Der Pietismus im Herzogtum Württemberg

Friedrich Christoph Oetinger:
ein führender Verteter des Pietismus

Friedrich Christoph Oetinger
Friedrich Christoph Oetinger

einer der lutherischen Theologen, der Johann Albrecht Bengels apo-kalyptische Berechnungen übernahm und 1761 eine Schrift mit dem Titel "Die güldene Zeit" herausgab, in der er die nunmehr unmittelbar bevor-stehende Zeit des Tausendjährigen Reiches be-schrieb, war Friedrich Christoph Oetinger, ein Schüler Bengels.

Oetinger griff hier biblische Vorstellungen auf und bot eine recht deutliche Beschreibung dieser Zeit, in der es keine Kriege mehr geben und Regierungen nicht mehr mit Gewalt herrschen sollten. Die Gütergemeinschaft würde den gleichen Besitz aller herstellen und üppige Frucht-barkeit des Landes den Lebensbedarf sichern.

In der Krisenzeit, hervorgerufen durch die Französische Revolution (1789-1799), die napoleonischen Kriege (1792-1815) und deren Folgen, sahen die Separatisten die Wehen der Endzeit und erwarteten in nächster Zukunft das Gericht der Gottlosen.

Philipp Matthäus Hahn
Philipp Matthäus Hahn

Der separatistische Pietismus in Württemberg bekam um die Jahrhundertwende einen chili-astischen Charakter. Beein-flusst war er von den Berechnungen des Theologen Johann Albrecht Bengels (*1687; †1752), dem Vorblick des Theologen Friedrich Christoph Oetingers (*1702; †1782) und den Versuchen des Dorfpfarrers, Astronoms und Ingenieurs Philipp Matthäus Hahns (*1739; †1790) eine Weltuhr zu bauen, auf der das Ende der Welt abzulesen war.

Besonders wirksam wurden nun auch Bengels Voraussagen, die kurz nach 1800 in ungeahnter Fülle eintraten. Dazu gehörte die Kaiserkrönung Napoleons I. am 2. Dezember 1804, das Ende des Heiligen Römischen Reiches (1806) und damit das letzte der vier Weltreiche aus der Prophezeiung des Buches Daniel, dem er 1740 noch 60 Jahre gegeben hatte, sowie die Säkularisation der deutschen Bistümer und die damit eingehende Umwandlung der deutschen Landkarte.

Ziffernblatt von Hahns astronomische Bodenstanduhr
Ziffernblatt von Hahns
astronomischer Bodenstanduhr

Das Interessante daran ist, dass Bengels Prognosen nun weniger von dem früher tonangebenden bürgerlichen Pietismus aufgenommen wurden, sondern von der neuen Bewegung eines volkstümlichen Pietismus, die dann in die Erweckungsbewegungen des 19. Jahr-hunderts (Neupietismus) übergehen sollte.

In Württemberg waren viele Faktoren zusammengekommen, die gerade den “kleinen Leuten“ das Jahrhundertende als eine Krisen-zeit apokalyptischen Ausmaßes erscheinen ließen. Es gab im Lande schon lang währende Auseinandersetzungen mit dem spätab-solutistischen Regierungsstil der Landesherren, mit der Einführung eines neuen Gesangbuches (1791) und mit den Reformen der Liturgie (1809).

Überall Neuerungen, die verstörten; wurde nicht alles immer nur schlechter, verstieß es nicht überhaupt gegen die göttliche Ordnung, Zustände zu reformieren, die “schon immer so gewesen waren“? Das Verständnis, dass Reformen Fortschritt bedeutet, sollte erst später eintreten.

Schlacht bei Meßkirch (1800)
Schlacht bei Meßkirch (1800)

Dazu kamen Not und Tod durch die Revolutionskriege (1792–1802).

Schon seit langem war auch der zunehmende Zerfall der politischen Einheit des Reiches spürbar.

 

Ein Reaktionsbeschleuniger bildete aber sicherlich die Französische Revolution und ihre Folgeereignisse.

Während sich der Norden Deutschlands wohl überwiegend auf die Seite der Gegner der Revolution stellte und das Geschehen in Frankreich als den Beginn der Endzeit interpretierte, waren die Stimmen in Süddeutschland unterschiedlich.

zeitgenössische Karikatur: Napoleon Bonaparte als Teufel
zeitgenössische Karikatur:
Napoleon Bonaparte als Teufel

Auch hier sahen viele die Revolution und vor allem Napoleon in negativem Licht und identifizierten ihn mit den Kräften des Satans in der Offenbarung.

Napoleon wurde von vielen als der Antichrist, als der “schwarze Engel des Südens“ gesehen, über den der endgültige Sieg, wie von der Offenbarung des Wirtschaftswissenschaftlers Johann Heinrich Jung-Stilling geweissagt, noch bevorstand.

Umgekehrt sahen viele dann in dem frommen Zaren Alexander I., dem “Retter Europas“, den “weißen Engel des Nordens“.

 

Während die Zentren der pietistischen Bewegung in Württemberg in der Frühzeit (im 17. Jahrhundert) in Stuttgart und Calw lagen, lagen sie in der späteren Phase in den Dekanaten Dürrmenz und Knittlingen sowie im Remstal, auf der Schwäbischen Alb und in der Gegend um Balingen.

 

 

 

 

 

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