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Die Leibeigenschaft in Russland

im 15. Jahrhundert

 

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ie in Leibeigenschaft geratene Bauernschaft hatte ursprünglich mündliche oder seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch schriftliche Verträge mit privaten Grundherrn bzw. Klöstern abgeschlossen, in denen ihnen gestattet wurde, eine kleine Landfläche des Grundeigentümers zu bearbeiten und ihm dafür als Gegenleistung einen durch Übereinkunft festgesetzten Teil der Ernte abzugeben. Der zu entrichtende Teil war ganz verschieden und schwankte zwischen 1/5 und 1/2 des gesamten Bodenertrages.

Gregory Myasoedov (1887): Ernte
Gregory Myasoedov (1887): Ernte

Die Bauern waren aber nicht nur Pächter der Gutsherren, sondern meistens auch deren Schuldner, denn sie hatten selten Kapital genug, um eine Wirtschaft selbständig zu begründen und bis zur ersten Ernte das Leben zu fristen.

Ohne die Schuld und die Zinsen bezahlt zu haben, hatte der Bauer kein Recht, das Land seines Herrn zu verlassen. Aber trotz der Verschuldung war der Bauer in der Lage, von seinem Recht des freien Wegzugs (Freizügigkeit) in hohem Maß Gebrauch zu machen, da er stets einen neuen reicheren Herrn finden konnte, der für ihn gern die Schuld bezahlte, um ihn durch Vorschüsse zu sich 'herüber zu locken'. Dieses Hin- ımd Herziehen der Bauern war noch dadurch erleichtert, dass der Vertrag zwischen Bauern und Grundherren gewöhnlich nur auf ein Jahr geschlossen wurde.

Bojar in altrussischer Tracht
Bojar in altrussischer Tracht

Außerdem waren die reichen Bojaren1 privilegiert; sie zahlten geringere Steuern und konnten infolgedessen den Bauern günstigere Bedingungen stellen als deren 'ärmere' Nachbarn. Die reichen Gutsherren hatten deshalb ein Interresse an der Erhaltung der Freizügigkeit. Umgekehrt suchten die ärmeren Gutsbesitzer, denen die Bauern von den reichen weggelockt wurden, mit allem ihnen zu Gebote stehenden Einfluss die Hörigkeit (Abhängigkeit) der Bauern zu bewirken. Die Erhaltung des kleinen Dienstadels (Bojaren) war für das Großfürstentum Moskau (1340–1547) allerdings eine Lebensbedingung und so musste der Staat gegen die Freizügigkeit Maßregeln treffen.

Großfürstentum 1300 - 1505
Großfürstentum Moskau 1300 - 1505
Wassili II.
Wassili II.

So wurden 1460, unter Wassili II. (Regierungszeit: 1425–1462), Klöstern und Gutsbesitzern das Recht verliehen, den Pächtern die Kündigung zu versagen und sie dadurch zum Bleiben zu zwingen.

 

Das 1497 unter Iwan dem Großen (Regierungszeit: 1462–1505) abgefasste Gesetzbuch (Sudebnik) erschwerte in Artikel 57 das Wegziehen der Bauern, die Pachtverhältnisse eingegangen waren, durch starke Abstandszahlungen und legte den St. Georgstag (26. November nach dem Julianischen Kalender) fest, an dem die Bauern in einer Frist von zwei Wochen (eine Woche vor und eine Woche nach dem St. Georgstag) alljährlich ihren Besitzer auf eigenen Wunsch wechseln durften.

Ein Bauer verlässt seinen Herrn
Sergei Wassiljewitsch Iwanow (1908): Ein Bauer verlässt seinen Herrn am St. Georgstag

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1 Bojar = Die etymologische Bedeutung des Begriffs ist bis jetzt ungeklärt. Möglich ist die Herkunft aus dem Alttürkischen bai+är, was soviel wie "vornehmer Mann" bedeutet.
Im Kiewer Reich, im 8.–9. Jahrhundert, hatten sich die Bojaren ursprünglich aus den Leibwachen der Fürsten entwickelt, die zu seiner družina (Gefolgschaft) gehörte. Aus ihr entwickelte sich die Bojarenduma, eine Art Rat der Adligen, der anlässlich von Festmählern am Fürstenhof zusammentrat.
Seit dem 12. Jahrhundert erlangten sie erheblichen politischen und wirtschaftlichen Einfluss und waren die oberste, einflussreichste Adelsschicht mit erblichem Grundbesitz. Sie hatten grundsätzlich das Recht, die Gefolgschaft des Fürsten zu verlassen. Andererseits war der Titel Bojar nicht erblich, er wurde durch den Herrscher (Grossfürst, Zar) verliehen, blieb aber de facto auf bestimmte Familien mit Großgrundbesitz beschränkt.
Vom 15. Jahrhundert an begannen die Herrscher, die Rechte der Bojaren zu beschneiden, auch wurde das Verlassen der Gefolgschaft als Verrat angeprangert. Zusehends wurden sie auf den Status von Dienstadel (pomeš"iki) herabgedrückt. Bojar wurde ein vom Großfürsten bzw. Zaren verliehener Titel der Mitglieder des Bojarenrates. Da sie der zentralistischen Politik der Moskauer Großfürsten entgegentraten, versuchten diese den Einfluss der Bojaren zurückzudrängen. Zar Iwan IV. ließ im 16. Jahrhundert viele Bojaren töten oder deportieren, nachdem sich diese, um ihre Privilegien fürchtend, gegen ihn verschworen hatten.
Unter Peter dem Großen (1682-1725) waren Erbadel und Dienstadel bereits gleichbedeutend und schaffte den Bojarenstand Anfang des 18. Jahrhunderts endgültig ab. In dem sich herausbildenden hierarchischen Beziehungssystem des Hochadels (mestni"estvo), das allen Adligen einen bestimmten Platz in ihrer Stellung zum Herrscher zuwies, behielten die Bojaren allerdings stets den obersten Rang.

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