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Die deutsche Vorstadt im 17. Jahrhundert

(Teil 4 von 7)

Die Russen waren bei ihrer Unkenntnis der Verhältnisse anderer Länder, bei ihrem Mangel an Kapital und Kredit, an Sprachkenntnissen und sonstiger Erfahrung in umfassenden kommerziellen Geschäften völlig außer Stande, sich mit dem eigentlichen auswärtigen Handel zu befassen.

Apollinari M. Wasnezow: Markt in Nowgorod
Apollinari M. Wasnezow: Nowgorod

Nowgorod hatte früher unter dem Einfluss der Hansa gestanden und Archangelsk erschien unter dem Bann der Engländer. Die letzteren ver-standen es von Archangelsk aus auch einen großen Teil des Binnenhandels an sich zu reißen, was zu einer Schä-digung der Interessen rus-sischer Kaufleute führte.

 

Im Hafen einer Hansestadt
Im Hafen einer Hansestadt

Auf allen Punkten waren die Ausländer die Überlegenen, weil sie die Verkehrs-anstalten besser auszunutzen verstanden, den Handels-aufschwung besser kannten, rascher und richtiger zu rechnen verstanden, im Einvernehmen mit ihren Geschäftsfreunden im Aus-land und untereinander ihre großen Operationen ein-leiteten und ausführten und auch wohl sehr geschickt durch Bestechung russischer Beamten große Vorteile zu erhalten wussten.

Alexei I.
Alexei I.

Auch die Zaren erhielten Gaben. So schenkten z.B. die Holländer im Jahr 1648 dem Zaren Alexei eine silberne Schüssel und der junge Zar Peter I. erhielt in den neunziger Jahren von englischen Kaufleuten eine Uhr und ein Kästchen mit Instrumenten.

 

Ein Aktenstück aus dem Jahr 1646 gewährt einen tiefen Einblick in die damaligen Verhältnisse.

Es ist eine an den Zaren Alexei gerichtete Klage der russischen Kaufleute über die Ausländer, eine Massenpetition um Abschaffung der Handelsprivilegien der Ausländer:

„Die Engländer haben die Erschöpfung Russlands nach der Zeit der Wirren benutzt und russische Beamte bestochen, um sich Handelsprivilegien in Russland zu sichern, während die russischen Kaufleute dadurch vollständig außer Brot gesetzt werden und in verschiedenen Städten sich herumbetteln müssen. Die Engländer sind in viel größerer Anzahl nach Russland gekommen, als ihnen zugestanden gewesen, haben in Archangelsk, Cholmogory, Wologda, Jaroslawl, Moskau und anderen Städten große Kaufhöfe errichtet und Speicher erbaut, haben aufgehört, ihre Waren den russischen Kaufleuten in Archangelsk zu verkaufen und sind statt dessen nach Moskau und in die andern Städte mit Waren gekommen. Und dann warten sie noch auf hohe Preise und verkaufen ihre Waren nicht früher, selbst wenn sie zwei bis drei Jahre warten müssen. Russische Waren kaufen sie nicht mehr von den russischen Kaufleuten, sondern lassen dieselben durch ihre Bevollmächtigten im ganzen Land selbst aufkaufen. Oft geschieht es, dass sie heimlich und ohne den schuldigen Zoll zu entrichten, die russischen Waren gleich nach Archangelsk an die Holländer, Hamburger und Brabanter verkaufen und auf diese Weise den Zaren bestehlen. So sind wir denn von unseren althergebrachten Gewerben ganz abgekommen und haben aufgehört, regelmäßig nach Archangelsk zu reisen........"

Brückner Alexander: Die Europäisierung Rußlands: Land und Volk, Adamant Media Corporation, Boston 2001, S. 298;

 

Archangelsk im 17. Jahrhundert
Archangelsk im 17. Jahrhundert

 

„Wir müssen dir“, so klagen die russischen Kaufleute in der an den Zaren gerichteten Petition, „die ganze Bosheit dieser Ausländer offenbaren. Ein russischer Kaufmann aus Jaroslawl, Anton Laptew, ist einmal mit Zobel- und Fuchsfellen und Grauwerk über Riga nach Amsterdam gereist, um seine Waren dort zu verkaufen und dagegen holländische Waren einzukaufen. Als er aber dort ankam, haben diese Deutschen (nmezkij1) sich allesamt untereinander verabredet, nicht für einen Rubel von ihm zu kaufen, so dass er genötigt war, mit den Ausländern selbst, auf einem ihrer Schiffe, mit seinem Pelzwerk wieder zurück nach Archangelsk zu reisen. Als sie nun in Archangelsk angekommen waren, kauften ihm aber diese Ausländer, seine Reisegefährten, die Waren zu gutem Preis ab.

Da haben denn die russischen Kaufleute, welche zu der Zeit gerade in Archangelsk waren, den Deutschen Vorwürfe gemacht: Ist es denn wirklich wahr, dass einer der Kaufleute des Zaren zu euch gekommen ist und ihr habt ihm seine Waren nicht abkaufen wollen und ihn schier verhungern lassen? Nur durch die Gnade des Zaren habt ihr das Recht, in unserem Land Handel zu treiben; ihr solltet die Gnade des Zaren nicht mit solcher Arglist vergelten.

Die Deutschen entgegneten darauf: Wir haben dem Anton Laptew nichts abkaufen wollen, damit sich die russischen Kaufleute überhaupt gar nicht einfallen lassen, in unser Land zu reisen; denn wenn die Russen in unserm Land Handel zu treiben anfangen, wie wir bei euch Handel treiben, so werden wir ebenso aus unseren Gewerben verdrängt und so elend wie ihr russischen Kaufleute.

Brückner Alexander: Die Europäisierung Rußlands: Land und Volk, Adamant Media Corporation, Boston 2001, S. 300;

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Anmerkungen

1 Nmezkijkommt von nemoj (stumm); so nannte man alle Ausländer, die nicht des Russischen mächtig waren, später wurde es vor allem auf Deutsche bezogen.