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Das russische Zarenreich im 17. Jahrhundert

Peter I. auf seiner Rückreise nach Russland

(Teil 4 von 4)

Wilhelm von Diez: Postkutschenfahrt
Wilhelm von Diez: Postkutschenfahrt

Am 15. Mai 1698 verließ Peter mit seiner Gesandtschaft in einer Postkutsche Amsterdam und erreichte nach einigen Tagen Kleve, wo er sich von seinem Gefolge trennte. Peter reiste über Hildesheim und Leipzig weiter nach Dresden, wo er am 31. Mai ankam.

Trotz der Abwesenheit des Kurfürsten August II. wurde er höchst feierlich empfangen.

Nach 4 Tagen reiste er über Prag nach Wien, wo das Hofzeremoniell, damals ein hochwichtiger Gegenstand, zu seinem großen Verdruss viel zu viel Zeit kostete.

Leopold I.
Leopold I.

Peter verhandelte mit Kaiser Leopold I. und versuchte die Wiener Regierung für einen Kampf gegen den gemeinsamen Feind, die Osmanen, zu gewinnen.

Der Kaiser war aber für den Frieden, der Zar für den Krieg.

Peter legte dar, dass er außer Asow auch die Krim und vor allem die Festung Kertsch erobern musste, denn das sei der einzige Weg, um den Überfällen der tatarischen Horden in den Grenzgebieten Südrusslands ein Ende zu setzen.

Der österreichische Kanzler Kinsky erklärte, Österreich sei der 16-jährigen Kriegslasten (Großer Türkenkrieg von 1683 - 1699) überdrüssig und man einigte sich nur darin, dass kein Vertrag zum Nachteil der Bundesgenossen geschlossen werden sollte.

Peter verstand, dass er von Leopold keine militärische Hilfe erwarten konnte und mit diesem Ergebnis wurden die Verhandlungen unterbrochen.

 

In Wien nahm Peter 9 venezianische Schiffskapitäne in seinen Dienst; 4 von seinen Russen schickte er zur Erlernung des Seedienstes und zur Anwerbung von Spezialisten nach Italien und 12 andere nach Berlin zum Bombardierdienst.

 

Giovanni Antonio Canal (Canaletto): Der Bucintoro (Prunkgaleere des Dogen von Venedig) an der Mole am Himmelfahrtstag
Giovanni Antonio Canal (Canaletto):
Prunkgaleere des Dogen von Venedig

Anscheinend soll sich Peter nur im Vorübergehen mit den bedeutenden Dingen Wiens beschäftigt haben. Er wollte schon Mitte Juli nach Venedig weiterreisen, denn er war sehr gespannt darauf, die Republik San Marco zu sehen. Einerseits interessierte ihn die berühmte Werft und die technisch hoch entwickelte Industrie Venedigs, auf der anderen Seite hoffte er eine Allianz mit der Serenissima zu schließen.

 

Alles war schon zum Aufbruch bereit, als Peter Nachrichten aus seinem Reich erhielt, die ihn schnell zur Änderung seines Entschlusses bewogen. Die Strelitzen1 waren es abermals, welche die Abwesenheit des Zaren ausnutzten, um einen neuen Aufstand anzuzetteln.

Alexander Menschikow
Alexander Menschikow

Der Zar verließ mit Lefort, Golowin, Menschikow und einigen Gesandtschaftskavalieren auf der Stelle die Kaiserstadt (19. Juli); schon am 23. erhielt er die Nachricht von der Unterdrückung der Unruhen.

Nun hätte Peter wieder umkehren und seine beabsichtigte Reise nach Italien fortsetzen können, aber es schien ihm ratsamer, persönlich Gericht über die Missetäter zu halten und etwaige Versuche dieser Art auf immer unmöglich zu machen. Zornig über die Undankbarkeit und Verkehrtheit seines rohen Volkes, beschloss er, durch ein abschreckendes Beispiel den begangenen Frevel zu rächen.

 

August der Starke
August der Starke

Die sofortige Rückreise nutzte der Zar allerdings noch zu einer diplomatischen Absprache mit dem sächsischen Kurfürsten und gleichzeitigen polnischen König August II., dem Starken, den er in Rawa-Ruska, 6o km nordwestlich von Lwiw (Lemberg) traf.

 

Der Versuch, eine wirksame Unterstützung in Europa für den Krieg gegen das Osmanische Reich zu finden, war gescheitert. Es war zu keinem Bündnis gekommen: nicht in Brandenburg, nicht in den Niederlanden, nicht in Österreich und auch nicht in Venedig und der Zar sah Russland nicht in der Lage den Zugang zum Schwarzen Meer ohne fremde Hilfe erobern zu können.

Und selbst wenn er Glück gehabt hätte, dieses Ziel zu erreichen, befürchtete Peter, dass das Osmanische Reich, solange es Herr der wichtigsten Häfen des Schwarzen Meeres, des Bosporus und der Dardanellen war, der russischen Schifffahrt neue unüberwindliche Hindernisse in den Weg legen konnte.

Franz Lefort
Franz Lefort

Den Sultan von all diesen Positionen zu vertreiben, konnte, nach Peters Meinung, nur ein festes Bündnis aus mehreren Völkern; um eine solche Koalition zu fördern waren russische Diplomaten unter der Leitung von Franz Lefort nach Europa geschickt worden.

 

Durch den Misserolg der diplomatischen Verhandlungen zog Peter rasch die notwendigen Konsequenzen: Obwohl die Eroberung Asows (1696) ihm einen wichtigen Anstieg an militärischem Prestige eingebracht hatte, hatte es ihn aber nur in eine Sackgasse geführt. Es hatte keinen Sinn mehr, den Krieg mit dem Osmanischen Reich weiterzuführen und es blieb Peter nichts anderes übrig, als mit den Osmanen so schnell wie möglich Frieden zu schließen und wenn nötig, ihnen Asow wieder zurückzugeben.

So entschloss Peter die Außenpolitik Russlands zu ändern, auf Flottenstützpunkte am Schwarzen Meer zu verzichten und den Vormarsch auf die Ostsee zu organisieren, wo die Möglichkeiten für einen russischen Kriegsmarine- und Handelsstützpunkt günstiger lagen.

Peter musste umsichtig handeln, um nicht denselben Fehler seiner Vorfahren zu wiederholen: er durfte sich nicht zum gleichen Zeitpunkt mit Schweden und Polen verfeinden.

 

Die Verhandlungen mit August II. verliefen mit Erfolg. Beide verstanden sich auf Anhieb recht gut, sie beobachteten die Truppen und machten Trinkgelage.

Karl II.
Karl II.

Zusammen mit August beriet er die Zukunft Europas. August wollte gern sein Territorium um Livland und Estland ausdehnen, weshalb er einen Krieg gegen Schweden vorschlug. Peter sah dabei die Möglichkeit für den lang ersehnten Hafen an der Ostsee, Ostkarelien, Ingermannland und Nordestland. Beide dachten dabei an einen leichten Sieg, da der schwedische König Karl XII. erst 16 Jahre alt und unerfahren war.

In dieser Vorbereitung des Nordischen Krieges2 schlossen sie ein Bündnis gegen Schweden. Die Entwicklung zum Großen Nordischen Krieg verlief also gleichzeitig mit der Entwicklung zum Spanische Erbfolgekrieg.

 

Am 24. August erreichte Peter über Smolensk und Wjasma seinen Landsitz Preobrashenskoje bei Moskau und erschien am Abend des folgenden Tages, begleitet von Lefort, Golowin und dem General von Carlowitz, der als Gesandter aus Polen gefolgt war, in der Residenz.

lineAnmerkungen

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1 Strelitzen = Bezeichnung für die von Zar Iwan dem Schrecklichen um 1550 eingeführte Palastgarde. Sie waren für ihre gute Ausbildung und ihre Loyalität gegenüber dem Zaren bekannt. Die Strelitzen bildeten den Kern der russischen Heere, waren aber ohne Kriegskunst und Mannszucht und wegen des Starrsinns, womit sie an ihren alten Einrichtungen und Privilegien festhielten, leicht zu Empörungen geneigt und für die Ruhe des Reichs gefährlich. Die Strelitzen erhielten nur geringen Sold, waren dafür aber mit Handels- und Gewerbeprivilegien ausgestattet; ihr Dienstverhältnis war lebenslänglich und erblich.

2 Der Große Nordische Krieg (1700-21) sicherte Russland trotz anfänglicher Rückschläge (vernichtende Niederlage bei Narwa, 30. 11. 1700) nach dem entscheidenden Sieg über Karl XII. von Schweden in der Schlacht von Poltawa (8. 7. 1709) den Zugang zur Ostsee (Livland, Estland, Ingermanland, Teile Kareliens mit Wyborg und Kexholm [Priosjorsk]). Nach dem Frieden von Nystad (10. 9. 1721) war Russland die überragende Macht an der Ostsee.
Im Krieg gegen das Osmanische Reich hatte der missglückte Pruthfeldzug von 1710/11 zwar die Rückgabe Asows erzwungen, doch brachte der Feldzug gegen Persien (1722/23) Gebietserwerbungen an der West- und Südküste des Kaspischen Meeres (u. a. Rescht und Baku).