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Das Schicksal der Krimsiedler

(Teil 2 von 2)

1810-1811 wurde deutsche Kolonie Kronental (Dorf Koltschugino) von den Auswanderern aus Deutschland gegründet. Am 18. August 1941 wurden 61000Deutschen mit ihren Familien-Angehöriegen aus der Krim deportiert
Gedenktafel in Kronental (heute: Koltschugino)

Der 2. Weltkrieg bedeutete dann das endgültige Ende der ethnischen Minderheiten (Tataren, Armenier, Griechen, Deutsche, Bulgaren, Italiener) auf der Krim und im Russischen Reich. Sie erlitten ein ähnliches Schicksal wie die Wolga- und die Kaukasiendeutschen.

Noch vor Eintreffen der deutschen Wehrmachtsver-bände im Herbst 1941 ließ Stalin die Krimdeutschen am 20. August 1941 aus Furcht vor einer Kollaboration mit dem Feind von der Krim auf 'ewige Zeiten' vertreiben.

ein Grab in Kazachstan
Kasachstan

Zu diesem Zeitpunkt lebten zirka 61.000 Volksdeutsche1 auf der Halbinsel. In aller Eile mussten sie das Nötigste zusammenpacken (max. 8 kg) und wurden, zusammengepfercht in Viewaggons, zuerst in die Region Stawropol und dann nach Nordkasachstan und Sibirien transportiert. Viele erlagen den Strapazen der wochelangen Fahrt.

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Herbst 1941 lebten auf der Krim nur noch 960 Deutschstämmige, die von September 1943 bis März 1944 zusammen mit Siedlern aus den Gebieten Cherson, Nikolaev Nikopol, Kiew, Charkow, Kriwoj-Rog, Melitopol, Mariupol, Dnjepropetrowsk, Kirowograd und Saporoshje als Administrativumsiedler2 in den Warthegau3 umgesiedelt wurden.

Als die Hafenstadt Kertsch am 30. Dezember 1941 durch die Rote Armee zurückerobert wurde, wurde die dort lebende italienischstämmige Bevölkerung zum Volksfeind erklärt und auf der Grundlage einer von der deutschen Wehrmacht durchgeführten Volkszählung wegen angeblicher Kollaboration mit dem Feind ''zur eigenen Sicherheit'' am 28./29. Januar (zirka 2.000 Personen) und vom 8. bis 10. Februar 1942 (72 Personen) nach Kasachstan deportiert.

In der Nacht zum 11. April wurde Kertsch von sowjetischen Truppen eingenommen
In der Nacht zum 11. April wurde Kertsch
von sowjetischen Truppen eingenommen

In der Schlacht um die Krim (vom 8. April bis zum 12. Mai 1944) wurde die Halbinsel Krim von der Roten Armee zurückerobert.

Auf der Grundlage des Dekretes Nr. 5859ss vom 11. Mai 1944 wurden die rund 181.000 Krimtataren der Kollaboration mit dem Feind beschuldigt und vom 18. Mai bis 20. Mai 1944 hauptsächlich nach Usbekistan, Kasachstan und in die ASSR der Mari deportiert.

Rustem Eminov: Todeszug 1 (1996)
Rustem Eminov: Todeszug 1 (1996) - zur Erinnerung an den 18. Mai 1944

Am 24. Juni 1944 wurden die letzten zehn italienischstämmigen Familien aus Kertsch, die den Razzien vom 28./29. Januar 1942 und vom 8. bis 10. Februar 1942 entgangen waren nach Sibirien deportiert und am 27/28. Juni 1944 folgte die Deportation von zirka 14.500 Griechen, 12.000 Bulgaren und 11.300 Armenier4.

Gulag - Überischtskarte
Gulag - Überischtskarte

Bis 1954 war es den Deportierten untersagt, ihre Deportationsgebiete zu verlassen. 1964 wurden die Russlanddeutschen und damit auch die Krimdeutschen offiziell rehabilitiert.

Auf die Krim zurückkehren, konnten sie aber erst im Rahmen der Perestroika. Es wagten allerdings nur wenige. Den schlechten Ruf ein 'deutscher Faschist' zu sein oder mit den Deutschen sympathisiert zu haben, wurden viele nicht mehr los. Viele der Überlebenden hatten sich in Kasachstan und Sibirien eingelebt und zogen es vor, dort zu bleiben oder direkt nach Deutschland auszureisen.
Heute (Stand: 2014) leben wieder mehr als 2.000 Deutschstämmige auf der Krim.

An die Massendeportation der Deutschen, Tataren, Griechen, Bulgaren und Armenier aus Kertsch vom 18. Mai 1944 erinnert ein Denkmal am Bahnhof von Kertsch.

Bahnhof von Kertsch: Denkmal "gegen Grausamkeit und Gewalt", 17. Mai 2003
Bahnhof von Kertsch: Denkmal "gegen Grausamkeit und Gewalt", 17. Mai 2003

die neue Gedenktafel am Bahnhof von Kertsch
die neue Gedenktafel am Bahnhof von Kertsch

Vergessen wurden dabei die zirka 2.000 Italiener, die ab 1820 in Kertsch lebten und am 29. Januar 1942 bzw. am 8. und 10. Februar 1942 und am 24. Juni 1944 wegen angeblicher Kollaboration mit dem Feind (Deutsches Reich) nach Kasachstan und Sibirien deportiert wurden. Nach 1956 kehrten nur ungefähr 300 von ihnen nach Kertsch zurück.

Am 12. September 2015 unterschrieb der russische Präsident Putin Ergänzungen zum Erlass über die 'Rehabilitation der Völker der Krim' vom 21. April 2014. Sie betreffen die Rehabilitation der Krimitaliener.

Am 21. April 2016 wurde in einer Zeremonie die neue Gedenktafel mit der Ergänzung der 'Italiener' (итальянцев) am Denkmal angebracht.

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Anmerkungen

1 Volksdeutsche = (bes. nationalsozialistische) Bezeichnung für die außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches und Österreichs ansässigen Personen deutscher Volks- und fremder Staatszugehörigkeit [besonders in ost- und südosteuropäischen Ländern bis zur Umsiedlung im 2. Weltkrieg (1940/1945) und der Vertreibung (1947)]. Wer in die Deutsche Volksliste aufgenommen worden ist, erhielt ein späteres Anrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit.

2 Man unterscheidet zwischen Administrativumsiedler und Vertragsumsiedler. Administrativumsiedler waren ca. 228.000 Volksdeutsche, die nach einer Anordnung der Militär- und Zivilverwaltung des Dritten Reiches in den besetzten Gebieten der UdSSR (Reichskommisariat Ukraine, rumänische Transnistrien) ohne einen zwischenstaatlichen Vertrag in den Jahren 1942-44 in den Warthegau oder ins Altreich umgesiedelt wurden. Fast alle von ihnen hatten bis Kriegsende die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen bekommen.

3 Die von 1939 bis 1945 als Warthegau oder Wartheland bezeichnete Region war vor dem Angriff Deutschlands auf Polen im September 1939 polnisches Staatsgebiet. Historisch gesehen bestand der Warthegau aus zwei Teilen, aus der westlich gelegenen ehemaligen deutschen Provinz Posen (vor 1919) und den östlich gelegenen polnischen (vor 1916 russischen) Gebieten um Lodsch. Im westlichen Teil (Provinz Posen) stellten die Deutschen zum Zeitpunkt der preußischen Volkszählung von 1910 rund 45 % der Gesamtbevölkerung.
Nachdem diese Provinz im Zuge des Versailler Vertrages 1919 von Polen annektiert wurde, sank die Anzahl der Deutschen in diesem Gebiet rapide ab, so dass diese zu Beginn des Zweiten Weltkrieges weniger als 15 Prozent der Gesamtbevölkerung dieses Gebietes stellten. Der Grund für den Rückgang des deutschen Bevölkerungsanteils nach 1919 ist im Wesentlichen in der Politik der ethnischen Homogenisierung des nationalistischen polnischen Diktators Józef Piłsudski zu sehen. Dieser versuchte den Anteil der Deutschen massiv zu reduzieren, z.B. Massenausweisungen nach Deutschland, entschädigungslose Enteignungen von zumeist adligem deutschem Großgrundbesitz und Ansiedlung polnischer Kleinbauern, Schulpolitik (ausschließlich in polnischer Sprache) und einer Vielzahl von Diskriminierungen im öffentlichen Leben.
Von 1939 – 1941 wurden 280.606 ethnische Polen und Juden, die in Gebieten des Warthegaus oder Danzig-Westpreußens wohnten, ins Generalgouvernement Polen vertrieben, um Platz für die Deutschen zu schaffen. Nach 1940 konzentrierte sich die NS-Politik zunehmend auf die Ansiedlung deutscher Bevölkerung im Warthegau.
Hierzu wurden eine Vielzahl von Volksdeutschen (Baltendeutsche, Wolhyniendeutsche, Bessarabiendeutsche, Buchenlanddeutsche, Dobrudschadeutsche, Ukrainedeutsche) aus dem Gebiet der Sowjetunion angesiedelt und fanden dort oft in Höfen und Häusern vertriebener Polen Unterkunft.

4 Quelle = Giulia Giacchetti Boico - Giulio Vignoli: L'olocausto sconosciuto. Lo sterminio degli Italiani di Crimea, Edizioni Settimo Sigillo, Roma, 2008 (S. 13)