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Romanowka und der russische Bürgerkrieg


A = Romanowka, B = Olgino
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Der 15. Juli des Jahres 1918 war der verhängnisvolle Tag, an dem sämtliche Bewohner von Romanowka und Olgino (Ol’gino) ihre Kolonien verlassen mussten. In größter Eile wurde das Notwendigste auf Wagen gepackt und die Flucht angetreten. Es war die höchste Zeit, denn schon nahte ein Auto mit Maschinengewehren, das die letzten Flüchtlinge beinahe noch erreicht hätte.

 

Als sie die Nacht hindurch gefahren waren (rund 46 km), kamen sie am Tages-anbruch im Lager der Kadetten, dem Dorf Kurskaya, an.

Die Stimmung der Bewohner beider Kolonien, die sich dort sammelten, war an jenem Morgen sehr nieder-geschlagen, auch weil sie in der heißen Julisonne im Freien lagern mussten. Nach Verlauf einer Woche wagten sie die Rückkehr in ihre Siedlungen. Bei ihrer Ankunft trafen sie aber vieles, was sie zurückgelassen hatten, nicht mehr an.

 

Bald darauf mussten sie zum zweiten Mal flüchten und, wie sie ahnten, diesmal auf längere Zeit. Sie nahmen deshalb auf dieser Flucht sämtliches Vieh und alle Pferde mit, allerdings wurde ihnen fast alles, was sie so zu retten suchten, nachher in ihren Winterquartieren abgenommen. Was in den Kolonien noch an lebendem und totem Inventar zurückbleiben musste, wurde von wilden Scharen, die sich nach ihrem Abzug in ihren Häusern breit machten, auf Nimmerwiedersehen fortgeschleppt.

Mehrere Familien wagten es, noch vor Einbruch der kalten Jahreszeit in die Heimat zurückzukehren. Sie trafen überall leere Häuser und ausgeraubte Wohnungen an. Selbst die Fensterscheiben waren gestohlen worden. Das Schulhaus glich einer verlassenen Räuberhöhle und der Gemeindeladen war vollständig ausgeplündert. Die reiche Ernte an Weizen und anderen Feldfrüchten war dahin.

 

Der Winter von 1918 auf 1919 brachte für die Zurückgekehrten schwere Krankheiten und Verluste an Menschenleben. Besonders die durch das rote Militär eingeschleppte Typhus-Epidemie verschonte fast kein Haus.

 

Terekkosaken
Terekkosaken

Inzwischen hatten sich die Terek-Kosaken in den Dörfern der Kabardiner und Osseten gegen das neue Regime erhoben und rückten in nördlicher Richtung in die Gegend der deutschen Kolonien vor und trieben die vorläufig noch kleinen Abteilungen der Roten vor sich her. Spontan begrüßten die Kolonisten ihren Erfolg. Eines Tages wurde wieder eine Gruppe Roter nicht weit von der Kolonie gemeldet. Die kleine Abteilung Kolonisten rückte wieder aus, um sie zu verjagen. Diesmal wurden sie aber mit Kanonendonner empfangen. Bald stellte es sich heraus, dass sie einem regulären Regiment der Regierungstruppen gegenüberstanden, die ausgesandt worden waren, um diese Gegend endgültig von Konterrevolutionären zu befreien.

Freiheitskämpfer
Freiheitskämpfer

Die Kolonisten erkannten sehr schnell die schreck-liche Gefahr für ihr Dorf und schickten zwei Männer zurück, um die Gemeinde zu warnen und um zum sofortigen Verlassen der Höfe aufzufordern. Die Roten waren ihnen auf den Fersen, als sie im Dorf anlangten, wo inzwischen alle Familien auf Wagen unter Mitnahme nur einiger Wäschestücke verfrachtet waren. Sehr schnell mussten die Einwohner unter Hinterlassung jeder Habe fliehen.

Drei ältere Frauen und ein Greis konnten es nicht über sich bringen, alles aufzugeben und ihre Häuser zu verlassen; sie wurden bei der Wiedereinnahme des Dorfes am nächsten Tag aufgefunden, von Säbeln buchstäblich zerhackt. Nur der Greis durfte eines besseren Todes sterben: er lag mit einem Genickschuss vor seinem Haus.

 

Rote Armee
Rote Armee

Der rettende Weg führte die Kolonisten in Richtung der kaukasischen Berge. Aber die größten Gefahren lauerten auf dem Weg dorthin, denn sie konnten von der „roten“ Kavallerie abgefangen und niedergemacht werden. Da die Fronten des Bürgerkriegs stets fließend waren, geschah das Aufeinandertreffen der „weißen" und der „roten" Truppen nicht an geschlossenen Frontlinien, sondern mal hier, mal da, je nach den Vorstößen der einzelnen Verbände. Ein weiteres Hindernis stellte der wilde, mit tosender Gewalt zu Tal stürzende Gebirgsstrom Terek dar. Mit Pferd und Wagen darüber hinwegzukommen, kam schon einem lebensgefährlichen Wagnis gleich. Andererseits stand dieses Hindernis auch den roten Truppen entgegen. Aber einmal über den Terek gelangt, würde man sich dann schon sicherer fühlen. Eine weitere Hoffnung bestand auch darin, dass die, kaukasischen Bergvölker die roten Revolutionäre ablehnen würden. In die engen Schluchten der Berge, in denen sich die Tschetschenen, Inguschen und Tscherkessen bestens auskannten, wagten sich die Roten nicht hinein.

 


der Weg von Temelhof und Olgino (A und B)
nach Gnadenburg (C)
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Glücklicherweise gelangten die Kolonisten ohne Menschen-opfer über den Terek und hatten darüber hinaus noch das Glück, im deutschen Dorf Gnadenburg (Winogradnoje) unterzukommen und gast-freundliche Aufnahme zu finden. In diesem Ort warteten sie ein ganzes Jahr voller Ungeduld auf die erlösende Nachricht, wieder nach Romanowka zurückkehren zu können.

Von Gnadenburg aus wurden immer wieder Kundschafter über den Terek bis in die Nähe Romanowkas ausgeschickt, um die dortigen Verhältnisse zu erkunden. Die ersten Erkundungen ergaben, dass es noch zu früh sei, in das zerstörte Dorf zurückzukehren.

Hungersnot

Aber im Frühjahr 1919 wagte man doch die Heimfahrt. Auch wenn die Häuser aus-geraubt und teilweise zer-stört waren, so hatte sich der durch die übereilte Flucht auf dem Halm stehen gebliebene Weizen ausgesamt. Diese Ernte reichte doch aus, um den Anschluss an die nächste Feldbestellung zu schaffen.

Auf diese Weise entging Romanowka der Hungersnot, die 1921 in ganz Russland ausbrach. Ja, das „Hunger-jahr" diente den Romanow-kaern sogar zum Vorteil, weil sie sich viele Dinge, die in den geplünderten Häusern fehlten, gegen Weizen eintauschen konnten.

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Anmerkungen