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Die Leibeigenschaft in Russland

im 18. Jahrhundert

(Teil 2 von 3)

 

Anna Iwanowna
Anna Iwanowna

A

nna Iwanowna (Regierungszeit: 1730–1740), Halbnichte Zar Peters I., bremste viele Reformen ihres Onkels. Das Geld wurde der Förderung von Bildung und anderen Unternehmungen entzogen und für aufwändige und verschwenderische Hof-zeremonien ausgegeben.

1734 erließ die Zarin einen Ukas, in dem sie die Grundherren, unter Androhung der Enteignung, an ihre Pflicht erinnerte, die ihnen übergebenen Leibeigenen zu ernähren und im Mai 1736 wurde den Grundherren das Recht übertragen, das Strafmaß für die Flucht von Leibeigenen selbst festzusetzen.

Walerij Iwanowitsch Jakoby (1872): Szene am Hofe der Zarin Anna Iwanowna
Walerij Iwanowitsch Jakoby (1872): Szene am Hofe der Zarin Anna Iwanowna
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Elisabeth I.
Elisabeth I.

Elisabeth I. (Regierungszeit: 1741–1762), uneheliche Tochter Peters des Großen, änderte an der seit Jahrhunderten eingefahrenen Leibeigen-schaft nichts. Die Leibeigenen wurden ausdrücklich von dem Privileg der Eidespflicht gegenüber der neuen Herrscherin befreit, da sie ja keine Untertanen der Zarin waren, sondern der Gutsbesitzer.

Viele Leibeigenen flüchteten, um Freiheit zu erlangen, in die baltischen Provinzen oder zu den Saporoger Kosaken unterhalb den Dnepr-Stromschnellen. 1743/44 wurde eine Sonderkommission ins Leben gerufen, die entlaufene Leibeigenen einfangen und zurück zu ihren rechtmäßigen Besitzern bringen sollte. In den zehn Jahren ihres Bestehens konnte die Kommission 1.125 Leibeigene zurückführen.

Peter der Große 1825
Peter der Große 1825

Jeder männliche Leibeigene hatte die von Peter dem Großen eingeführte Seelensteuer1 zu entrichten, die alle paar Jahre ohne Rücksicht eingetrieben wurde. 1752 strich Elisabeth, als Weihnachts-geschenk an ihre Nation, alle Steuerrückstände, die sich bis 1747 angesammelt hatten, was immerhin 2.534.000 Rubel.

Durch den Erlass vom 14. März 1746 wurde Kaufleuten der Besitz von Leibeigenen mit und ohne Land verboten und ab 1747 konnten Leibeigene von ihren Besitzern frei verschenkt, verkauft oder getauscht werden (mit oder ohne den Grund, auf dem sie lebten und den sie bearbeiteten), auch wenn diese sich gut führten, um sie als Rekruten zu liefern. Die Streitkräfte der Zarin bestanden in erster Linie aus Bauern, die aufgrund ihrer Rechtlosigkeit mühelos zu rekrutieren waren. Der Soldat entkam dadurch zwar dem Zugriff durch seinen vormaligen Gutsherrn und wurde 'frei', doch de facto war er nun Untertan seines Regimentes und hatte ebenso wenige gesetzliche Rechte wie ein Leibeigener. Die Gutsverwaltung bestimmte die Rekruten, was meistens dazu führte, dass entweder untaugliche Arbeitskräfte oder unliebsame Bauern in die Armee „abgeschoben“ wurden.

Am 6. Februar 1758 wurde den Kaufleuten sowie anderen steuerpflichtigen Bevölkerungsschichten das Recht auf Grundbesitz entzogen. Vier Jahre später, am 29. März 1762 wurde den Kaufleuten dann auch der Erwerb von Leibeigenen für ihre Fabriken und sonstigen gewerblichen Unternehmungen verboten.

Der Adel errang immer mehr an Bedeutung. In seinen Händen konzentrierte sich nicht nur die politische Macht, sondern auch ein bedeutender Teil des Industrie- und Handelskapitals und der gesamte Grundbesitz mit den dazugehörigen Leibeigenen, über deren Leben und Tod sie entscheiden konnten.

der Willkür ihres Herrn ausgesetzte Leibeigene
der Willkür ihres Herrn ausgesetzte Leibeigene

 

In wenigen Jahrzehnten hatte der Adel eine Reihe bedeudenter wirtschaftlicher Privilegien errungen. Dazu gehörten außer dem unbeschränkten Recht auf Grundbesitz und die Macht über die Leibeigenen, auch das Monopol auf die Branntweinproduktion, u. a. mehr. Der Adel stand auf der Höhe seiner Macht.

Jean Louis Tocqué (1756): Elisabeth I.
Jean Louis Tocqué (1756): Elisabeth I.

Nach Eröffnung der Adelsbank (1754) wurde ab 1756 erlaubt, auf Leibeigene Hypotheken aufzu-nehmen. Der Wert einer Seele wurde auf 10 Rubel festgesetzt, was bedeutete, dass man an die Bank einen Leibeigenen für 10 Rubel verkaufen konnte.

1758 erweiterte die Zarin das unter Anna Iwanowna dem Adel übertragene Recht das Strafmaß für die Flucht von Leibeigenen festzusetzen, aber auch die Pflicht, ihr Betragen generell zu beaufsichtigen.

Außerdem ermächtigte sie den Adel im Dezember 1760 'dreistes Verhalten' durch Verbannung nach Sibirien zu bestrafen, unter der Voraussetzung, dass die Betroffenen nicht älter als 42 Jahre und arbeitsfähig waren.

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Georg Christoph Grooth (1740): Peter III. und Katharina II.
Georg Christoph Grooth (1740):
Peter III. und Katharina II.

Peter III. (Regierungszeit: nach Gregorianischem Kalender vom 5. Januar 1762 - 9. Juli 1762), Mann der späteren Katharina II., erließ in den nur sechs Monaten seiner Herrschaft eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen zur gesellschaftlichen Umgestaltung seines Riesenreiches.

Mitte Februar löste er die gefürchtete 'Geheimkanzlei2 für Untersuchungssachen', das Hauptorgan der politischen Kontrolle, auf, die Anna Iwanowna als Stütze eines regelrechten Polizeiregimes gedient und die auch Elisabeth I (trotz ihres eingelösten Versprechens, keine Todesurteile auszusprechen) beibehalten hatte; Verbannte durften nun aus Sibirien wieder zurückkehren.

Zar Peter hob die Folter auf, schaffte die Salzsteuer ab und führte für den Adel und die Kirche eine Luxussteuer ein.

Mit dem Ukas vom 21. März 1762 brachte er den riesigen Landbesitz, der sich in der Hand von Klöstern und Diözesen befand, unter staatliche Kontrolle (Säkularisierung). Somit stellte er die Weichen zur Beendigung der Leibeigenschaft. Den 'Kirchenbauern', nun Staatsbauern3 (Staatsleibeigene) genannt, wurde der Ertrag ihres Landes überlassen, wurden aber mit einer jährlichen Seelensteuer1 von einem Rubel verpflichtet. Außerdem verhieß der Zar denjenigen Verzeihung, die bereuten, sich ungehorsam gegen ihren Herren bewiesen zu haben.

Gregory Myasoedov (1887): Ernte
Gregory Myasoedov (1887): Ernte

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1 Die Seelen- oder Kopfsteuer musste jeder Bauer (Leibeigene, Hintersassen, Cholopen) ohne Ausnahme an die Krone bezahlen. Bei der ersten Einziehung 1724 verlangte Peter der Große 74 Kopeken pro männlicher Person, was die Steuerlast im Vergleich zu 1679 auf das Dreifache erhöhte; nach einer Senkung auf 70 Kopeken unter Katahrina I. 1725 blieb der Betrag bis 1794, als er auf 1 Papierrubel angehoben wurde, konstant.
Der Krieg gegen Napoleon forderte auch fiskalisch seinen Tribut; das 'Seelengeld' stieg 1798 auf 1,26 Papierrubel, 1810 auf 2 und 1816 auf 3,3. auf diesem Niveau hielt es sich verhältnismäßig lang. 1861 erhob der Fiskus 1 Silberrubel, die 1839 3,3 Papierrubel entsprachen.
Der Begriff der Seelen fiel 1861 mit der Abschaffung der Leibeigenschaft dahin.

2 Geheimkanzlei = Behörde zur Verfolgung und Untersuchung staatsfeindlicher Umtriebe

3 Staatsbauern wurden auch als "Kronsbauern" bezeichnet und galten offiziell als Leibeigene des Staates (im Gegensatz zu den Leibeigenen der Landbesitzer). Sie verfügten über mehr Freiheiten als man denkt. So konnten die Staatsbauern Land erwerben, durften aber keine Leibeigenen besitzen. Die Staatsbauern wurden auch dazu berechtigt ihren Status aufzugeben und in die Stadt zu ziehen. Die “Leibeigenen des Staates“ waren dem Staat aber auf vielerlei Weise verpflichtet: sie konnten in die Armee eingezogen werden, mussten Steuern entrichten und Pacht für das vom Staat zur Verfügung gestellte Land zahlen.

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