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Die Rückwanderung der Volksdeutschen1
fremder Staatsangehörigkeit2

(Teil 1 von 2)

Der Fürsorgeverein für deutsche Rückwanderer

Broschüre des Fürsorgevereins für deutsche Rückwanderer
Broschüre des Fürsorgevereins3

Die Organisation der Rück-wanderung von deutschstämmigen Kolonisten aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa lag ab 1909 in den Händen des eben gegründeten Fürsorgevereins für deutsche Rückwanderer, der seinen Sitz zuerst in Berlin, Schöneberger Ufer 21 und später in Berlin, Schellingstraße 11 hatte.

 

Die Aufgabe des Fürsorgevereins war die Anwerbung von Arbeitskräften, die Ausstellung von Dienstverträgen, die Überwachung der Arbeitsbedingungen nach der Vermittlung, fungierte als Beschwerdeinstanz für Rück-wanderer und sorgte, falls erforderlich, für eine neue Arbeitsstelle.

 

In seiner Satzung vom 27. August 1909 heißt es in § 1:

Hauptzweck ist die Vermittlung von Ansiedlungs- und Arbeitsverträgen mit aus dem Ausland in das Mutterland zurückzuwandernden Deutschen. Daneben sind sie wirtschaftlich zu fördern, die Beratung, Unterstützung und die erste Einrichtung zu übernehmen.1

Das Ziel der Anwerbung wurde klar formuliert: Die Folgen der schon seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhundert eingetretenen "Landflucht" könnten für die ostelbische Landwirtschaft durch die Zuwanderung gedämpft, unerwünschte ausländisch-polnische Saisonarbeitskräfte2 ersetzt und den „patriarchalischen Beziehungen zwischen Gutsherrschaft und Arbeiterschaft, die heute schon so oft fehlen, eine neue Grundlage gegeben werden“.

aus: Jochen Oltmer: Migration und Politik in der Weimarer Republik, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2005, S. 147;

Es kam die Frage auf, inwiefern sich die seit der Einschränkung der Privilegien (1871) aus Russland kommenden deutschen Kolonisten zur Sesshaftmachung, Beschäftigung und Unterbringung in Deutschland oder deutschen Schutzgebieten eignen würden:

„... ob die Deutschrussen ein wünschenswertes Einwanderungselement für Deutschland bilden....."

aus: Adolf Lane: Deutsche Bauernkolonien in Russland, ein Beitrag zur Orientierung über ihren Zustand und über die Rückwandrer-Bewegung, W. Süsserott, Berlin, 1910, S. 23;

Der Gründer und Leiter des 'Fürsorgevereins für deutsche Rückwanderer', Alfred Borchardt, zuvor landwirtschaftlicher Sachverständiger an der deutschen Botschaft in Sankt Petersburg, fasste die Begründung zugunsten der Beschäftigung russlanddeutscher Landarbeiterinnen und Landarbeiter folgendermaßen zusammen: „Die Vorzüge sind das im Kern unverdorbene Deutschtum, die Festigkeit im Glauben, das patriarchalische Familienleben, die tiefverwurzelte Liebe zum Landleben und der große Kinderreichtum“.

aus: Alfred Borchardt, Deutschrussische Rückwanderung, Stilke Verlag, Berlin, 1915, S. 12;
Wilhelm II. im Kreise der deutschen Generale
Wilhelm II. im Kreise deutscher Generale

Auch der extrem nationa-listische Alldeutsche Verband3 für den das Deutsche Kaiserreich als unvollendet galt, weil eine große Anzahl von Siedlern aus den deutsch-sprachigen Gebieten Mittel-europas in geschlossenen Gebieten außerhalb des Reiches vor allem in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa lebte, unterstütze die Anwerbung russlanddeutscher Land-arbeiter mit der Begründung sie seien sehr kinderreich. Außerdem biete die Rekrutierung von "Rückwanderern" aus Russland nicht nur eine langfristige Perspektive für das Ziel einer Verdrängung der Polen, sondern auf diesem Weg werde dem preußischen Heer auch eine stattliche Anzahl Rekruten zugeführt, die sonst in ausländischen Heeren ihrer Dienstpflicht hätten genügen müssen4.

 

Landarbeiter
Landarbeiter

Für diesen Zweck erhielt der Fürsorgeverein vonseiten des preußischen Staates ein Anwerbemonopol und somit innerhalb der anti-polnischen Abwehrpolitik Preußens5 eine wichtige Rolle. Um parlamentarische Kontrollen gar nicht erst zuzulassen und die preußische Staatsregierung nicht in illegale Aktivitäten einzubeziehen, die für die politischen Beziehungen mit ausländischen Staaten hätten gefährlich werden können, wurde der Fürsorgeverein, ähnlich der Zentralauskunftsstelle für Auswanderer6 und der Deutschen Arbeiterzentrale7, als eine private Organisation gegründet.

Wilhelm II.
Wilhelm II.

Zur Umsetzung dieser Ziele war die deutsche politische Führung bereit, hohe außenpolitische Risiken auf sich zu nehmen, denn die Anwerbung von Arbeitskräften und Siedlern war zu jener Zeit im Zarenreich verboten.

 

Der Oberpräsident der Provinz Posen, Wilhelm von Waldow, beschrieb in einem Immediatbericht an Kaiser Wilhelm II. vom 12. Juli 1903 die anfänglichen Anwerbeaktionen in Russland folgendermaßen:

„Die Reichsleitung habe zwar seit den 1890er Jahren die Anwerbung in Russland forciert, angesichts möglicher außenpolitischer Ver-wicklungen wegen des russischen Anwerbe- und Abwanderungsverbots, aber nur unter der Bedingung, daß die Agitation sehr vorsichtig betrieben werde, lediglich als private erscheine und jeden Schein einer Beziehung zur Ansiedelungs-kommission vermeide”.

aus: Oberpräsident in Posen an Kaiser Wilhelm II. in Berlin, 12.07.1903, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch B), R 901, Nr. 30007.

 

Wilhelm von Waldow
Wilhelm von Waldow

Nach Waldow seien in diesem Sinn seit 1901 Tausende von Flugblättern in den deutschen Minderheitengebieten verteilt und dort zugleich unter anderem mit Hilfe des Alldeutschen Verbandes Adressen gesammelt worden:

Die Flugblätter gingen sämtlich unter Deckadressen, zum großen Teil wurden sie vom russischen Gebiete aus versandt, um die Aufmerksamkeit der russischen Behörden nicht zu erwecken”.

Die Werbemaßnahmen der Ansiedlungs-kommission seien erfolgreich gewesen, betonte von Waldow, bei den russlanddeutschen Kolonisten habe "das Flugblatt der Ansiedlungskommission die Sehnsucht nach der alten deutschen Heimath" geweckt, wo sie "als Deutsche unter Deutschen leben" könnten.

Kiel 1917 ti
Kiel 1917
Kiel 1917

Vor dem 1. Weltkrieg hatte der Fürsorgeverein 110 Vertrauens-leute in Deutschland und unterhielt mehrere Vermittlungs-stellen: in Güstrow für Mecklenburg-Schwerin, in Kiel für die Provinz Schleswig-Holstein, in Königsberg für die Provinz Ostpreußen, in Neubrandenburg für das Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz und in Stettin für die Provinz Pommern. In Russland verfügte der Verein über insgesamt 106 Vertrauens-leute, die unter den abwanderungswilligen Landarbeiterinnen und Landarbeiter warben und die Arbeitsaufnahme in Deutschland nahelegten.

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Anmerkungen

1 GstA PK: I.HA Rep. 77 Ministerium des Innern Tit. 226b Einwanderungen Nr. 64‚ Fürsorgeverein für deutsche Rückwanderer in Berlin, Bd. 1, 1909- 1924;

2 Preußische Ministerien für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, des Innern und für Finanzen in Berlin an Oberpräsidenten, 28.05.1909, BArch B, R 901, Nr. 30007.

3 Der Alldeutsche Verband, eine politische Bewegung, entstand Ende des 19. Jahrhunderts, dessen Ziel es war das Nationalbewusstsein zu beleben, die deutsche Kolonial-, Flotten- und Außenpolitik zu fördern und das Deutschtum im Ausland zu unterstützen, d.h. Zusammenfassung aller Deutschsprechenden. Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges erhielt die Bewegung starken Aufschwung und zählte zeitweise zu den größten und bekanntesten Agitationsverbänden im deutschen Kaiserreich.

4 Hans-Siegfried Weber, Rücksiedlung Auslandsdeutscher nach dem Deutschen Reiche, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Gustav Fischer Verlag, Jena, 1915;

5 Nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Vorherrschaft wurde Preußen auf dem Wiener Kongress 1815 ein Teil Großpolens wieder zugeschlagen. In der Schlussakte des Wiener Kongresses hatte Preußen sich verpflichtet, den polnischen Untertanen die Bewahrung des Volkstums zu sichern. Der preußische Staat behandelte seine Bewohner zunächst offiziell gleich. Die Polnischsprachigen erfuhren demnach im Vergleich zu den Deutschsprachigen keinerlei formelle Einschränkungen.
Nach dem Novemberaufstand von 1830, in dem die Posener Polen auf kongresspolnischer Seite gekämpft hatten, änderte König Friedrich Wilhelm III. seine Politik radikal: Ein Prozess der Germanisierung begann. Die polnische Sprache wurde aus dem öffentlichen Leben verdrängt (1832).
1886 starteten die Preußen eine Ansiedlungsaktion, mit Hilfe derer sie ein Gleichgewicht zwischen preussischer und polnischer Bevölkerung erreichen wollten. Am 26. April 1886 erließ Preußen ein antipolnisches Ansiedlungsgesetz für die neuen preußischen Ostprovinzen, die zuvor zu Polen gehörten mit der Begründung, zur „Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen“. Das Ansiedlungsgesetz sollte durch staatlichen Bodenkauf von verschuldeten Gütern in polnischem Besitz und durch die Ansiedlung deutscher "Erbbauern" zu einer Verdrängung der als 'Reichsfeinde' eingestuften Preußen polnischer Nationalität und Muttersprache führen. Es wurde die königlich preußische Ansiedlungskommission gegründet, die von der preußischen Regierung ein Fonds von 100 Millionen Mark für den Ankauf von Grundbesitz zur Verfügung gestellt wurde.

6 Zentralauskunftsstelle für Auswanderer = Große Förderung durch die Deutsche Kolonialgesellschaft erfuhr die Auswanderung in die deutschen Kolonien. Die bereits 1884 durch den Deutschen Kolonialverein gegründete "Zentral-Auskunftsstelle für Auswanderer" wurde regelrecht zu einem Auskunftsbüro entwickelt, das v. a. Industriearbeitern die Möglichkeit des Landerwerbs schmackhaft machen sollte.
Nachdem durch RG (Reichsgesetz) vom 9. Juni 1897 das Auswanderungswesen geregelt war, gründete die Deutsche Kolonialgesellschaft 1902 die "Zentralauskunftsstelle für Auswanderer" in Berlin, die Zweigstellen in ganz Deutschland unterhielt. Abweichend von dem Vorgehen der meisten anderen Länder, wurde sie nicht als ein selbständiges staatliches Organ gegründet, sondern als eine der Aufsicht des Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft unterstehende selbständige Abteilung dieser Gesellschaft angegliedert. Die Finanzierung lag beim Auswärtigen Amt. Erst nach dem 1. Weltkrieg wurden die Funktionen der Zentralauskunftsstelle auf eine staatliche Behörde, die am 29. Mai 1918 eingerichtete "Reichsstelle für deutsche Rückwanderung und Auswanderung (Reichswanderungsstelle) übertragen.
In der Zeit vom 1. Oktober 1905 bis 30. September 1906 erteilte die Zentralauskunftsstelle für Auswanderer 2.496 schriftliche und 684 mündliche, im ganzen also 3.180 Auskünfte, während vom 1. Oktober 1904 bis 30. September 1905 nur 2.663 Auskünfte (2061 schriftliche und 602 mündliche) erteilt wurden.

7 Deutsche Arbeiterzentrale = 1905 wurde unter dem Namen "Deutsche Feldarbeiter-Zentralstelle" ein rechtsfähiger Verein zur Anwerbung, Vermittlung und Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte mit Sitz in Berlin gegründet, der ab 1907 das Anwerbermonopol zunächst für die polnischen Saisonarbeiter inne hatte. Zum Direktor und Vorstandsmitglied dieser Einrichtung wurde Freiherr von dem Bussche-Ippenburg, genannt von Kessel, zum 1. April 1905 berufen. Im Dezember 1911 erfolgte die Umbenennung der Deutschen Feldarbeiter- Zentralstelle in Deutsche Arbeiterzentrale (DAZ).
Die letzten beiden Jahre der Tätigkeit der deutschen Arbeiterzentrale vor dem 1. Weltkrieg wurden beherrscht durch Auseinandersetzungen mit dem Fürsorgeverein für deutsche Rückwanderer. Während anfangs fast alle von der Deutschen Arbeiterzentrale registrierten Rückwanderer illegal die Grenze überschritten, ging deren Anteil bis zum Dezember 1925 erheblich zurück.