Ignaz Lindls Wirken in Russland

(Teil 2 von 3)

Lindl in Odessa


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in Odessa hatte Lindl nicht den erhofften Erfolg und seine Bekeh-rungsversuche unter den deutschen Ko-lonisten katholischen Glaubens scheiterten.

Da er aus seiner evangelischen Über-zeugung keinen Hehl machte, misstrauten die Katholiken dem neuen Visitator und machten ihm große Schwierigkeiten. Er fand auch viel Widerspruch bei den in Odessa tätigen Mönchen, die meist italienischer Herkunft waren.

Odessa um 1850
Odessa um 1850

Mehrere Sonntage konnte er nicht predigen, weil man ihm die Kirche verschlossen hatte. In seiner Wohnung wurden zweimal die Fenster eingeworfen, was ein sicheres Zeichen für seine Unbeliebtheit war.

Rastatt im Beresaner Gebiet
Rastatt im Beresaner Gebiet

Da Lindl nicht mehr in Odessa bleiben konnte, wurde er am 9. August 1821 als Pfarrverweser in die katholische Gemeinde Rastatt im Beresaner Gebiet versetzt. Seine Antrittspredigt war dort noch in Ordnung, aber der zweite Gottesdienst missfiel den Leuten und nach der dritten Predigt, bei der er die Jungfräulichkeit Marias leugnete, zeigten ihn drei Siedler an. Ihm wurde jede weitere Amtshandlung verboten. Ein Mann drohte sogar, Lindl zu erschießen, wenn dieser sich anschicke, die Kanzel zu betreten. Da sich Lindl in Rastatt nicht halten konnte, ging er in die nahegelegene Kolonie München, die zur Pfarrei Rastatt gehörte.

katholische Kirche in Johannestal im Bezirk Beresan
katholische Kirche in Johannestal
im Bezirk Beresan

Dort hatten bereits mehrere Familien den katholischen Glauben aufgegeben. In einem Privathaus hielt Lindl seine Versammlungen ab, sprach vom kommenden Reich Gottes und gewann in kurzer Zeit 30 Familien als seine Anhänger. Er betreute auch die in der Nachbarschaft gelegenen lutherischen Siedlungen (Johannestal, Rohrbach, Waterloo, Worms). In einigen Orten war man ihm allerdings nicht gut gesonnen, die Leute bewaffneten sich mit Sensen und Gabeln und versperrten Lindl den Zugang zu den Siedlungen.

Es ging so weit, dass die Regierung für seine Person Schutzbefehle erlassen musste und ab diesem Moment predigte er ungestört.

bei Odessa
bei Odessa

Lindl musste aber einsehen, dass seine Bekehrungsversuche unter den katholischen Siedlern nicht besonders erfolgreich waren und verfolgte mit um so größerem Eifer die Gründung einer "wahrhaft christlich-apostolischen Gemeine Gottes" nach Art der Herrnhuter Brüdergemeine1, und hoffte, dass ihm binnen kürzester Zeit die große Schar seiner Anhänger aus Bayern und Württemberg ins "gelobte Land" folgen wollten.


Auswanderer aus dem Oberamt Heidenheim

Am 17. Juli 1820 veröffentlichte das Oberamt Heidenheim im Königlich-Württembergische Staats- und Regierungsblatt auf S. 264 eine Liste der damaligen Auswanderungs-willigen.

674 seiner katholischen bayerischen Anhänger und 141 der evangelischen württembergischen Nachbarn wollten ihrem verehrten Prediger nachfolgen und mit ihm in einer Kolonie leben.

Weil die bayerischen Auswan-derungswilligen aber offensichtlich von ihrer Regierung behindert wurden, waren es dann nur 87 pietistische Anhänger (in anderen Quellen 74) aus dem Württem-bergischen, die am 11. August 1820 (in anderen Quellen am 30. August 1820)als erste dem Ruf Lindls folgen sollten.

 

Lindl wurde also für sein Vorhaben ein Landgut bei Ovidiopol, Otschakiw, zugesagt, wo er eine Kolonie mit Kirche und Predigerseminar errichten wollte.

Das Projekt kam aber aus verschiedenen Gründen nicht zur Ausführung.

Lindls anfeuernde Sendschreiben zur Auswanderung und die Privilegien1 haben unter seinen Anhängern in der alten Heimat eine Art Volksbewegung verursacht. Die Losung hieß "Auf nach Rußland!".

Eine rege Werbetätigkeit setzte ein. Organisiert wurde die bevorstehende Massenauswanderung durch den wohlhabenden Kaufmann Christian Friedrich Werner (1759-1823) in Giengen, der vom Buchbinder Jakob Maier aus Lauingen sehr unterstützt wurde, und Christoph Friedrich Ploucquet (1781-1844) in Heidenheim, in deren Häusern sich Lindls Anhänger zu Erbauungsstunden (Collegia Pietatis) trafen.

die Auswanderer verabschieden sich von Freunden und Verwandten
der Abschied der Auswanderer

 

Das Königreich Württemberg2 machte den Auswanderungswilligen keine Schwierigkeiten, da die Land-ständische3 Verfassung von 1815 seinen Untertanen Auswanderungsfreiheit gewährte, während das Königreich Bayern mit allen Mitteln versuchte, seine Untertanen von der Aus-wanderung abzuhalten4.

 

 

 

 

 

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1 Ernst Staehelin: Die Christentumsgesellschaft in der Zeit von der Erweckung bis zur Gegenwart. Texte aus Briefen, Protokollen und Publikationen (Theologische Zeitschrift/Sonderband; 4). Reinhardt, Basel 1974, S. 384f.; 2 Auswanderungsbedingungen in Württemberg = Wenn jemand mit offizieller Erlaubnis aus dem Königreich Württemberg auswandern wollte, musste gewährleistet sein, dass sämtliche Schulden bei den Gläubigern abbezahlt waren. Deshalb musste er entweder eine gewisse Frist abwarten oder einen Bürgen stellen.
Die Erlaubnis zur Auswanderung wurde in den Jahren 1816 bis 1820 im "Königlich-Württembergischen Staats- und Regierungsblatt" veröffentlicht. Wenn die auswanderungswillige Person keinen Bürgen stellen konnte, enthielt das "Staats und Regierungsblatt" bis zu drei Aufrufe an eventuelle Gläubiger, ihre Forderungen anzumelden. Ansonsten konnte sich der Gläubiger an den Bürgen wenden.
Sämtliche staatlichen Behörden bezogen das "Staats- und Regierungsblatt" und ließen die Ausgaben jährlich zum Buch binden. Bereits 1820 erschienen die Auswanderungsanzeigen nicht mehr im "Staats- und Regierungsblatt" selbst, sondern in einer eigenen Beilage, dem "Intelligenzblatt". Nach 1820 wurde dieses "Intelligenzblatt" den "Regierungsblättern" nicht mehr beigebunden.
Mit der Genehmigung zur Auswanderung konnte der Auswanderungswillige sein Bürgerrecht in Württemberg aufgeben und das Land verlassen. Selbstverständlich gab es auch Fälle, in denen Menschen ohne Genehmigung auswanderten. Diese Personen sind in den "Staats- und Regierungsblättern" nicht erfasst.
In einer für das 19. Jahrhundert typischen Weise wurde bei Familien nur der Name des Mannes als Haushaltsvorstand erfasst.

3 landständisch = den Landständen gehörig; ein Stand (Gesellschaftsklasse) eines Landes oder einer Provinz, der das Recht hat, auf Landtagen (Versammlung der Landständ) zu erscheinen und daselbst über Landesangelegenheiten zu stimmen.

4 Die "Verführung" der Staatsuntertanen zur Auswanderung galt nach dem Bayerischen Strafgesetzbuch als Staatsverbrechen und aufgegriffenen Werbern drohte ab 1815 anstatt der sofortigen Hinrichtung, immerhin noch eine zwei- bis acht-jährige Freiheitsstrafe geahndet werden.
Die Bundesakte des Deutschen Bundes vom 8. Juni 1815 gewährte jedem Untertanen, so auch dem im Königreich Bayern explizit das Recht zur Auswanderung, sofern der Auswanderung nicht genau ausgeführte Gründe entgegenstanden, wie nicht abgegoltener Militärdienst oder Personen, die in Gerichtsverfahren verwickelt oder verurteilt waren.
Jede Auswanderung bedurfte der ausdrücklichen Genehmigung durch die Regierung und wurde nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Es war nicht ungewöhnlich, dass die Erlaubnis erst Jahre nach der erfolgten Auswanderung erteilt wurde. Auswanderer, die ihre Heimat ohne Erlaubnis verlassen hatten, durften nie wieder nach Bayern zurückkehren und es wurde immer wieder angedroht, dass bei Verstoß gegen das Auswanderungsverbot die zurückgelassenen Güter vom Staat konfisziert werden konnten.
Von den Auswanderungswilligen wurde gemäß der Verordnungen seitens der bayerischen Behörden unter anderem folgendes verlangt: eine gutachterliche Stellungnahme der Gemeinde zum Auswanderungsgesuch, Taufschein (zwecks Nachweis des Alters), Nachweis über den Familienstand, Nachweis über die Zahl der Kinder, deren Geschlecht und Alter, Bestätigung über die Aufnahme und Ansässigmachung des Auswanderungswilligen im Auswanderungszielland, Vertrag über den Transport ins Auswanderungszielland, Nachweis der Vermögensumstände des Auswanderungswilligen und des durch die Auswanderung zu exportierenden Vermögens, Bezahlung der Nachsteuer in der Höhe von üblicherweise 10% des zu exportierenden Vermögens, Ärarzeugnis (Bestätigung, dass sämtliche Schulden beglichen wurden), Kreishilfskassenzeugnis (Nachweis, dass keine unterstützungsbedürftigen Verwandten zurückbleiben, die der Allgemeinheit finanziell zur Last fallen würden), Bestätigung, dass keine gerichtliche Untersuchung besteht, bei Auswanderungswilligen männlichen Geschlechts im Alter von 16 bis 36 Jahren der Nachweis, die Militärpflicht bereits abgeleistet zu haben, Bezahlung der Redimierungs-, später Reluitionssumme für Auswanderer männlichen Geschlechts, die noch nicht das Militärpflichtalter erreicht hatten (es musste die Summe von 180 Gulden hinterlegt werden, die der Auswanderer zurückerhielt, wenn er später entweder der Einberufung in die bayerische Armee Folge leistete oder von der Ableistung der Militärpflicht befreit wurde), Bezahlung von 5 Gulden in die Militärwitwenkasse, Nachweis der Veröffentlichung des Auswanderungsgesuchs.