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Die Steuereinzugskampagne von 1932/331

Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow
W. M. Molotow

Die ersten Berichte über die Gefahr einer "kritischen Versorgungslage" für den Winter 1932/33 erreichten Moskau bereits im Sommer 1932. Im August 1932 meldete Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow, Vorsitzender des Rates der Volkskommissare (Regierungschef der Sowjetunion von 1930 bis 1941), dem Politbüro, dass "selbst in den Distrikten, in denen die Ernte ausgezeichnet gewesen war, in der Tat eine Hungersnot drohe." Trotzdem schlug er vor, am Steuereinzugsplan um jeden Preis festzuhalten.

Selbst überzeugte Stalinisten wie Stanislas Kossior, Erster Parteisekretär der Ukraine, oder Michail Chatajewitsch, Erster Parteisekretär der Region Dnjepropetrowsk, forderten Stalin und Molotow auf, den Steuereinzugsplan zu reduzieren. „Damit in Zukunft die Produktion entsprechend dem Bedarf des proletarischen Staates wachsen kann“, schrieb Chatajewitsch im November 1932 an Molotow, „müssen wir die Mindestbedürfnisse der Kolchosebauern berücksichtigen, denn ohne sie wird es niemanden mehr geben, der sät und für die Produktion garantiert.

Doch Molotow antwortete, dass sein Standpunkt völlig "unkorrekt und unbolschewistisch" sei. Wir, die Bolschewiki, kennen die Bedürfnisse des Staates – Bedürfnisse, die durch die Entscheidungen der Partei genau festgelegt sind -, nicht an die zehnte, ja nicht einmal an die zweite Stelle setzen.“

alles was sie hatten, musste abgegeben werden
alles was sie hatten, musste abgegeben werden

Als Mitte Oktober 1932 der um jeden Preis einzuhaltende Steuereinzugsplan für die wichtigsten Getreideanbau-gebiete des Landes erst zu 15 bis 20 % erfüllt war, beschloss das Politbüro zur ''Beschleunigung des Steuereinzugs'' am 22. Oktober 1932 neue "Stoß-brigaden" (Arbeitsgruppen) in die Gebiete zu schicken, um „das ganze Korn, das sie besitzen, abzunehmen, auch das, was angeblich für die Saat reserviert ist.“ Dieser Befehl wurde mit großer Härte durchgeführt. Unter Drohungen, Folter und Tötung wurden die Landwirte gezwungen, ihre gesamten Vorräte abzuliefern.

die Landwirte wurden gezwungen, ihre gesamten Getridevorräte abzuliefern
die Landwirte wurden gezwungen, ihre gesamten Getridevorräte abzuliefern
die Suche nach Kartoffeln der letzten Ernte
die Suche nach Kartoffeln der letzten Ernte
(der Korb ist fast leer)

Wer den Steuerplan nicht erfüllte, konfiszierten die sowjetischen Behörden zusätzlich zum Getreide auch andere Lebensmittel, wie Kartoffeln, Rüben, Zwiebeln, Kohl, eingesalzene Rüben, getrocknete Pilze, Trockenobst u. a. mehr und die betroffenen Landwirte wurden auf die sogenannte "Schwarze Liste" gesetzt, was die sofortige Fälligkeit aller laufenden Kredite, das Handelsverbot (kaufen, tauschen oder verdienen) mit notwendigen Gütern des täglichen Bedarfes und die zusätzliche Besteuerung, so genannte Naturalienstrafen, zufolge hatte.
Es wurde ein zusätzliches Fleischablieferungssoll in Höhe des 15fachen Satzes der Monatsnorm der jeweiligen Kolchose sowohl vom gemeinschaftlichen als auch vom individuellen Viehbestand der Kolchosebauern fest-gesetzt, was zur Folge hatte, dass die Requi-rierungskommandos sämtliche Nahrungsmittel in den Dörfern beschlagnahmten.
Zusätzlich wurden aus den Koop-Läden alle noch vorhanden Waren einschließlich Salz, Streichhölzer, Seife usw. beschlagnahmt, kurz gesagt, alles Essbare wurde fässerweise weggeschafft und die Landbevölkerung war fortan von der Versorgung abgeschnitten.

  „In Bezug auf die in die "Schwarze Liste" aufgenommenen Kolchosen sind folgende Maßnahmen zu ergreifen:
1) Die sofortige Einstellung von Warenlieferungen, völlige Einstellung des kooperativen und staatlichen Handels vor Ort sowie die vollständige Konfiszierung aller Waren aus den kooperativen und staatlichen Läden.
2) Die Durchsetzung eines völligen Verbotes des kollektiven landwirtschaftlichen Handels, das dabei ohne Rücksicht auf die kollektiven Betriebe sowohl für kollektive als auch für private Bauern zu gelten hat....“

aus: Dekret des Politbüros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Ukraine “Zur Intensivierung der Getreidebeschaffung” vom 18. November 1932
Alles Essbare wurde fässerweise weggeschafft.
Alles Essbare wurde fässerweise weggeschafft.

Mitte Dezember 1932 standen 6 Gebiete, 31 Kolchosen und Einzelbauern in 38 Dörfern auf der "Schwarzen Liste".

Falls die "organisierte Sabotage" fortgesetzt werde, so die offizielle Version, sollte die gesamte Bevölkerung in abgelegene Gebiete deportiet werden. Diese Naturalienstrafen betrafen rund 90% der Kolchosen in der Ukraine.

Im Dezember 1932 begannen die Massendeportationen. Betroffen waren nun nicht mehr einzelne Kulaken, sondern ganze Dörfer. In der Ukraine kam es zur "Säuberung" der Ortsgruppen der Partei und Massenverhaftungen, und zwar nicht nur bei den Kolchosebauern, sondern auch bei den Leitern der Kolchosen, die im Verdacht standen, „die Produktion geschmälert“ zu haben.
Die Zahl der "Sondersiedler" stieg schnell an: Für 1932 meldete die Gulag-Verwaltung die Ankunft von 71.236 Deportierten, und für 1933 wurde ein Zustrom von 268.091 neuen Sondersiedlern registriert.

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Anmerkungen

1 Quellen:
Viktor Timtschenko: Ukraine: Einblicke in den neuen Osten Europas, Christoph Links Verlag, Berlin, 2009.
Stéphane Courtois und Co-Autoren: Die Große Hungersnot in: Das Schwarzbuch des Kommunismus: Unterdrückung, Verbrechen und Terror“, Piper Verlag, München, 2004, S. 178 – 188;
Gerhard Simon: Der Holodomor als Völkermord. Tatsachen und Kontroversen. Zum Stand der wissenschaftlichen Diskussion Referat bei der Tagung „Holodomor 1932-33. Politik der Vernichtung“, Mannheim 24. November 2007;
Der Dokumentarfilm "The Soviet Story" unter der Regie von Edvīns Šnore, 2008;