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Die Leibeigenschaft in Russland

im 17. Jahrhundert

(Teil 2 von 2)

Fjodor III.
Fjodor III.

 

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ur Regierungszeit (1676–1682) von Fjodor III. wurden im ganzen Reich Hofverzeichnisse, die sogenannten 'Zählungsbücher', zusammengestellt, nach denen neue Steuern erhoben werden sollten. Durchschnittlich lebten auf einem Bauernhof 3 männliche Seelen.

Nach Einführung der Hofsteuer im Jahre 1679 siedelten Gutsbesitzer, um Steuern zu sparen, mitunter auf einem Hof mehrere Bauernfamilien an, im Durchschnitt 4 männliche Seelen.

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Peter der Große
Peter der Große

Unter Peter dem Großen (Regierungszeit: 1682–1725), dem großen Reformator, wurde die Kluft zwischen den höheren und niederen Klassen noch größer.

Die historisch-politische Tradition des russischen Volkes stellte den Zaren in eine nur kleine Entfernung von Gott. Das ganze Volk (leibeigene Bauern, Sklaven und Hofleute) wurde, ohne Standesunterschied, zu Sklaven (Cholopen1) des Zaren, also sein Eigentum. Der Einzelne, das Individuum, galt nichts und alles musste für das allgemeine Wohl des Staates, welcher in der Person des Zaren verkörpert war, geopfert werden.

Peters Ziel war es in Russland eine stehende Armee nach europäischem Muster zu organisieren, die Administration zu reformieren, die Grundlagen zur Entwicklung des Handels, der Industrie und der Bildung, eine Handels- und Kriegsflotte zu schaffen. Zu all diesen Zwecken brauchte er Geld, abermals Geld und wiederum Geld. Peter schreckte vor nichts zurück, um Geld zu beschaffen. Die Kosten seiner Reform hatten vor allem die sogenannten steuerzahlenden Stände zu tragen: die Bauernschaft und das städtische Kleinbürgertum. Frondienste2, Geld- und Naturalabgaben der leibeigenen Bauern an die Grundherren wurden immer größer, da der Staat keinerlei Höchstgrenzen festlegte, was in der Praxis vielerorts zu schrankenloser Ausbeutung führte. Adel, Klerus, Staatsbedienstete und Militär waren allerdings steuerbefreit. Die Zahl der Leibeigenen wurde für 1678 auf 75% der Bevölkerung geschätzt.

Alexei Korzukhin (1868): Steuereintreibung: die letzte Kuh
Alexei Korzukhin (1868): Steuereintreibung: die letzte Kuh

Die Wohnverhältnisse der russischen Bauern waren bedrückend, da sie zusammengepfercht in viel zu engen, spärlich möblierten Hütten hausten. Vielfach litten sie an Hunger und Kälte und die Nahrung war einseititg und ungesund.

Solntcev Fjodor (1824): Bauernfamilie vor dem Abendessen
Fjodor Solntcev (1824): Bauernfamilie vor dem Abendessen
Prügelstrafe
Prügelstrafe

Dem Grundadel wurde freies Verfügungsrecht über seine leibeigenen Bauern eingeräumt, die somit vielfach der Willkür ihrer Herren ausgeliefert waren.

Bei Arbeitsverweigerung oder sonstigen Anzeichen von Widerstand wurden die Bauern rücksichtslos verprügelt.

Umgekehrt wurde dem 'Herrn' die Verpflichtung zum Unterhalt und zur Ernährung der Leibeigenen im Fall eigenen Unvermögens auferlegt. Dabei hatte aber das ganze Verhältnis einen gewissen patriarchalischen Charakter. Der Leibeigene redete seinen Herrn mit 'Väterchen' an und fühlte sich ihm gegenüber nicht gerade als Knecht. Vor allen Dingen aber war er nicht völlig landlos, denn die zu einem Dorf gehörenden Bauern besaßen eine gewisse Fläche als Gemeindeland zu Eigentum, in das der Gutsherr berechtigt war, Leute einzuweisen oder aus ihr fortzunehmen. Den Leibeigenen war es allerdings verboten, unbewegliches Eigentum zu erwerben oder Pachtungen zu übernehmen.

 

Zar Peters außenpolitisches Hauptziel war die Öffnung Russlands zum Meer hin. Das bedeutete Krieg (in seinen 36 Regierungsjahren führte er 34 Jahre lang Krieg), Zwangsaushebungen und Steuererhöhungen. Um seine neue russische Armee und die neu gegründete russischen Flotte zu finanzieren, kamen zu den alten Steuern neue hinzu, die Peter im Ausland während seines Aufenthaltes (1697/98) dort kennen gelernt hatte: Rekrutensteuer, Dragonersteuer, Stempelsteuer, Tabaksteuer, Schiffssteuer, Lastgelder.

aus: Die Finanzwirtschaft Russlands, aus dem Russischen von K Davidson, Otto Wigand Verlag, Leipzig, 1902, S. 8;

1699 steckte Peter nicht nur alle entlassenen Leibeigenen in die Armee, sondern rief im folgenden Jahr alle Abhängigen auf, sich ohne Zustimmung ihrer Herren zu melden.

Ilja Repin (1879): Abschied von einem Rekruten
Ilja Repin (1879): Abschied von einem Rekruten

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1 Unter Cholopen verstand man eigentlich die unterste Gruppe der Landbevölkerung, rechtlose Skalven, die als Privateigentum ihrer Herrn galten und zunächst vom Staat quasi als Sache betrachtet und nicht besteuert wurden. Historisch war das Cholopentum aus drei Wurzeln entstanden: erstens stammten die Cholopen von den Kriegsgefangenen ab, die während der Auseinanderstzungen zwischen den Teilfürstentümern sowie im Kampf gegen Livland und die Tataren gemacht worden waren; zweitens waren es in Schuldknechtschaft (Schuldverschreibung = kabala) geratene Bauern, denen es nicht gelungen war, ihren Kredit zurückzuzahlen und die deshalb selbst auf Lebenszeit sowie ihre Nachkommen zu Sklaven des Gläubigers und seiner Familie wurden; drittens gab es auch ruinierte Bauern, die gewissermaßen freiwillig per Vertrag in den Cholopenstatus traten, weil sie sich davon erhofften, ihr Besitzer werde sie durchfüttern und ihnen Obdach gewähren. Daher stieg gerade während der schweren Hungersnot von 1601—1603 die Zahl derartiger Übertritte in die persönliche Unfreiheit stark an.
Von den Leibeigenen unterschied sich der Status der Cholpen in mehrfacher und grundlegender Hinsicht. Dies betraf zunächst die Form der Abhängigkeit: der Leibeigene war ursrünglich an das Land gefesselt (Schollenbindung); der Cholop war durch Erbschaft oder Verschuldung an eine Person gebunden, in der Regel an einen Adligen oder Bojaren. Wurde der Anspruch auf einen Leibeigenen im Grundbuch festgelegt, geschah dies beim Cholopen zumeist durch die Schuldverschreibung (kabala). Die Mehrheit der Leibeigenen der Bauern, die Mehrheit der Cholopen lebte als Diener oder Handwerker beim Gesinde des Herrn und ging keiner landwirtschaftlichen Tätigkeit nach. Bauern waren steuerpflichtig, Cholopen nicht; Bauern mussten für ihre Ernährung und Kleidung selbst sorge tagen, Cholopen nicht, da diese Pflicht von Rechts wegen dem Herrn oblag. Auch das Besitzrecht der Cholopen war weitaus schlechters als das der Bauern. Nach Artikel 20,93 des Gesetzbuches von 1649 stand dem Cholopen außer seinem Kleid nichts zu. Außerdem sollte jeder wieder eingefangene Cholope 'gnadenlos auf dem Bock geknutet' werden; dem Herrn wurde allerdings untersagt, einen Cholopen nach erfolglosem Fluchtversuch zu misshandeln oder verhungern zu lassen. Die Geschichte der Cholopen als steuerbefreiter Stand fand sein Ende unter Peter dem Großen, der am 5. Februar 1722 die Gutsbesitzer anwies für jeden männlichen Bauern oder Cholopen 80 Kopeken Kopfsteuer abzuführen.

2 Unter die Frondienste zählten alle Arten von unentgeltlicher Feldbestellung, ferner das Mahlen des Getreides, der Gemüseanbau, das Errichten von Gebäuden und Zäunen, die Anlage von Fischteichen, das Bierbrauen und Flachsspinnen. Die Barš"ina geht bis in die Kiewer Rus’ zurück. Die Fronarbeit musste im Rahmen der Leibeigenschaft - von den Grundherrn willkürlich, in Form und Dauer häufig ausbeuterisch festgesetzt - als Arbeit auf den Feldern, im Haus und als Fuhrdienst das ganze Jahr hindurch geleistet werden. Das Ausmaß insgesamt war zeitlich und geographisch verschieden.
Erst 1797 kam unter Paul I. ein wenig beachteter Erlass heraus, der die Fronarbeit auf maximal 3 Wochentage beschränkte. Die Fronarbeit wurde ab dem 17. Jahrhundert immer mehr durch den Obrok ersetzt und dauerte bis in die 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts an. Sie wurde mit der Abschaffung der Leibeigenschaft 1861 in geregelte Vertragsbeziehungen zwischen Bauern und Gutsbesitzern überführt.

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