Der Chiliasmus im Herzogtum Württemberg

(Teil 1 von 4)

wenn sich der Blick der radikalen Pietisten (Chiliasten) im 18. Jahrhundert nach Westen richtete, lenkte sich dieser Blick Anfang des 19. Jahrhunderts nach Osten.

Jean-Baptiste Mauzaisse: Napoleon I., gekrönt von der Allegorie der Zeit, schreibt den Code Civil
Jean-Baptiste Mauzaisse:

Napoleon I. schreibt den Code Civil

Die Französische Revolution (1789-1799) und ihre Folgen (Kriege, Not und Tod in der napoleonischen Zeit) hatten die veralteten Normen und Werte zutiefst in Frage gestellt. Die zahlreichen Kriege sowie an-haltende Wirtschaftskrisen brachten Elend über viele Menschen, insbesondere der unteren sozialen Schichten, deren Lebenswelt regelrecht aus den Fugen geriet. Unter diesen Umständen verstärkte sich die schon bestehende endzeitliche Stimmung in Süddeutschland.

Johann Heinrich Jung-Stilling

Heinrich Jung-Stilling
Heinrich Jung-Stilling

Für Johann Heinrich Jung, genannt Jung-Stilling, (*1740; †1817), der die Lehren des württembergischen Pietisten Johann Albrecht Bengels vom Dischialismus aufgriff und weiterführte, waren die Zeichen der Endzeit offensichtlich und der letzte Kampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen Christus und Antichrist angebrochen. Damit rückte zugleich die erste Wiederkunft Christi auf Erden und der Anfang seines tausendjährigen Friedensreiches auf Erden näher.

Johann Albrecht Bengel

Während Johann Albrecht Bengel den Anbruch des Tausendjährigen Reiches (Of-fenbarung 20, 1-31) für den 18. Juni 1836 voraussah, korrigierte ihn Jung-Stilling auf 1816 plus ein paar Jahre. Man brauchte also nicht mehr lange warten.

Jung-Stilling rief die unentschiedenen Namenschristen, zu Buße, Umkehr und Erweckung und die wahren Christen zum Wachen, Beten und zum geduldigen Ausharren auf.

Nach Jung-Stilling waren die Drangsale der Zeit ausnahmslos als Gottesgerichte zu deuten und als solche für die einen die letzte Gelegenheit, sich aufwecken zu lassen, für die anderen aber die Versuchung einer letzten Prüfungs- und Versiegelungzeit (Meditation).

Somit würde die endgültige Trennung zwischen Nichtchristen und Antichristen auf der einen und den wahren Christen und Erweckten auf der anderen Seite unübersehbar. Die übrigbleibende Gemeinde der Endzeit aber dürfe gewiss sein, dass für sie im Osten ein Zufluchts- und Bergungsort bereitet werde, an dem sie den Anbruch des Tausendjährigen Friedensreiches ihres Herrn erleben sollte. Bis dahin, so mahnte Jung-Stilling, sollten alle treu an ihrem Ort und in ihrem Beruf verbleiben.

Zorn Gottes

"Die Christenheit", so schrieb Jung-Stilling, "naht sich ihrem großen Herbst, in welchem die schreckliche Kelter des Zorns Gottes getreten werden soll; es wird eine große Scheidung vorgenommen werden: denn der Herr hat seine Wurfschaufel in der Hand, er wird nun auch diese Tenne fegen."

 

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1 Offenbarung 20, 1-3: Und ich sah einen Engel vom Himmel fahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in seiner Hand. Und er griff den Drachen, die alte Schlange, welche ist der Teufel und Satan, und band ihn tausend Jahre und warf ihn in den Abgrund und verschloß ihn und versiegelte obendarauf, daß er nicht mehr verführen sollte die Heiden, bis daß vollendet würden tausend Jahre; und darnach muß er los werden eine kleine Zeit.