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Die Rückwanderung der Volksdeutschen1
fremder Staatsangehörigkeit

(Teil 3 von 3)

Die Förderung des "Deutschtums2" im preußischen Osten

polnische Landesteile Preußens von 1795-1807
polnische Landesteile Preußens von 1795-1807

In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts waren aus den polnischen Landesteilen Preußens Hunderttausende von Polen, aber noch mehr Deutsche, wegen schlechten Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnissen in die westdeutschen Industriegebiete an Ruhr und Rhein abgewandert, wo die Schwerindustrie boomte, oder hatten ihr Glück in der Auswanderung nach Übersee gesucht. Nach 1870 sank der Anteil der Deutschen in der Provinz Posen unter 50 Prozent, was für Preußen eine innere Schwächung bedeutete, da es in der polnischen Bevölkerung, das um Unabhängigkeit rang, eine Gefahr für das neugegründete Deutsche Kaiserreich3 (1871) sah.

 

Um den Tendenzen des "Deutschenschwundes" aufzuhalten, sollte die Ansiedlung deutscher 'Erbbauern' zur Verdrängung der als 'Reichsfeinde' eingestuften Preußen polnischer Nationalität und Muttersprache in diesen Gebieten führen.

Vor diesem Hintergrund setzte das deutsche Kaiserreich Muster der Privilegierung deutschstämmiger Zuwanderer aus dem Osten Europas durch.

„Nur durch die deutschen Rückwanderer war es der Ansiedlungskommission möglich, eine Besiedlungstätigkeit größten Stils durchzuführen, da wir in Deutschland selbst nicht das genügende Menschenmaterial für die Zwecke der Ansiedlung hatten"4

 

Friedrich Wilhelm III.
Friedrich Wilhelm III.

Von der in der Schlussakte des Wiener Kongresses (1815) von König Friedrich Wilhelm III. versprochenen Integration und Akzeptanz gegenüber der polnischen Untertanen5, war unter dem preußischen Ministerpräsidenten (und Reichskanzler) Otto von Bismarck nicht mehr die Rede, denn er erließ am 26. April 1886 ein 'antipolnisches' Ansiedlungsgesetz6 mit der Begründung „Zur Stärkung und Vermehrung des deutschen Elementes in den Provinzen Westpreußen und Posen“.

Für diesen Zweck wurde die "Königliche Ansiedlungskommission in den Provinzen Westpreußen und Posen“7 gegründet.

 

An dieser Stelle muss allerdings erwähnt werden, dass in nationalistischen Kreisen das Deutsche Reich, als unvollendet galt, weil eine große Anzahl von Siedlern aus den deutschsprachigen Gebieten Mitteleuropas in geschlossenen Gebieten außerhalb des Reiches vor allem in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa lebte. Dazu zählten auch die 1,8 Millionen (1,4 %) Menschen "deutscher Muttersprache", die die erste Volkszählung im Zarenreich 1897 ergab8.

deutsche Sprachinseln in Europa bis 1945
deutsche Sprachinseln in Europa bis 1945

Andererseits muss darauf hingewiesen werden, dass nach der Abschaffung der Leibeigenschaft in Russland (1861) eine deutlich sichtbare deutschfeindliche Stimmung (Neid-Hass-Komplex) im Lande einsetzte. Es entstand ein allgemeiner Streit um die Gefährlichkeit oder Nützlichkeit der deutschen Kolonisten9. Verantwortlich dafür waren die bei der Ansiedlung der Kolonisten für ewige Zeiten garantierten Privilegien, der damit verbundene Kolonistenstatus und der wirtschaftliche und soziale Aufschwung, aber auch die Absonderung der Deutschen von anderen Bevölkerungsgruppen, durch ihre Konzentration in bestimmten Gebieten.

Noch 1881 besaß ein Drittel der Einwohner die deutsche Staatsangehörigkeit. Bei der Volkszählung 1905 waren 42.000 Einwohner in St. Petersburg Deutsche; in Moskau lebten zu dem Zeitpunkt 20.000 und in Odessa etwa 12.000 Deutsche. Somit wurden die Deutschen in Russland durch die breite Schichten der Bevölkerung als einen nationalen Fremdkörper empfunden, der zu bekämpfen war.

Alexander II.
Alexander II.

Während die Deutschen mit ihren ukrainischen und russischen Nachbarn bestens auskamen, entwickelte sich in bedeutenden Kreisen der russischen Adeligen, Politiker und Bildungsbürger ein wachsender Panslawismus10 mit einem damit verbundenen Deutschenhass.

Die all umstrittenen Privilegien der deutschen Kolonisten, wurden am 2. Juli 1871 durch den Ukas von Zar Alexander II. dann aus innen- und außenpolitischen Gründen11 eingeschränkt und kurze Zeit später ganz abgeschafft. Dazu gehörte die Auflösung der Selbstverwaltung und die Übernahme in die Semstwoverwaltung, was zur rechtlichen Gleichstellung der Kolonisten mit den anderen ethnischen Gruppen im Russischen Reich führte. Zum ersten Mal hatten die deutschen Kolonisten die Gelegenheit sich außerhalb ihrer Gemeinde an den Wahlen der Kreis- und Gouvernementssemstwos zu beteiligen.

Viele Kolonisten reagierten auf die veränderte Rechtslage mit dem Wunsch, das Russische Reich zu verlassen, entweder in die alte Heimat Deutschland zurückzukehren oder nach Übersee (USA und Kanada) auszuwandern. Bis 1912 waren es etwa 300.000 Russlanddeutsche, die auswanderten.

 

Bereits 1884 wurde durch den Deutschen Kolonialverein die "Zentral-Auskunftsstelle für Auswanderer" gegründet, die v. a. Industriearbeitern die Möglichkeit des Landerwerbs schmackhaft machen sollte.

1905 wurde unter dem Namen "Deutsche Feldarbeiter-Zentralstelle" ein rechtsfähiger Verein zur Anwerbung, Vermittlung und Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte gegründet.

Ab 1909 lag die Organisation der Rückwanderung von deutschstämmigen Kolonisten aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa in den Händen des Fürsorgevereins für deutsche Rückwanderer.

Von 1888 bis 1914 wurden insgesamt 21.683 Familien im Deutschen Reich angesiedelt, von denen 5.480 Familien, also rund ein Viertel, aus dem Ausland kamen.

Wolhynien (gelb) innerhalb der heutigen Ukraine
Wolhynien (gelb) innerhalb der heutigen Ukraine

Darunter dominierten Fami-lien deutscher Herkunft aus Russland (4.900) vor solchen aus dem österreichisch-ungarischen Galizien (500) und Ungarn (80).

Unter den Siedlern deutscher Herkunft aus Russland kam der weitaus überwiegende Teil aus Russisch-Polen (3.540 Familien), der Rest vor allem aus Wolhynien12 in der heutigen nordwestlichen Ukraine.

 

 

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Anmerkungen

1 Volksdeutsche = (bes. nationalsozialistische) Bezeichnung für die außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches und Österreichs ansässigen Personen deutscher Volks- und fremder Staatszugehörigkeit [besonders in ost- und südosteuropäischen Ländern bis zur Umsiedlung im 2. Weltkrieg (1940/1945) und der Vertreibung (1947)]. Wer in die Deutsche Volksliste aufgenommen worden ist, erhielt ein späteres Anrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit.

2 Deutschtum = Bezeichnung für die Eigenarten des deutschen Volkstums, die sich neben der gemeinsamen Sprache durch das Zusammenwirken physischer, geographischer und geschichtlicher Ursachen herausgebildet haben; sie bezieht sich auf die ganze geistige und materielle deutsche Kultur und schließt alle Angehörigen deutscher Zunge ein, die innerhalb des Deutschen Reiches, des größten Teils der Schweiz und Deutsch-Österreichs leben, sowie über das übrige Europa und die ganze Erde verbreitet sind. Anfang des 19. Jahrhundersts, zuerst ironisch gebraucht, ersetzt es dann das ältere Deutschheit. Für die Erhaltung des Deutschtums im Ausland wirkten besonders der Allgemeine Deutsche Schulverein (gegründet 1880), die Deutsche Kolonialgesellschaft (gegründet 1882 als Dt. Kolonialverein, seit 1887 Dt. Kolonialgesellschaft) und der Alldeutsche Verband (gegründet 1891).

3 Deutsches Kaiserreich = Otto von Bismarck erreichte 1871 den Zusammenschluss zwischen dem Norddeutschen Bund (Bundesstaat von 22 Mittel- und Kleinstaaten nördlich der Mainlinie, der 1866 entstand wirtschaftlich und militärisch unter preußischer Vorherrschaft stand) und den süddeutschen Staaten Großherzogtum Baden, Königreich Bayern und Königreich Württemberg, der im Dezember 1870 den Namen Deutsches Reich annahm. Es endete 1918 mit der Novemberrevolution und der formellen Abdankungserklärung Kaiser Wilhelms II. am 28. November.

4 Hans-Siegfried Weber, Deutsch-russische Rücksiedlung 1917, S. 21; s. auch: Ders., Kolonisten 1918, S. 341f.

5 Im Besitzergreifungspatent des an Preußen zurückfallenden Teils des Herzogtums Warschau vom 15. Mai 1815 wandte sich König Friedrich Wilhelm III. an die Einwohner [Polen] des Großherzogtums Posen: „.. Auch ihr habt ein Vaterland... Ihr werdet Meiner Monarchie einverleibt, ohne Eure Nationalität verläugnen zu dürfen. Ihr werdet an der Constitution Theil nehmen, welche Ich Meinen getreuen Unterthanen zu gewähren beabsichtige, und Ihr werdet, wie die übrigen Provinzen Meines Reiches, eine provinzielle Verfassung erhalten. Eure [katholische] Religion soll aufrecht erhalten werden.... Eure Sprache soll neben der teutschen in allen öffentlichen Verhandlungen gebraucht werden..." (aus: Österreichischer Beobachter auf das Jahr 1815, 1. Band, Jänner bisEnde Juni, Anton Strauß Verlag, Wien, 1815, S. 809)

6 Nach dem Novemberaufstand von 1830, in dem die Posener Polen auf kongresspolnischer Seite gekämpft hatten, änderte König Friedrich Wilhelm III. seine Politik radikal: Ein Prozess der Germanisierung begann. Die polnische Sprache wurde aus dem öffentlichen Leben verdrängt (1832). 1886 starteten die Preußen eine Ansiedlungsaktion, mit Hilfe derer sie ein Gleichgewicht zwischen preussischer und polnischer Bevölkerung erreichen wollten.

7 Hans Siegfried Weber: Rücksiedlung Auslanddeutscher nach dem Deutschen Reiche, Gustav Fischer Verlag, Jena, 1915, S. 19;

8 Andreas Kappeler: Rußland als Vielvölkerreich: Entstehung - Geschichte - Zerfall, C.H.Beck Verlag, 2008, München, S. 234;

9 Nikolaus Arndt: Die Deutschen in Wolhynien – Ein kulturhistorischer Überblick, Adam Kraft Verlag, Würzburg, 1994, S. 6

10 Der Panslawismus entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts als romantischer Nationalismus, enstanden in in der Glaubensgemeinschaft der orthodoxen Kirche. Sein Ziel war die kulturelle, religiöse und politische Einheit aller slawischen Völker Europas und bildete somit die ideologische Grundlage für die Feindseligkeit gegenüber den Russlanddeutschen.
Erste Gedanken von einer Vereinigung aller slawischen Völker unter russischer Führung entwickelten sich im russischen Zarenreich schon im 17. Jahrhundert. Vor Ausbruch des Russisch-Türkischen Krieges (1876/77) war der Panslawismus zur bestimmten Ideologie in Russland geworden, die nach 1880 vom Panrussismus verdrängt wurde, der die Basis für die Russifizierung- und Unterdrückungspolitik vor allem gegen Polen und Juden, aber auch nicht-orthodoxe Russen und nichtrussische Orthodoxen war.

11 Innenpolitisch brachte die Abschaffung der Leibeigenschaft in Russland seit 1861 durch Alexander II. formal eine Angleichung des russischen Bauernstandes an den der Deutschen. In Ermangelung einer Bodenreform erhielten die nun freien russischen Bauern nicht das Land, auf dem sie bislang gearbeitet hatten. Viele arbeiteten daher als Tagelöhner bei deutschen Bauern, was nicht selten zu Neid unter der russischen Bauernbevölkerung führte.
Außenpolitischer Anlass waren die Folge des deutsch-französischen Krieges (1870-1871) und die Gründung des Deutschen Kaiserreiches (1871), das seit der dritten Teilung Polens (1795) nun in unmittelbarer Nachbarschaft lag.

12 Wolhynien, historische Landschaft im Nordwesten der Ukraine, zwischen dem Westlichen Bug (im Westen) und dem Tal des Dnjepr (im Osten), dem Prypjat in Polesien (im Norden) und Podolien im Süden, war im 9./10. Jahrhundert ein Teil des Kiewer Reiches, im 11./12. Jahrhundert ein unabhängiges Herzogtum und wurde 1188 mit Galizien vereinigt. Im 14. Jahrhundert kam Wolhynien an Litauen, 1569 durch die Lubliner Union an Polen, ab 1793 beziehungsweise 1795 kam Wolhynien zu Russland. Im 19. Jahrhundert wurden in Wolhynien Deutsche und Tschechen angesiedelt.
1915 wurden rund 200.000 Wolhyniendeutsche nach Sibirien und Zentralasien deportiert. Etwa 100.000 Überlebende kehrten nach dem Krieg in ihre Heimat zurück.
Der Westteil Wolhyniens kam 1921 an Polen. Während der deutschen Besetzung 1941-44 wurde die jüdische Bevölkerung Wolhyniens ausgerottet und die Wolhyniendeutschen zum Teil nach Deutschland, zum Teil in das Gebiet um Posen zwangsumgesiedelt. 1943-44 kam es zwischen Ukrainern und Polen zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, wobei es auf beiden Seiten zu tausenden von Opfern kam. 1947 wurden ca. 200.000 Wolhynientschechen in die Tschechoslowakei umgesiedelt.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges fiel das gesamte Wolhynien an die Sowjetunion. Seit 1992 gehört Wolhynien zum größten Teil zur Ukraine.