Johann Heinrich Jung-Stilling

 

Johann Heinrich Jung-Stilling
Johann Heinrich Jung-Stilling

Johann Heinrich Jung-Stilling (* 12. September 1740 in Grund (heute: Stadtteil von Hilchenbach in Nordrhein-Westfalen; † 2. April 1817 in Karlsruhe) war Augenarzt, Wirtschaftswissenschaftler und Schriftsteller.

Neben seiner beruflichen Tätigkeit an der Universität und als Augenarzt widmete er sich vor allem der Schriftstellerei. Er verfasste in der Hauptsache religiös-erbauliche Schriften, Erzählungen und Romane, gab aber auch Zeitschriften heraus. Allmählich erkannte er, dass sein eigentlicher Beruf, den er als Gottesdienst erfasste, der des Schriftstellers war. Er verspürte umso mehr die Verpflichtung, "dem Herrn und seinem Reich" ganz allein und aus allen seinen Kräften zu dienen. 1794 erschienen seine "Scenen aus dem Geisterreiche" und der Roman "Das Heimweh". 1795 begann die Herausgabe der erwecklichen Zeitschrift "Der graue Mann" und 1798 kam die "Siegesgeschichte der christlichen Religion" heraus, das Werk, das hauptsächlich seinen Ruhm als Schriftsteller und Religionsphilosoph, begründeten.

Jung-Stilling, gelegentlich auch als "Patriarch der Erweckung" bezeichnet, war ein wichtiger Vertreter des Pietismus und der Erweckungsbewegung in Baden.

1803 wurde Jung-Stilling im Auftrag des damaligen Kurfürsten Karl Friedrich von Baden nach Heidelberg berufen, wo er sich nur noch seiner religiösen Schriftstellertätigkeit und der Briefseelsorge widmete.

Jung-Stilling wurde weit und breit bekannt, sogar in Asien; wo es pietistisch gesinnte Deutsche gab, wurden seine Bücher gelesen.

Auch am russischen Hof waren seine Werke bekannt. Seit 1805 erschienen in Russland Übersetzungen von Werken Jung-Stillings, die zeitweilig weite Verbreitung und starke Resonanz fanden. Der russische Zar Alexander I. war von seinen Schriften sehr begeistert. Neben der täglichen Lektüre der Bibel zählten Jung-Stillings Werke zu seinem Lesestoff. Seine Person war für ihn eine geistliche Autorität und seine Stimme hatte für ihn ein großes Gewicht.

Der Krieg von 1812 und der Sieg Russlands über Napoleon hatten in Russland wie in Europa das Wiedererwachen der Religiosität zur Folge gehabt. Jung-Stilling schrieb in seinen Briefen und im "Grauen Mann" wiederholt über diese religiöse Erweckung, besonders betonte er, dass diese "Erweckung" alle Menschen und Schichten in Russland erfasst habe, vom Kaiser Alexander I. bis zur Bauernhütte.

Zar Alexander I. äußerte den Wunsch, Jung-Stilling persönlich kennenzulernen. Es traf sich günstig, denn im Zuge der Feldzüge der Befreiungskriege kam Alexander auch nach Heidelberg, Baden-Baden und Karlsruhe (Alexanders Frau Elisabeth Alexejewna war die Tochter des badischen Herrschers Karl Ludwig).

So kam es dann zu einem Treffen des Zaren mit Heinrich Jung-Stilling am 9. und 10. Juli 1814 in Bruchsal. Bei dieser Begegnung standen religiöse Fragen im Vordergrund.

Auf die Frage des Kaisers an Jung-Stilling, welche der christlichen Parteien er am meisten übereinstimmend glaube mit der reinen Christuslehre, bekannte er frei heraus, sein Gewissen erlaube ihm nicht, einen Vorzug einzuräumen, es komme, nicht auf die Form an, sondern auf den Menschen, wenn der Mensch nur gut sei, könne er in jeder christlichen Form gedeihen.

Auch nahm Jung-Stilling mit Zar, Zarin und dem Hof an einem orthodoxen Gottesdienst teil, lernte also den praktischen Kirchengebrauch der orthodoxen-griechischen Kirche lernen, der sich von dem protestanischen sehr unterscheidet und konnte nun von einem neuen Standpunkt aus über sie urteilen.

Seine Begegnung mit dem russischen Hof war für Jung-Stilling von hoher religiöser Bedeutung. Es war ihm gelungen, sich mit Menschen des orthodoxen Glaubens im "religiösen Herzensverein" zu fühlen und er hatte bei ihnen versucht, im Sinne seiner Ideen zu wirken.

"Ich habe nie mit Jemand gesprochen, der in allen Punkten vom kleinsten bis zum grösten so einstimmig mit mir denkt als der Kayser Alexander, er ist ein wahrer Christ, im strengsten Sinn; …. dann schlossen wir einen Bund zusammen, dem Herrn treu zu seyn bis in den Tod. Er küste mich, und ich ihn. Dann schieden wir von einander."

aus: Martin Brecht: Pietismus Und Neuzeit, Bande 18, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1992, S.132;

 

Für Jung-Stilling sah in diesem Ereignis schlaglichtartig die Hoffnung in Russland einen Hort der geistig-religiösen wie politischen Erlösung zu finden.

Seit der Französischen Revolution und ihren Folgen, den Kriegen und Nöten der napoleonischen Zeit hatte der Geist des Abfalls seinen Höhepunkt erreicht und für Jung-Stilling waren die Zeichen der Endzeit offensichtlich und der letzte Kampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen Christus und dem Antichrist angebrochen. Damit war zugleich die Wiederkunft Christi auf Erden und der Anfang seines tausendjährigen Friedensreiches nahegerückt.

Jung-Stilling sah es als seine ihm von der göttlichen Vorsehung übertragene Aufgabe an, die Menschen seiner Zeit auf diese Zeichen der apokalyptischen Endzeit hinzuweisen.

Die Drangsale der Zeit waren nach Jung-Stillings ausnahmslos als göttliche Gerichte zu deuten und als solche für die einen die letzte Gelegenheit, sich aufwecken zu lassen und für die anderen aber die Verführung einer letzten Prüfungs- und Versiegelungszeit.

Die übrigbleibende Gemeinde der Endzeit aber dürfe gewiss sein, dass für sie im Osten ein Zufluchts- und Bergungsort bereitet werde, an dem sie den Anbruch des tausendjährigen Friedensreiches ihres Herrn erleben sollte. Bis dahin, so mahnte Jung-Stilling, sollten alle treu an ihrem Ort und ihrem Beruf verbleiben.

 

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