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Altschwedendorf in den 1920er Jahren1

Die Sowjetisierung des Lebens und der Kultur erreichte auch den Dnepr und viele gerieten zwischen die Mühlsteine der bolschewistischen Ideologie.
Die revolutionären Revolutionskomitees wurden 1921/22 durch die permanenten sogenannten Exekutivkomitees ersetzt.
Die Kirchen und ihre Besitztümer wurden verstaatlicht. Zu dieser Zeit leitete die Regierung auch eine Kampagne gegen die wohlhabenden Bauern, gegen die 'Ausbeuter', die sogenannten Kulaken2, ein.

mehr über die Kampagne gegen die Kulaken findest du hier klicke hier
Kulaken raus!
Kulaken raus! (Plakat aus dem Jahr 1931)

In Altschwedendorf wurden mehr als 40 Landwirte als Kulaken eingestuft und entrechtet. Als 'Lischenzy' (Menschen ohne Rechte) hatten sie kein Wahlrecht, keine Rationskarten usw. und bekamen individuelle Steuern mit erhöhten Sätzen auferlegt, was ihre selbständige Existenz ruinierte. Hatte ein Bürger seine Steuern bezahlt, bekam er sofort eine 3- bis 5mal höhere Steuer auferlegt.

mehr dazu findest du hier klicke hier

 „... ''Lischenzy'' sind solche Sowjetbürger, die ihr Wahlrecht und hiermit beinahe ihre sämtlichen sonstigen Rechte, darunter die Rechte auf Brotkarte und Wohnfläche, verloren haben, weil sie, nach Erkundungen der gestrengen Behörde nicht zu den Werktätigen gehören. Unter Werktätige versteht man in Rußland Angestellte der Staatsämter, Fabrikarbeiter und Kleinbauern, letztere nur dann, wenn sie selbständig ihren Acker bebauen, ohne bezahlte Arbeiter zu benutzen. Alle anderen Bevölkerungsschichten, etwa Kleinhändler, Inhaber kleiner Werkstätten oder Menschen, die überhaupt keine Tätigkeit aufzuweisen haben, werden als „klassenfremdes Element“ betrachtet und dementsprechend behandelt.
Die Kinder solcher ''Lischenzy'' haben es schwer im Leben weiterzukommen. Die ''Sünden der Väter'' rächen sich bis zur vierten Generation.... Die ''Lischenzy''-Nachkommen begegnen überall großem Mißtrauen. Sie werden aus der Partei, aus den Amtsstellen und den Hochschulen erbarmungslos hinausgestoßen, oder, wie man sich in Rußland auszudrücken pflegt, ''herausgesäubert''....“

aus: Ich verzichte auf meine Eltern …, in: Der Kompaß (Deutsche Tageszeitung in Brasilien), 29. Jahrgang, Nr. 42 vom 14. April 1930;

Jeder adelige Besitztum wurde verstaatlicht und in staatliche landwirtschaftliche Großbetriebe (Sowchosen) verwandelt. Die Dörfer wurden angewiesen, es sei in ihrem Interesse genossenschaftlich organisierte landwirtschaftliche Großbetriebe (Kolchosen3) zu bilden. Wenn sie nicht damit einverstanden wären, sollte das Land an die Landwirte übergehen, die das Recht auf Nutzung des Landes hatten: der Staat.

mehr zur Zwangskollektivierung findest du hier klicke hier
Nina Marchenko: ein Bauer meldet sich in einem Kolchos an, 1985
Nina Marchenko: ein Bauer meldet sich in einem Kolchos an, 1985

Ein Dekret von 1923 bestimmte, dass das Land neu ausgemessen werden sollte. Jeder wohlhabende Landwirt (Kulak) hatte, bis auf wenige Ausnahmen, einen Besitz von 60 Desjatinen (1 Desjatine ≈ 1,1 ha). In der Südukraine war der neue Standard allerdings weniger als eine Desjatine pro Familienmitglied.

der Schwedenbezirk am Dnepr
der Schwedenbezirk am Dnepr

So bekam die Familie von Andreas Pettersson Buskas, die zuvor 60 Desjatinen hatte, nun nur noch 18. Ein Besitzer eines mittleren Hofes wie der Dorfschreiber Andreas Andreasson Utas bekam von den früheren 30 Desjatinen nun 33. Ein Einödbauer wie Petter Kristiansson Utas bekam anstelle seiner 12 Desjatinen nun 27 und der Erntehelfer Gottlieb Pettersson Utas, der kein Land besaß, erhielt fortan 9 Desjatinen.

Durch diese Umplanung erhielten 55 Familien die Erlaubnis, 18 km nordwestlich von Altschwedendorf die Tochterkolonie Neuschwedendorf (Schwedisch: Nysvenskby) zu gründen.

Eine zweite Tochterkolonie Svenskåker (Schwedischer Acker) zwischen Altschwedendorf und Neuschwedendorf wurde nie richtig bewohnt. Die Siedler verweilten dort während der Ernte, wohnten dann aber überwiegend in Altschwedendorf.

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Anmerkungen

1 Jörgen Hedman: Gammalsvenskby: The True Story of the Swedish Settlement in the Ukraine, Stockholm, 2000, S. 27 ff.;

2 Kulak = Bezeichnung für den russischen Mittel- und Großbauern aber auch eine abfällige Bezeichnung der wohlhabenden Bauern auf dem Lande. Kulak, was wörtlich übersetzt “Faust“ bedeutet (jemand, der seinen Besitz fest in den Fäusten hält), wird im Sinne von “Wucherer“ oder “Dorfkapitalist“ gebraucht. Jemanden, der kleine Bauern und seinen in Not geratenen Nachbarn um Hab und Gut gebracht hatte.
Nach der Oktoberrevolution von 1917  und im Verlauf der Kollektivierungsmaßnahmen (1929/30) unter Stalin wurde der Begriff Kulak zum Schimpfwort und auf alle angeblichen 'Ausbeuter' in der Landwirtschaft ausgedehnt und als feindliche 'Klasse' liquidiert. Auch Witwen und alte Bauern fielen unter diese Kategorie, weil sie einen Knecht oder eine Magd beschäftigten.
1919 war ein Kulak der, der zwei Häuser mit Blechdach, mehr als fünf Kühe oder Pferde oder mehr als 20 Schafe besaß. Auf dem Höhepunkt der Kollektivierung (1932) bedeutete bereits geringfügiges landwirtschaftliches Eigentum, wie zum Beispiel eine Kuh oder die Beschäftigung von Tagelöhnern oder Mägden und Knechten als Kulakentum und führte zu Zwangsmaßnahmen: Schon seit 1927 mussten sie höhere Steurn bezahlen und bekamen keine Kredite oder Geräte mehr. Viele verkleinerten ihre Anbaufläche und ihren Viehbestand, um kein 'Kulak' mehr zu sein, was dazu führte, dass bald Getreide für den Export und zur Versorgung der Städte fehlte.
Im Herbst 1929 wurde es den Kulaken verboten, in die entstehenden Kollektive einzutreten, weil man dort ihre Meinungsführerschaft fürchtete, was dann zu Enteignung und schließlich zu Deportation in menschenleere Gebiete oder in den Gulag führte. Oft wurden auch die Familienangehörigen der 'Kulaken' und sogar angebliche Kulakensöldlinge verfolgt.
Auf der Grundlage der Beschlüsse des Zentralexekutivkomitees und des Rates der Volkskommissare vom 30. Januar und 1. Februar 1930 und einer Instruktion vom 4. Februar wurden alle Kulaken in drei Kategorien eingeteilt: die Bauern der 1. Kategorie galten als 'konterrevolutionäre Elemente', die entweder gleich erschossen, oder in ein Arbeitslager der GPU (Staatssicherheitsdienst) gebracht wurden. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt und ihre Angehörigen fielen unter die Deportierten.
Die Kulaken der 2. Kategorie waren zwar weniger gefährlich, galten aber als 'fürchterliche Ausbeuter'. Sie wurden enteignet, verhaftet und mit ihren Familien in entlegene Gebiete deportiert.
Die Kulaken der 3. Kategorie galten als 'staatstreu, wurden enteignet und in unfruchtbare, unkultivierte Zonen ihrer Distrikte umgesiedelt.

3 Kolchos = Kollektivwirtschaft; Kollektivwirtschaft; genossenschaftlich organisierter landwirtschaftlicher Großbetrieb in der UdSSR. Nach 1917 auf der Grundlage der Freiwilligkeit entstanden, seit 1929 durch (Zwangs-)Kollektivierung bäuerlicher Einzelwirtschaften, in deren Folge Millionen von Bauern deportiert wurden und umkamen (Entkulakisierung).
Der staatseigene Boden wurde den Kolchosen zur Nutzung gegen Pflichtablieferungen zu staatlich fixierten Preisen überlassen, Überschüsse zu freien Preisen auf den sogenannten Kolchosemärkten verkauft.
Die Rolle der Kolchosen waren strategischer Art und sollten dem Staat feste Agrarlieferungen garantieren. Dadurch kam es zu immer größeren Beschneidungen des ''kollektiven'' Ernteertrages. In jedem Herbst führte die Steuereinzugskampagne zu einem regelrechten Machtkampf zwischen dem Staat und der Bauernschaft, die verzweifelt versuchte, einen Teil der Ernte für sich zu behalten. Es ging um Entscheidendes: für den Staat um die Einnahmen, für die Bauern ums Überleben.