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Das russische Zarenreich im 17. Jahrhundert

Die russische Gesellschaft

Tataren
Tataren

Tatsächlich dämmerte Russ-land im 17. Jahrhundert im mittelalterlichen Halbschlaf dahin. Es hatte kein rö-misches Recht1, keine Re-naissancen und keine Refor-men erlebt, statt dessen aber die Despotie der später als Tataren bezeichneten Mongo-len.

 

Die wenigen Reiseberichte, die damals kursierten, schilderten Russland als rückständigen Staat, halb in Asien gelegen und von einem Despoten beherrscht, das gewöhnliche Volk barbarisch und dumm, die Beamten korrupt, die Oberschicht borniert und arrogant.

Bojar in altrussischer Tracht
Bojar in altrussischer Tracht

Die Spitze der russischen Gesellschaft bildete der Adel, der seinerseits durch die sogenannten Bojaren, Angehörige des mächtigen alten grundbesitzenden Hochadels, dominiert wurde.

Neben einer verschwindend kleinen Mittelschicht aus Kaufleuten, Hand-werkern und anderen Stadtbewohnern sowie der orthodoxen Geistlichkeit bestand der grosse Rest der Bevöl-kerung aus Bauern, die großenteils an den Boden gebunden bzw. leibeigen waren.

 

Die landwirtschaftliche Produktion unterschied sich im riesigen russischen Reich natürlich aufgrund der klimatischen und geografischen Gegebenheiten zum Teil beträchtlich. Im Schnitt gelang es aber den russischen Bauern kaum, mehr als das Doppelte oder allenfalls Dreifache aus dem Boden zu holen, was sie als Saatgut eingebracht hatten.

Jan van Goyen - Ziehbrunnen neben Bauernhütten - 1. Hälfte 17. Jahrhundert
Jan van Goyen:
Ziehbrunnen neben Bauernhütten
- 1. Hälfte 17. Jahrhundert

Da die russischen Bauern arm waren und die Güter, die sie zum täglichen Gebrauch benötigten, selbst herstellten, bildete die bäuerliche Be-völkerung auch keinen Markt für ein städtisches Handwerk, das in Russland fast ebenso fehlte, wie ein Kaufmannsstand.

Aufgrund der ungünstigen strategischen Lage lag der Außenhandel in den Händen ausländischer Kaufleute, die mit Zollvergünstigungen und anderen Privilegien angelockt werden mussten.

 

Peter der Große
Peter der Große

Der Zar nannte sich zwar "Selbstherrscher", herrschte aber alles andere als allein.

Er musste bei seinen Entscheidungen Rücksicht nehmen auf den Hochadel, der mit der Duma einen eigenen Rat bildete, auf die orthodoxe Kirche und auf die von Iwan dem Schrecklichen gebildeten Strelitzen2.

Bei den Strelitzen handelte es sich um ein erbliches Berufssoldatentum, dessen Angehörige mit ihren Familien in eigenen Stadtquartieren lebten und in Friedenszeiten auch gewerblichen Tätigkeiten nachgingen.

Strelitzen 1682
Strelitz um 1682

Die Strelitzen stellten ursprünglich den modernsten und schlag-kräftigsten Teil der russischen Armee dar, waren aber in ihrem Kastendenken jeglichen militär-technischen Neuerungen abgeneigt und politisch immer unzu-verlässiger.

In den 1630er Jahren wurden erstmals sogenannte „Regimenter neuer Ordnung" aufgestellt, die aus einheimischen Soldaten bestanden und von ausländischen Solddienstoffizieren nach west-europäischer Weise ausgebildet wurden.

 

Moskau Ende des 17. Jahrhunderts
Moskau Ende des 17. Jahrhunderts

Die staatliche Verwaltung fand in sogenannten Ämtern statt, die aus der Hofhaltung der Zaren hervorgegangen waren. An ihrer Spitze standen Bojaren, die nicht nach ihren Fähigkeiten, sondern nach dem Ansehen ihrer Familie ausgewählt worden waren.

Wir haben ein im wahrsten Sinne des Wortes mittelalterliches Staatsgebilde vor uns, das dem damaligen Westeuropa um mindestens 200 Jahre hinterherhinkte.

 

Das Interesse Westeuropas an diesem riesigen Reich im Osten war kaum vorhanden. Nur England und Holland bemühten sich aus handelspolitischen Gründen aktiv um nähere Kontakte. Russlands spärliche Beziehungen zum Ausland wurden nicht in erster Linie auf dem Landweg abgewickelt, der den Russen viel zu wenig bewusst war, sondern über den einzigen Hochseehafen Archangelsk am Weissen Meer.

Archangelsk im 17. Jahrhundert
Archangelsk im 17. Jahrhundert

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Anmerkungen

1 Als römisches Recht bezeichnet man zunächst das Recht, das in der Antike in der Stadt Rom und später im ganzen römischen Weltreich galt.

2 Strelitzen = Bezeichnung für die von Zar Iwan dem Schrecklichen um 1550 eingeführte Palastgarde. Sie waren für ihre gute Ausbildung und ihre Loyalität gegenüber dem Zaren bekannt. Die Strelitzen bildeten den Kern der russischen Heere, waren aber ohne Kriegskunst und Mannszucht und wegen des Starrsinns, womit sie an ihren alten Einrichtungen und Privilegien festhielten, leicht zu Empörungen geneigt und für die Ruhe des Reichs gefährlich. Die Strelitzen erhielten nur geringen Sold, waren dafür aber mit Handels- und Gewerbeprivilegien ausgestattet; ihr Dienstverhältnis war lebenslänglich und erblich.