Johann Arndt, der "Vater des Pietismus"

Johann Arndt
Johann Arndt

johann Arndt, der gewissermaßen als "Vater des Pietismus" gilt, war der Meinung, dass das Luthertum in theolo-gischen Dogmen gefangen war und sich nicht mehr dafür interessierte, wie der einzelne evangelische Christ sich seines persön-lichen Glaubens vergewissern und leben sollte.

1605 erschien sein erstes Buch "Vom wahren Christen-thum"1, das erste lutherische Andachtsbuch, das ein Bestseller wurde, in viele Sprachen übersetzt wurde und den Pietismus bis ins 19. Jahrhundert beeinflusste.

Johann Arndt: Vom wahren Christenthum, Emblem S. 6/7: Die Camera obscura: verfinstert und verkehrt
Die Camera obscura1:
verfinstert und verkehrt

Arndt, der dem Anschein nach ganz in Über-einstimmung mit der lutherischen Lehre war, versuchte in seinen Büchern die mystische Frömmigkeit des Mit-telalters mit dem evangelischen Glauben zu verbinden, was ihm heftige Kritik und den Vorwurf des Spiritua-lismus2 seitens der Vertreter der Lutherischen Orthodoxie einbrachte.

Arndt vertrat die Meinung, dass die Lehre des Luthertums ins Leben übertragen werden sollte und forderte die Vollendung der Refor-mation durch eine Reformation des Lebens, d.h. Gläubige sollten zu einer tieferen Frömmigkeit und zu echter Glaubenspraxis im Alltag geführt werden. „Christus hat viele Diener, aber wenig Nachfolger”, lautete ein bekannter Ausspruch Arndts.

„Ein Christ soll wenigstens des Tages einmal von allen äußeren Dingen sich abwenden und in den Grund seines Herzens einkehren:
Unsere Seele ist wie ein Wachs, was man hineindrucket, des Bilde behälts:
Also soll man Gottes Bilde in deiner Seele sehen wie in einem Spiegel, wo man ihn wendet, das siehet man darinnen.
Wendest du einen Spiegel um gegen den Himmel, so siehest du den Himmel darinnen; wendest du ihn gegen die Erde, so siehest du die Erde darinnen:
Also deine Seele, wohin du dieselbige wenden wirst, dessen Bild wird man darinnen sehen."

„Ach mein lieber himmlischer Vatter von welchem alle Weisheit kommt und alle Erkenntnis! Gib mir Weisheit daß ich mich selbst recht erkenne wer ich von Natur sey woher ich sey und was ich seyn werde?”

aus: Johann Arnold: Vom wahren Christentum, 1605;

 

Johann Valentin Andeae
Johann Valentin Andeae

Arndt war aber nicht der einzige, der versuchte, Rechtgläubigkeit des Luthertums und tiefe Frömmigkeit beieinander zu halten.

In dieser so genannten Reformorthodoxie gab es Theologen wie Johann Valentin Andreae (1586-1654), einflussreiche Erbauungs-schriftsteller wie Philipp Nicolai und Christian Scriver und radikale Kirchenkritiker wie z.B. Theophil Großgebauer, der in seiner "Wächterstimme aus dem verwüsteten Zion" 1661 die lutherische Kirche als Babel3 bezeichnete.

Erfolg hatten auch die theosophisch-mystischen Schriften von Jacob Böhme (1575-1624), einem Schuhmacher aus Görlitz, der die innere Wiedergeburt des Menschen betonte und dem späteren schwärmerischen Pietismus wichtige Impulse gab.

Aus diesem Frühpietismus entstand in gradliniger Fortsetzung der lutherische Pietismus Philipp Jacob Speners.

 

 

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1 In Johann Arndts sechs Büchern "Vom wahren Christenthum" handelt es sich um heilsame Buße, herzliche Reu und um Leid über die Sünde. Arndt deutete physikalische Phänomene als Fingerzeig Gottes und zur Bebilderung benutzte er verschiedene Gegenstände aus dem alltäglichen Leben aber auch wissenschaftlicher und technischer Natur.
Mit dem Titel "Verfinstert und verkehrt" benutzt Arndt eine Camera obscura, wo durch ein Loch Licht fällt und das Bild eines Menschen auf der anderen Seite seitenverkehrt und auf dem Kopf stehend abgebildet wird. Arndt benutzte hier die Erfindung der Camera obscura, um die Problematik der Sündenhaftigkeit der Menschen zu veranschaulichen: „Hier wird abgebildet die so genannte Camera obscura, welche ist, wenn die Stube biss auff ein Schössgen gantz verfinstert, und ein gewisses Glass vor das Schössgen gehalten wird, da geschieht es, dass die Leute, die auf der Straße vorübergehen, in der Stube gesehen werden, aber doch also gantz verkehrt auf den Köpfen gehen. Hiemit wird angedeutet, dass der Mensch durch den kläglichen Sünden Fall in seinem Hertzen und Verstand leider, gantz verfinstert, ja ein verkehrtes Bild worden, nemlich aus dem Bilde Gottes ein Bild des Satans.“

2 Mit Spiritualismus wird in der christlichen Theologiegeschichte eine Haltung bezeichnet, die in Glaubensangelegenheiten alles Äußerliche für unwesentlich hält, oder sogar ganz ablehnt: von der kirchlichen Institution über die Sakramente und Dogmen in manchen Fällen bis hin zum schriftlich fixierten Bibelwort. Spiritualisten glauben an das freie Wirken des Heiligen Geistes (lat. Spiritus sanctus) in jedem Menschen; Voraussetzung dafür sei aber ein gottverbundenes Leben in einer Geisteshaltung unkonditionaler Liebe und Wahrhaftigkeit.
Martin Luther nannte die Spiritualisten "Schwärmer" oder "Schwarmgeister" und stand in der zweiten Phase der Reformation in heftiger Auseinandersetzung mit ihnen. Bedeutende deutschsprachige Spiritualisten der Reformationszeit waren beispielsweise Hans Denck, Sebastian Franck, Kaspar von Schwenckfeld und Thomas Müntzer. Insbesondere bei Thomas Müntzer verwandelte sich die individualistische und passive Tendenz der Mystik in den Bauernkriegen zu einer revolutionären Massenbewegung.

3 Babel = biblischer Name für Babylon; die Stadt Babylon, die Hauptstadt und Kulturmetropole Babyloniens, in der nicht nur die Landessprache, sondern verwirrend viele andere Sprachen gesprochen wurden, wird in der Bibel häufig als Symbol der Feinde Gottes und des auserwählten Volkes erwähnt und stellt die Union des Heidentums und des Götzendienstes mit der politischen Macht dar.
Einige biblische Passagen, vor allem im Buch der Offenbarung (17 und 18) sprechen von Babylon der Großen, der Mutter der Huren und der Gräuel und beschreiben in allegorischer Form eine weibliche Figur, die die Mächtigen der Erde und ihre Bewohner kontrolliert. Die Hure Babylon ist mit dem Antichristen und dem Tier mit sieben Häuptern assoziiert.
Martin Luther deutete das ihm verhasste Papsttum als Hure Babylon.