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Die Vorboten der Hungersnot von 1932/331

Im Jahr 1931 verlangte der Staat von der "Kornkammer" Ukraine die gleichen 7,7 Millionen Getreide wie im Vorjahr, obwohl der gesamte Ernteertrag schlechter ausgefallen war und nur 18,3 Millionen Tonnen betrug, was 42 % der ukrainischen Ernte entsprach. Immer weniger blieb für die Nahrung, immer weniger für das Saatgut.

Iwan Wladimirow: Getreideausgabe
Iwan Wladimirow: Getreideausgabe

Im Jahr 1932 forderte Stalin ebenfalls 7,7 Millionen Tonnen, was 52 % der Gesamternte betrug. In der, in der Zwischenzeit kollektivierten Ukraine wurden aber nur 14,7 Millionen Tonnen geerntet.

Die ukrainische Führung, die von der Sowjetunion eingesetzt wurde und in jedem Moment auch wieder abgesetzt werden konnte, wehrte sich gegen die hohen Getreideforderungen und die festen Pläne der Getreideabgabe wurden auf 6,6 Millionen Tonnen nach unten korrigiert, also 42 % des Gesamtertrages, wie im Vorhrjahr, was aber immer noch zu viel war.

Nach der offiziellen Propagandaversion hätten die Bauern schlecht auf den Feldern der Kolchosen2 gearbeitet und würden das geerntete Getreide stehlen und verstecken, um es dann zu höheren Preisen illegal zu verkaufen.

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Am Anfang hielten die verbliebenen Vorräte an Getreide die Menschen am Leben
und dann suchten sie auf den gefrorenen Feldern nach Kartoffeln des Vorjahres
Hungersnot in Russland 1933
A = getreidekonsumierendes Gebiet
B = getreideproduzierendes Gebiet

Für die Sowjetregierung waren die Bauern grundsätzlich Menschen zweiter Klasse und im Zuge der Industrialisierung war ihnen die Rolle zugewiesen worden, die Städte und die entstehenden Industriebezirke zu ernähren. Wenn sie das nicht freiwillig taten (so die bolschewistische Parteilinie) mussten sie dazu durch Requirierung der Ernte gezwungen werden.
Die Stalin-Führung nahm dabei billigend in Kauf, dass dabei ein Teil der Bauern verhungern könnte. Die Parteiführer bestätigten sich sogar in ihrer Korrespondenz, wie nützlich der Hunger sei, um die Bauern zur ehrlichen Arbeit in den Kolchosen zu zwingen und betrachteten die Hungersnot als ein erprobtes Mittel der Erziehung und Disziplinierung der Landbevölkerung.

Das bolschewistische Regime hatte bereits in der Zeit von 1921-1923 mit der Waffe des Hungers experimentiert, als eine Dürreperiode als Vorwand für die Herbeiführung einer Hungersnot benutzt wurde. Dadurch sollte der Widerstand der Ukrainer gebrochen werden.

Die Kommunisten meinten es ernst und ihnen standen alle Mittel zur Verfügung:
- Gesetze, die sie im eigenen Sinne verabschiedeten
- ein riesiger Apparat der bewaffneten Rechtschutzorgane, die kein Verbrechen scheuten, um die Parteibeschlüsse durchzusetzen und
- gut genährte  "Aktivisten", Partei- und Komsomolmitglieder, die sie mit dem Befehl „Bringt uns das Korn!“ in die Regionen schickten.

Dabei ging es allerdings nicht um die Abgabe des Überflusses, sondern um die Beschlagnahme von allem, was der Bauer hatte.
Die Konfiszierung von Getreide und anderen Lebensmitteln wurde durch Beschlüsse des Kommunistischen Zentralkomitees in Moskau und Kiew mehrfach bestätigt und Kolchoseneigentum wurde per Gesetz vom 7. August 1932 zum Staatseigentum erklärt.

Stalin entschied, die ukrainischen Bauern durch eine Hungersnot zu besiegen. Auf diese Weise sollte das seit den 1920er Jahren wiederaufstrebende ukrainische Gedankengut, das sich in stärker werdenden Ambitionen zur Gründung eines unabhängigen ukrainischen Staates widerspiegelte, vernichtet werden. Stalin war immer der Auffassung gewesen, dass die nationale Frage "eigentlich eine Bauernfrage sei" und, dass sich aus dem "Bauerntum die grundlegende Armee der nationalen Bewegung" zusammensetzte.

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Anmerkungen

1 Quellen: Stéphane Courtois und Co-Autoren: Die Große Hungersnot in: Das Schwarzbuch des Kommunismus: Unterdrückung, Verbrechen und Terror“, Piper Verlag, München, 2004, S. 178 – 188;
Gerhard Simon: Der Holodomor als Völkermord. Tatsachen und Kontroversen. Zum Stand der wissenschaftlichen Diskussion Referat bei der Tagung „Holodomor 1932-33. Politik der Vernichtung“, Mannheim 24. November 2007;
Viktor Timtschenko: Ukraine: Einblicke in den neuen Osten Europas, Christoph Links Verlag, Berlin, 2009.

2 Kolchos = Kollektivwirtschaft; Kollektivwirtschaft; genossenschaftlich organisierter landwirtschaftlicher Großbetrieb in der UdSSR. Nach 1917 auf der Grundlage der Freiwilligkeit entstanden, seit 1929 durch (Zwangs-)Kollektivierung bäuerlicher Einzelwirtschaften, in deren Folge Millionen von Bauern deportiert wurden und umkamen (Entkulakisierung).
Der staatseigene Boden wurde den Kolchosen zur Nutzung gegen Pflichtablieferungen zu staatlich fixierten Preisen überlassen, Überschüsse zu freien Preisen auf den sogenannten Kolchosemärkten verkauft.
Die Rolle der Kolchosen waren strategischer Art und sollten dem Staat feste Agrarlieferungen garantieren. Dadurch kam es zu immer größeren Beschneidungen des ''kollektiven'' Ernteertrages. In jedem Herbst führte die Steuereinzugskampagne zu einem regelrechten Machtkampf zwischen dem Staat und der Bauernschaft, die verzweifelt versuchte, einen Teil der Ernte für sich zu behalten. Es ging um Entscheidendes: für den Staat um die Einnahmen, für die Bauern ums Überleben.