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Gammalsvenskby1 in den 1920er Jahren2

Julia Johansdotter Buskas
Julia Johansdotter Buskas

Am 27. August 1927 erhielt das Dorf unerwünschten Besuch; eine Gruppe von GPU-Leuten, der Geheimpolizei der Sowjetunion (eine Vorläuferin des KGB). Sie wollten die Lehrer über religiöse Aktivitäten im Dorf unter den Kindern und ihren Eltern befragen. Die junge Lehrerin von Neuschwedendorf, Julia Johansdotter Buskas (*1900, †1940), gab zu, dass sie selbst die Predigten in der Kirche besucht hatte. Sofort wurde sie als inkompetent für die Ausbildung der Kinder in der UdSSR erklärt und sofort aus dem Schulamt entlassen.
Dann kamen die Gärtner und Mitarbeiter des Dorfes an die Reihe. Sie wurden beschuldigt, dass ihnen das richtige proletarische Bewusstsein fehle und gefragt, warum sie die Macht im Dorf nicht schon längst übernommen hätten. Da die Leute sich aber über ihre materiellen Bedürfnisse beschwerten und klagten, dass sie am Rand des Verhungerns lebten, kam die prompte Antwort: „Ihr müsst euch selber helfen! Geht zu den Reichen im Dorf und nehmt ihnen das Brot! Das ist der Weg des aktiven Kommunismus!"

Jörgen Hedman: Gammalsvenskby: The True Story of the Swedish Settlement in the Ukraine, Stockholm, 2000, S. 29;
Kirche in Gammalsvenskby um 1929
Kirche in Gammalsvenskby um 1929

Für dieses Mal war das alles. Die GPU zog wieder ab. Das einzige Ergebnis, das ihr Besuch erreicht hatte war, dass die Einwohner von Gammal-svenskby immer überzeugter wurden, dass sie keine Hilfe von den sowjetischen Behörden erhalten konnten und jeder wusste, dass es kaum noch etwas von den sogenannten "Reichen" im Dorf zu nehmen gab. In dem Jahr (1927) musste das Dorf 200 Stück Vieh verkaufen, um Geld für die Steuern aufzubringen. Das waren Tiere, die eigentlich dringend nötig gewesen wären, um die Bewohner mit Fleisch und Milch zu versorgen.

Gammalsvenskby um 1929
Gammalsvenskby um 1929
Christoffer Thomasson Hoas
Christoffer Thomasson Hoas

Am 1. September 1927 unterzeichneten 136 Bauern aus Gammalsvenskby eine Petition, die an "Das Volk in Schweden, Finnland und Amerika" gerichtet war, denn sie wollten als Schweden unter Schweden leben.

Schon 1924 hatte Pastor Kristoffer Hoas Kontakt mit der schwedischen lutherischen Hilfsorganisation in Kanada und seinem Vertreter Pastor O. H. Miller aufgenommen.
Von 1886 bis 1926 waren insgesamt 29 schwedische Familien aus Gammalsvenskby nach Kanada ausgewandert, wo sich die meisten von ihnen bei Vernon in British Columbia und bei Wetaskiwin in Alberta niedergelassen hatten.
In einem Brief vom 24. Mai 1928 schreibt Pastor Miller, es gäbe genug Land für die Schwedischstämmigen und die kanadische Regierung wäre bereit, sie bei der Niederlassung zu unterstützen. Es hätte also die Möglichkeit gegeben ein schwedisches Dorf in Kanada zu gründen. Dieser Plan wurde allerdings von der sowjetischen Regierung in Moskau nicht für gut gehalten, da dieser möglicherweise zu einem Präzedenzfall führen könnte und eine Menge von deutschen, polnischen und ukrainischen Bauern dazu verleiten könnte, auch nach Kanada auswandern zu wollen. Nur eine Auswanderung nach Schweden könnte ermöglicht werden.

Ein Beschwerdeschreiben des Gemeinderates von Gammalsvenskby von 1925 an den schwedischen Gesandten in Moskau, Carl Gustav von Heidenstam, blieb ohne Antwort.

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Kulaken raus!
Kulaken raus! (Plakat aus dem Jahr 1931)

Bei dem in Gammalsvenskby am 30. Juni 1928 stattfindenden Gemeinderat, war jeder der 492 wahlberechtigten Mitglieder des Rates anwesend. Die sogenannten Kulaken2, die als 'Lischenzy' (Menschen ohne Rechte) ihr Wahlrecht verloren hatten, waren natürlich ausgenommen.

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Alle anwesenden Personen unterzeichneten eine Resolution, in der sie sich auf das "Gesetz über das Recht zur Selbstbestimmung der nationalen Minderheiten in der UdSSR" stützten und forderten, die Ukraine verlassen zu können, um nach Schweden, in das Land ihrer Ahnen gehen zu können.

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Johann Pettersson Buskas
Johann Pettersson Buskas

Der Gemeinderat wählte drei Vertreter: Johan Pettersson Buskas (ein Kulake) für Gammalsvenskby, Gustav Simonsson Hoas für Neuschwedendorf, und Andreas Kristiansson Sigalet für Svenskåker. Hoas und Sigalet waren schon seit einigen Jahren Sprecher ihrer Siedlungen und zusammen sollten sie sich als ausgezeichnete Unterhändler in den darauffolgenden Verhandlungen mit den sowjetischen Behörden erweisen.

Im Namen der 240 Familien, die die UdSSR verlassen wollten, unterzeichneten die drei Vertreter zusammen mit Pastor Kristoffer Hoas am 5. Juli 1928 eine Petition, in der sie für die Schwedischstämmigen das Recht zur Auswanderung forderten.

Die Petition wurde dem Genossen Slinko, stellvertretender Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten in der Ukrainischen SSR, am 13. Juli 1928 in Charkiw übergeben.

Danach erhielt das Dorf mehrere Besuche von lokalen und zentralen Behörden, die die Schwedischstämmigen zum Bleiben überreden wollten. Nach einigen Wochen traf eine Gruppe der GPU aus Moskau ein, die von den Kleinbauern und Arbeitern des Ortes verlangten, mindestens ein Papier zu unterschrieben, indem sie ihr Bleiben bestätigten, auch wenn die anderen wegzogen.

Greis Mickelsson Albers (1871-1943)
Greis Mickelsson Albers

Drei Landwirte, die Brüder Johan und Woldemar Vilhelmsson Utas und ihr Schwager Petter Hindriksson Knutas, unterzeichneten das Papier. Außerdem erklärten der Schwager von Woldemar, der Schmied Alexander Kristiansson Knutas und der Zimmermann Greis Mickelsson Albers, dass sie dann auch bleiben wollten. Ein dritter Bruder von Utas, Kristian Vilhelmsson, hatte bereits vor ihnen jedem klar gemacht, dass er nie nach Schweden ziehen würde.

Danach erhielt das Dorf viele weitere Besuche von wichtigen Vertretern, die die Schwedischstämmigen zur Besinnung und zur Vernunft bringen wollten, bevor sie ins 'kapitalistische' Land Schweden ziehen würden. Nichts schien zu helfen, kein Versprechen nützte, die Schwedischstämmigen wollten die Sowjetunion verlassen.

Eine im August 1928 von dem ukrainischen Zentralkomitee der nationalen Minderheiten (Tsentralnyi Komitet natsionalnykh menshyn, kurz TsKNM gennat) durchgeführte Untersuchung ergab, dass es unter den Dorfbewohnern kein Interesse am Aufbau des Sozialismus gab und, dass die Kinder unter starkem religiösen Einfluss standen. Ferner wären die Bewohner allgemein stark von Pastor Kristoffer Hoas und seiner Frau Emma beeinflusst.

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Anmerkungen

1 Altschwedendorf wurde 1915 zusammen mit Mühlhausendorf (Mychajliwka), Schlangendorf (Smijiwka) und Klosterdorf (Kostyrka) im Dorf Smijiwka vereinigt. 1926 wurde Altschwedendorf offiziell in Gammalsvenskby umbenannt. Von 1931 bis 1934 wurde das Dorf Röd Svenskby (Rotes Schwedendorf) und von 1934 bis 1945 Staroshvedskoe genannt.

2 Jörgen Hedman: Gammalsvenskby: The True Story of the Swedish Settlement in the Ukraine, Stockholm, 2000, S. 29 ff.;

2 Kulak = Bezeichnung für den russischen Mittel- und Großbauern aber auch eine abfällige Bezeichnung der wohlhabenden Bauern auf dem Lande. Kulak, was wörtlich übersetzt “Faust“ bedeutet (jemand, der seinen Besitz fest in den Fäusten hält), wird im Sinne von “Wucherer“ oder “Dorfkapitalist“ gebraucht. Jemanden, der kleine Bauern und seinen in Not geratenen Nachbarn um Hab und Gut gebracht hatte.
Nach der Oktoberrevolution von 1917  und im Verlauf der Kollektivierungsmaßnahmen (1929/30) unter Stalin wurde der Begriff Kulak zum Schimpfwort und auf alle angeblichen 'Ausbeuter' in der Landwirtschaft ausgedehnt und als feindliche 'Klasse' liquidiert. Auch Witwen und alte Bauern fielen unter diese Kategorie, weil sie einen Knecht oder eine Magd beschäftigten.
1919 war ein Kulak der, der zwei Häuser mit Blechdach, mehr als fünf Kühe oder Pferde oder mehr als 20 Schafe besaß. Auf dem Höhepunkt der Kollektivierung (1932) bedeutete bereits geringfügiges landwirtschaftliches Eigentum, wie zum Beispiel eine Kuh oder die Beschäftigung von Tagelöhnern oder Mägden und Knechten als Kulakentum und führte zu Zwangsmaßnahmen: Schon seit 1927 mussten sie höhere Steurn bezahlen und bekamen keine Kredite oder Geräte mehr. Viele verkleinerten ihre Anbaufläche und ihren Viehbestand, um kein 'Kulak' mehr zu sein, was dazu führte, dass bald Getreide für den Export und zur Versorgung der Städte fehlte.
Im Herbst 1929 wurde es den Kulaken verboten, in die entstehenden Kollektive einzutreten, weil man dort ihre Meinungsführerschaft fürchtete, was dann zu Enteignung und schließlich zu Deportation in menschenleere Gebiete oder in den Gulag führte. Oft wurden auch die Familienangehörigen der 'Kulaken' und sogar angebliche Kulakensöldlinge verfolgt.
Auf der Grundlage der Beschlüsse des Zentralexekutivkomitees und des Rates der Volkskommissare vom 30. Januar und 1. Februar 1930 und einer Instruktion vom 4. Februar wurden alle Kulaken in drei Kategorien eingeteilt: die Bauern der 1. Kategorie galten als 'konterrevolutionäre Elemente', die entweder gleich erschossen, oder in ein Arbeitslager der GPU (Staatssicherheitsdienst) gebracht wurden. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt und ihre Angehörigen fielen unter die Deportierten.
Die Kulaken der 2. Kategorie waren zwar weniger gefährlich, galten aber als 'fürchterliche Ausbeuter'. Sie wurden enteignet, verhaftet und mit ihren Familien in entlegene Gebiete deportiert.
Die Kulaken der 3. Kategorie galten als 'staatstreu, wurden enteignet und in unfruchtbare, unkultivierte Zonen ihrer Distrikte umgesiedelt.