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Die deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet in der Zwischenkriegszeit

Bauernaufstand
Bauernaufstand

Am 30. Januar 1930 erteilte das Politbüro den lokalen Partei-komitees den Befehl "Konter-revolutionäre" und Bauern, die Widerstand gegen die Kollek-tivierung1 leisteten, in Lager einzuweisen oder gleich zu erschießen. Dazu wurde auch das Instrument der Troika an-gewandt.

Was das Regime als "Kollek-tivierung" darstellte, war eigentlich eine Enteignungs- und Terrorkampagne. Gemäß dieser Forderung wurde im angeblichen Einvernehmen mit der Mehrzahl der Gemeindemitglieder die Aussiedlung und Verschickung der "Kulakbauern" nebst ihren Familien angeordnet.

Anderen, russische Bauern, die erst nach der Oktoberrevolution 1917 Land zugeteilt bekommen hatten, wurde dieses einfach beschlagnahmt; Pferde, Kühe und Kleinvieh mussten in gemeinschaftlichen Kolchose2ställen untergebracht und die Felder mit den beschlagnahmten Gerätschaften und Maschinen gemeinschaftlich bearbeitet werden.

Iwan Wladimirow: Suchen nach einem entlaufenen Kulak, 1920
Iwan Wladimirow: Suchen nach einem entlaufenen Kulak, 1920

 „.... Viele von ihnen waren bereit, mit uns zu kommen. Einige von ihnen wurde eigenes zu kultivierendes Land in den Provinzen Tomsk, Irkutsk in Sibirien oder noch nördlicher gegeben....“

Stalin an Churchill auf einem Treffen am 16. August 1942
aus: Winston Churchill: The Second World War: Volume IV – The Hinge of Fate, 1950, 1978, Boston, MA: Houghton Mifflin Company, S.448;

Aus den Städten entsandte "Arbeiterbrigaden" (Stoßbrigaden), Zehntausende meist junger überzeugter Kommunisten, fielen in die Dörfer ein und enteigneten innerhalb von nur sechs Wochen zehn Millionen Höfe und rund 2,5 Millionen Kulaken3 wurden aus ihren Häusern geworfen und innerhalb ihrer Heimatregion umgesiedelt. Ihr Eigentum durfte geplündert werden und der Rest wurde versteigert.

Ihr Eigentum durfte geplündert werden und der Rest wurde versteigert.
Ihr Eigentum durfte geplündert werden und der Rest wurde versteigert.

Wer der Pflicht nicht genügte, ... mußte sich gefallen lassen, daß ihm die Gebäude, lebendes und totes Wirtschaftsinventar sowie der Hausrat zwangsweise versteigert wurden; er zog als Bettler ab, sofern er nicht noch ins Gefängnis gesetzt wurde.

aus: Otto Auhagen: Die Schicksalswende des Russlanddeutschen Bauerntum in den Jahren 1927-1930, S. Hirzel Verlag, Leipzig, 1942, S. 51;

Wer waren diese Kulaken? Diejenigen, die ständige fremde Lohnarbeiter beschäftigten und als nicht 'werktätig' galten. Mehr dazu findest du hier unf hier.

Iwan Wladimirow: In den Kellern der Tscheka (politischen Polizei), 1919
Iwan Wladimirow: In den Kellern der Tscheka, 1919
Genrich G. Jagoda
Genrich G. Jagoda

Drei Tage nach dem Politbüro-Beschluss zur Entkulakisierung, unterschrieb Genrich G. Jagoda, damaliger Leiter der GPU (politische Geheimpolizei der Sowjetunion bis 1934) am 1. Februar 1930, den Befehl Nr. 44/21 "Über die Liquidierung des Kulakentums als Klasse".

Dazu teilte Jagoda die zu verfolgenden Kulaken in drei Kategorien ein und sah für die entsprechend eingeordneten Personen unterschiedlich definierte Repressionen vor.

In einem 'Verschickungsbefehl' vom 28. März 1930 an eine deutsche Bauernfamilie heißt es:

An den Bürger A. B. des Dorfes .... des Deutschen Dorfrats.
Das Rayon-Vollzugskomitee, auf Grund der Anordnung der Regierung und im Einverständnis mit dem Beschluß der Bürger über die Aussiedlung kulakischer Wirtschaften aus den Dörfern der völligen Kollektivierung, benachrichtigt Sie, daß Sie mit Ihrer Familie zur Aussiedlung aus dem Dorfe .... an einen neuen Wohnort bestimmt sind.
Zur Vorbereitung auf die Aussiedlung der Familie wird Ihnen eine eintägige Frist gewährt, wobei Sie das Recht haben, Geld bis zu 500 Rubel mitzunehmen, ferner Verpflegung auf 2 Monate, Hausgeräte, Handwerkszeug, Winter- und Sommeranzug und Wäsche. Im ganzen darf jedoch das Gepäck 30 Pud [~ 490 kg] nicht überschreiten.
Näheres wird Ihnen der Bevollmächtigte des Rayon-Vollzugskomitees, Genosse N. N. erklären, nach dessen Anweisung Sie mit der Familie und den gepackten Sachen am 29. März um 9 Uhr fertig sein müssen, zu welcher Stunde Pferde für Ihre Fracht und Familie bereit stehen werden.
Sie werden verwarnt bezüglich aller Folgen der Nicht Vorbereitung, etwaiger Fluchtversuche oder der Versuche des Ungehorsams gegen den Dorfrat und den Bevollmächtigten des R.V.K, und auch insofern, daß im Falle Ihrer Flucht Ihre Familie ausgesiedelt werden wird.

aus: Otto Auhagen: Die Schicksalswende des Russlanddeutschen Bauerntum in den Jahren 1927-1930, S. Hirzel Verlag, Leipzig, 1942, S. 48;

Die Deportationen fanden unter chaotischen Umständen statt. Ein Augenzeuge berichtet über seine Deportation nach Westsibirien im Februar 1930:

... Die Bewegung im Dorf war groß, alles schrie und weinte vom kleinsten Kind bis zum grauen Haar. Und dann das Kommando, Abfahren! ... Es war schrecklich kalt .... Die Leute ... zitterten vor Frost und Aufregung. Eine jede Familie hatte Erlaubnis ein Pferd von den ihren mitzunehmen und auch zwei Pud Mehl auf die Seele zu schütten. Gabel, Spaten, Beil, Säge, Sichel, und Sense sollte jeder mitnehmen, denn sie sollten sich im Urwald Hütten machen...

aus: Otto Auhagen: Die Schicksalswende des Russlanddeutschen Bauerntum in den Jahren 1927-1930, S. Hirzel Verlag, Leipzig, 1942, S. 155;
Deportation der Kulaken
Deportation der Kulaken

Es sollte schnell eine neue Menschenklasse geschaffen werden. Bis Ende 1930 waren 700.000 Entkulakisierte registriet (über 100.000 davon waren Russlanddeutsche) und über 20.000 Todesurteile gefällt worden. Bis Ende 1931 stieg die Zahl der Entkulakisierten bis auf 1.800.000 an.
Zu Hunderttausenden wurden sie in die Zwangsarbeitslager (Gulag) nach Zentralasien und Nordsibirien deportiert, wo innerhalb von 3 Jahren etwa 300.000 dieser Menschen an Hunger, Entkräftung und der Strapazen der langen Todesmärsche starben.
Am 8. Mai 1933 wurde die Entkulakisierung durch eine Vorschrift des Zentralkomitees der Allsowjetischen Kommunistischen Partei (WKP) und des Rates der Volkskommissare (SNK) der UdSSR offiziell für erfüllt erklärt.

 ... Die letzten drei Jahre unserer Arbeit auf dem Dorf waren die Jahre des Kampfes für die Liquidierung des Kulakentums und für den Sieg der Kolchosen. Diese drei Kampfjahre führten zur Zerschlagung unserer Klassenfeinde auf dem Lande.

aus: Oxana Stuppo, Das Feindbild als zentrales Element der Kommunikation im Spätstalinismus: Der Fall Sverdlovsk 1945-1953 (Forschungen Zur Osteuropaischen Geschichte), Harrassowitz Verlag, Wiesbaden, 2007, S. 33;

Von den systematischen Vernichtungsaktionen waren aber nicht nur die Groß- und Mittelbauern betroffen, sondern unter den Deportierten und Ermordeten befanden sich auch Geistliche, Nonnen, Bauern mit Handwerksbetrieben, ehemalige Beamte des zaristischen Regimes, Händler und Mitglieder der dörflichen Intelligenz.

Iwan Wladimirow: ehemalige Beamte des Zaren bei der Zwangsarbeit, 1920
Iwan Wladimirow: ehemalige Beamte des Zaren bei der Zwangsarbeit, 1920
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Anmerkungen

1 Die Kollektivierung der bäuerlichen Einzelwirtschaften (Bildung von Kolchosen) enstand nach der Oktoberrevolution von 1917 und war bis zum Frühjahr 1928 auf freiwilliger Basis. Es waren hauptsächlich ärmere Bauern und Landlose, die den Kolchosen beitraten. Da die Kollektivierung auf freiwilliger Basis ins Stocken geriet, kam es unter Stalin ab 1929 zur Zwangskollektivierung. Ende 1929 befand sich fast die Gesamtheit des landwirtschaftlich genutzten Bodens der Sowjetunion noch in Privatbesitz. (Okt. 1929: 7,6% der bäuerlichen Haushalte kollektiviert).
Die Zwangskollektivierung, mit teilweise bürgerkriegsähnlichem Charakter, wurde unter Stalin nach der strategischen und gewaltsamen "Liquidierung der Kulakenklasse", zwischen 1929 und 1937, durchgeführt. Dafür wurden die sogenannten "Kulaken" ersatzlos enteignet und in unbewohnte Gebiete deportiert oder umgebracht. Mit der forcierten Kollektivierung beendete Stalin die Neue Ökonomische Politik (NEP) und leitete die Zeit der überzentralisierten und bürokratisierten Planwirtschaft ein.

2 Kolchos = Kollektivwirtschaft; genossenschaftlich organisierter landwirtschaftlicher Großbetrieb in der UdSSR. Nach 1917 auf der Grundlage der Freiwilligkeit entstanden, seit 1929 durch (Zwangs-)Kollektivierung bäuerlicher Einzelwirtschaften, in deren Folge Millionen von Bauern deportiert wurden und umkamen (Entkulakisierung).
Der staatseigene Boden wurde den Kolchosen zur Nutzung gegen Pflichtablieferungen zu staatlich fixierten Preisen überlassen, Überschüsse zu freien Preisen auf den sogenannten Kolchosemärkten verkauft.
Die Rolle der Kolchosen waren strategischer Art und sollten dem Staat feste Agrarlieferungen garantieren. Dadurch kam es zu immer größeren Beschneidungen des ''kollektiven'' Ernteertrages. In jedem Herbst führte die Steuereinzugskampagne zu einem regelrechten Machtkampf zwischen dem Staat und der Bauernschaft, die verzweifelt versuchte, einen Teil der Ernte für sich zu behalten. Es ging um Entscheidendes: für den Staat um die Einnahmen, für die Bauern ums Überleben.

3 Kulak = Bezeichnung für den russischen Mittel- und Großbauern aber auch eine abfällige Bezeichnung der wohlhabenden Bauern auf dem Lande. Kulak, was wörtlich übersetzt “Faust“ bedeutet (jemand, der seinen Besitz fest in den Fäusten hält), wird im Sinne von “Wucherer“ oder “Dorfkapitalist“ gebraucht. Jemanden, der kleine Bauern und seinen in Not geratenen Nachbarn um Hab und Gut gebracht hatte.
Nach der Oktoberrevolution von 1917  und im Verlauf der Kollektivierungsmaßnahmen (1929/30) unter Stalin wurde der Begriff Kulak zum Schimpfwort und auf alle angeblichen 'Ausbeuter' in der Landwirtschaft ausgedehnt und als feindliche 'Klasse' liquidiert. Auch Witwen und alte Bauern fielen unter diese Kategorie, weil sie einen Knecht oder eine Magd beschäftigten.
1919 war ein Kulak der, der zwei Häuser mit Blechdach, mehr als fünf Kühe oder Pferde oder mehr als 20 Schafe besaß. Auf dem Höhepunkt der Kollektivierung (1932) bedeutete bereits geringfügiges landwirtschaftliches Eigentum, wie zum Beispiel eine Kuh oder die Beschäftigung von Tagelöhnern oder Mägden und Knechten als Kulakentum und führte zu Zwangsmaßnahmen: Schon seit 1927 mussten sie höhere Steurn bezahlen und bekamen keine Kredite oder Geräte mehr. Viele verkleinerten ihre Anbaufläche und ihren Viehbestand, um kein 'Kulak' mehr zu sein, was dazu führte, dass bald Getreide für den Export und zur Versorgung der Städte fehlte.
Im Herbst 1929 wurde es den Kulaken verboten, in die entstehenden Kollektive einzutreten, weil man dort ihre Meinungsführerschaft fürchtete, was dann zu Enteignung und schließlich zu Deportation in menschenleere Gebiete oder in den Gulag führte. Oft wurden auch die Familienangehörigen der 'Kulaken' und sogar angebliche Kulakensöldlinge verfolgt.
Auf der Grundlage der Beschlüsse des Zentralexekutivkomitees und des Rates der Volkskommissare vom 30. Januar und 1. Februar 1930 und einer Instruktion vom 4. Februar wurden alle Kulaken in drei Kategorien eingeteilt: die Bauern der 1. Kategorie galten als 'konterrevolutionäre Elemente', die sofern sie Anzeichen fortgesetzten Widerstands zeigten, entweder gleich erschossen, oder in ein Arbeitslager der GPU (Staatssicherheitsdienst) gebracht wurden. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt und ihre Angehörigen fielen unter die Deportierten.
Die Kulaken der 2. Kategorie waren zwar weniger gefährlich, galten aber als 'fürchterliche Ausbeuter'. Sie wurden enteignet, verhaftet und mit ihren Familien in entlegene Gebiete deportiert.
Die Kulaken der 3. Kategorie galten als 'staatstreu, wurden enteignet und in unfruchtbare, unkultivierte Zonen ihrer Distrikte umgesiedelt.