wiederum saß 'Väterchen Zar'. Treue und Ergebenheit gegenüber dem Zaren zählten in Russland seit Beginn der Autokratie mehr als alle anderen Werte. 'Väterchen Zar', so glaubte man, war gütig und weise; er verstünde das Volk, wusste aber nichts von seinem Elend.

 

George Dawe: Nikolaus I.
George Dawe: Nikolaus I.

So konnte der am 2. April 1842 erlassene Ukas, 19 Jahre vor Abschaffung der Leibeigenschaft, nur als Rückschritt in der Geschichte der Leibeigenschaft, betrachtet werden. Während unter Alexander I. 1801 der Ukas über die freien Ackerbauern erlassen wurde, nach dem die Gutsherren den Bauern für ein bestimmtes Entgelt die persönliche Freiheit und den Grundbesitz überlassen konnten, heißt es im Ukas vom April 1842, dass es für den Staat notwendig sei, dass der Grundbesitz in den Händen des Adels verbleibe und deshalb den Gutsbesitzern gestattet wurde, den Bauern nur die Nutzung des Grund und Bodens für bestimmte Abgaben und Leistungen abzutreten. Diese Bauern wurden in der Kanzleisprache 'Verpflichtete Bauern' genannt. Von diesem Ukas wurde allerdings ein sehr geringer Gebrauch gemacht, denn in der ganzen Regierungszeit von Nikolaus I. wurden nur 24.708 Bauern zu 'Verpflichteten' gemacht.

Immer häufiger kam es zu Arbeitsverweigerungen, was zur Folge hatte, dass den Leibeigenen nach § 1908 des Gesetzbuches über peinliche und correctionnelle Strafen vom 15. August 1845 mit 20-50 Ruthenstreichen1 gedroht wurde, falls sie sich weigerten, ihren Frondienst in herkömmlicher Weise an drei Wochentagen, ohne Widerrede zu leisten. Andererseits wurde den Gutsherren angeordnet die gutsherrliche Gewalt nicht zu missbrauchen und den Leibeigenen weder unmäßige Abgaben und Lasten aufzubürden noch sie grausam zu behandeln.

„Der Herr.... legt ihnen die Strafen auf, welche er will, ohne sie zu verstümmeln oder ihr Leben zu gefährden zu dürfen.“

Ivan Gavrilovich Golovin: Russland hnter Nikolaus I., Leopold Michelsen, Leipzig, 1845, S. 273;

Der Leibeigene, der aber gegen seinen Herrn vor Gericht klagte, wurde nach § 1909 des Gesetzbuches über peinliche und correctionnelle Strafen durch den Henker öffentlich mit bis zu 50 Ruthenstreiche bestraft. Nur Anzeigen wegen Verheimlichung von Seelen bei der Zählung (Revision) und Denunziationen wegen Hochverrat wurden belohnt.

1 Rubel
1 Rubel

 

Außerdem wurden die Gutsherren aufgefordert, ihre Leibeigenen vor der Not zu schützen. Er sollte mit 1 Rubel 50 Kopeken Silber für jeden Leibeigenen bestraft werden, wo einer derselben beim Betteln betreten wird2.

 

Die Regierung von Nikolaus I. hatte somit nichts zur Milderung der Leibeigenschaft beigetragen und das Volk protestierte gegen die 'Ketten der Sklaverei' in seiner Weise. Von 1836-1854 wurden 144 Gutsbesitzer und 29 Verwalter von den Bauern getötet. Diese Morde waren, wie es die betreffenden Untersuchungen zeigten, meistens durch Grausamkeit, Habsucht oder Ausschweifungen der Gutsherren hervorgerufen worden. Häufiger aber als zu Verbrechen entschlossen sich die Bauern zu organisiertem Widerstand, zu Massenbewegungen.

Bauernaufstand
Bauernaufstand

Manchmal nahmen an derartigen Unruhen bis zu 20.000 Bauern teil. Die Zahl derartiger Bauernunruhen betrug 1830/34 46, 1835/39 59, 1840/44 101, 1845/49 172, 1850/54 137.

barra

indietro 1 2 3 avanti

1 Strafgesetzbuch des Russischen Reiches, promulgirt im Jahr 1845, D.R. Max, Buch-, Kunst-, Musikalienhandlung, Carlsruhe und Baden, 1847, § 1908, S.359;

2 Strafgesetzbuch des Russischen Reiches, promulgirt im Jahr 1845, D.R. Max, Buch-, Kunst-, Musikalienhandlung, Carlsruhe und Baden, 1847, § 1905, S.359;

Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 3.0

CSS validoHTML valido
2007 - 2018