Johannes Bonekemper, der Vater der Stundisten1

Nümbrecht
Nümbrecht

johannes Bonekemper (auch: Bonekämper) wurde am 6. Juli 1795 in Niederbreunfeld im heutigen Nümbrecht im südlichen Nordrhein-West-falen, in einer armen Bauernfamilie geboren.

Seine Eltern waren Wilhelm Bonekämper und Wilhel-mine Fröhling. Bone-kempers Taufe erfolgte am 12. Juli 1796 in der evangelisch-reformierten Kirche2 zu Nümbrecht durch Pastor Johann Friedrich Henrich Hengstenberg.


Johannes Bonekemper
Johannes Bonekemper 1824

Bonekemper war das zweite von fünf Kindern [Jakob (geb. ca. 1793), Johann Heinrich (geb. ca. 1797), Caspar (geb. 1802) und Wilhelmine (geb. ca. 1799)]. Im Alter von sieben Jahren verlor er seine Mutter (1802) und fünf Jahre darauf, am 12. März 1807, auch seinen Vater. Seine Schulbildung war dürftig, da er nur zwei Monate im Jahr die Schule besuchen durfte und sich auf Lesen und Schreiben be-schränkte. Nach dem Tod seines Vaters war es ganz aus mit der Schullehre. Er kam zu Pflegeeltern, wo er sich als Dienstbote Brot und Kleidung verdienen musste.

Bonekemper wuchs ohne innere Bindung an den christlichen Glauben auf. 1804, im Alter von 14 Jahren wurde er konfirmiert, was bei ihm jedoch nicht den geringsten Eindruck hinterließ. Mit 16 verließ er seine Heimat und ging nach Elberfeld (heute ein Stadtteil von Wuppertal), um das Schmiedehandwerk zu erlernen.

Eberfeld um 1845
Eberfeld um 1845

Die Frau seines Meisters war eine christlich gesinnte Frau, gegen die er anfangs eine ab-lehnende Haltung hatte und bezeichnete sie eine 'feine Ketzerin', welche unser Herr als Werkzeug an meiner unsterblichen Seele ge-brauchen will". In einem Gespräch, das er und einige andere Gesellen mit dieser Meistersfrau hatten, erklärte diese ihm anhand von Johannes 19, dass Jesus in diese Welt gekommen sei, um Sünder zu erretten. Sie sprach von Buße und Bekehrung, und dass der Mensch wiedergeboren sein müsse, wenn er Glied des Volkes Gottes sein wolle. Bonekemper schreibt darüber wörtlich: „Das erste Mal, dass mir Jesus Christus als der Sohn Gottes bekanntgemacht wurde.“ Diese Frau wurde für ihn Wegweiserin zu Jesus Christus. Er bekehrte sich und wurde ein bewusster Christ. Die Folgen blieben nicht aus und die Veränderung wurde offenbar. Er setzte sich von seinen 'gottlosen' Freunden ab und besuchte regelmäßig die Gottesdienste.

Bibelstunde
Bibelstunde

Allmählich kam in ihm der Wunsch auf, in seine Heimatstadt Nümbrecht zurück-zukehren und hier die frohe Botschaft von Jesus zu bezeugen.

Als er dann um 1816 zurückkehrte, waren die Leute zuerst sehr aufgeschlossen gegenüber dem, was er zu sagen hatte. Bald aber wendete sich das Blatt und die Bewohner entfernten sich von ihm. Sie sagten: „Der will eine Secte stiften, denn was er sagt, haben wir noch nie von unserem Pastor gehört.“ Bonekemper erklärte: „Ich weiß nichts Neues, sondern nur das, was Gott durch Moses, die Propheten und zuletzt durch seinen Sohn geredet.

Damals hatten sich einige 'Stille'3 mit Bonekemper in der Nähe von Breunfeld versammelt. Es entstand eine kleine Gemeinschaft, die christliches Leben zu verwirklichen versuchte; von einer Erweckung4 kann aber nicht gesprochen werden.

Karl August Döring
Karl August Döring

Seine Militärzeit verbrachte Bonekemper als Soldat bei den preußischen Okkupationstruppen in Frankreich von 1817-1820. Danach ging er zurück nach Elberfeld, wo er sich dem Jünglingsverein5 des Pastors der evang.-lutherischen Gemeinde zu Elberfeld, Karl August Döring6, anschloss.

Hier hörte er von den deutschen Ansiedlungen in Südrussland und vom katholischen Priester Ignaz Lindl, Vertreter der Allgäuer Erweckungsbewegung. Dieser hatte sich an den Kaufmann Christian Friedrich Werner in Giengen an der Brenz gewandt, er möge ihm christliche junge Männer schicken, die durch wahre Buße und lebendigen Glauben Christus liebgewonnen hatten; er wolle sich ihrer annehmen und sie selbst unterrichten, dass sie ihm behilflich sein konnten.

Viele Menschen aus Südwestdeutschland hörten in jener Zeit den Ruf des Zaren Alexander I., Gebiete seines Riesenreiches zu besiedeln. Unter ihnen waren eine große Anzahl von Mitgliedern der pietistisch-chiliastischen Erweckungsbewegung, die für den 18. Juni 1836 die Wiederkunft Christi von Osten her erwarteten.

mehr zur Berechnung der Endzeit klicke hier
Robert A. Pinkerton
Robert A. Pinkerton

Von 1815 bis 1857 wurden allein am Schwarzen Meer rund 10.000 Familien angesiedelt. Um 1911 zählte man zirka 540.000 deutsche Kolonisten in diesem Gebiet.

Seit der Gründung litten die protestantischen Kolonien Südrusslands stets unter einem Mangel an Pastoren und befürchteten dort unten am Schwarzen Meere, inmitten so vieler fremder Nationen, Volkstum samt Glauben zu verlieren.

Joseph Ehret: Die Anfänge der Basler Mission in Russland : 1820-1825 in Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, Band 50, 1951, S. 116;

Auf Anregung des Superintendenten für Südrussland Carl August Böttiger und Robert Pinkerton, eines Vertreters der englischen Bibelgesellschaft, erklärte sich die von Christian Friedrich Spittler gegründete Evangelische Missionsgesellschaft in Basel7 (kurz: Basler Mission) im Oktober 1821 bereit, Pastoren für die vakanten Stellen nach Neurussland und Bessarabien zu schicken, die in der Zeit von 1822 bis 1827 eintrafen. Die Berufung der Basler Missionare entsprach der damals in St. Petersburg vorherrschenden Neigung zu einer Union aller evangelischen Kirchen.

Bonekemper deutete dies als Wink für die Zukunft und war entschlossen, dem Ruf zu folgen. Dazu bewarb er sich bei der Basler Mission. Vor der Aufnahme ins Missionsseminar schickte man ihn noch ein Vierteljahr in Pestalozzis Lehranstalt, um seine Eignung zu prüfen.

Am 28. Oktober 1821 wurde Bonekemper im Missionsseminar in Basel, aufgenommen, wo seine theologische Haltung im Sinne der pietistischen Erweckungsbewegung geprägt wurde. Nach dreijähriger Ausbildung wurde er am 28. März 1824 in Lörrach ordiniert und trat am Tag darauf die Reise nach Odessa an. Dort wurde ihm durch Superintendent Karl August Böttiger aus Odessa der Pfarrdienst im evangelisch-reformierten Kirchspiel Rohrbach8 im Beresaner Bezirk übertragen.

zur Vergrößerung auf das Bild klicken
Kolonien in Südrussland um 1890

Kolonien in Südrussland um 1890

 

 

zurück 1 weiter

1 Stundisten = Anhänger einer um 1830 in der deutsch-reformierten Gemeinde Rohrbach (Gebiet Odessa, Cherson, Ukraine) entstandenen freikirchlichen protestantischen Gemeinschaft, benannt nach den der Erweckung dienenden Erbauungsstunden (einfach 'Stunden' genannt, im Sinne von Betstunde) des Pfarrers Johannes Bonekempers (*1796, +1857, Pastor in Rohrbach von 1824-1848), aus denen sich eine Bewegung entwickelte, die durch biblizistischen Pietismus, Betonung der persönlichen Bekehrung, Ablehnung kirchlicher Ämter und ethischen Rigorismus gekennzeichnet war und die trotz Verfolgung in Südrußland auf etwa 2 Millionen anwuchs.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts verschmolz sie mehr und mehr mit der evangelisch-baptistischen Bewegung in Russland und wurde bis zum Toleranzedikt 1905 von der Regierung verfolgt. 1909 wurde unter Leitung von Iwan Prochanow (*1869, +1935) der 'Bund russischer Evangeliumschristen' in Sankt Petersburg gegründet, der sich 1944 mit den Baptisten vereinigte.

2 evangelisch-reformierte Kirche: auf die Reformation Ulrich Zwinglis und Johannes Calvins (Calvinismus) zurückgehende Kirchengemeinschaften, die hauptsächlich in der Schweiz, in Schottland, in einigen Teilen Deutschlands, in Frankreich, in Ungarn und den USA (Presbyterianer) verbreitet ist.

3 Mit den Stillen waren Pietisten gemeint, die der Obrigkeit keine Schwierigkeiten bereiteten und sich in aller 'Stille' z.B. am Sonntag nach dem Gemeindegottesdienst außerhalb noch einmal separat in kleineren Gruppen (Collegia Pietatis, Konventikeln, Bibelstunden, einfach 'Stunden' genannt) sammelten, um die Predigt des Pfarrers noch einmal zu besprechen, in aller Stille miteinander die Bibel oder christliche Erbauungsbücher zu lesen, zu beten und zu singen.
Es handelte sich, wie man heute sagen würde, um eine 'Hauskreisbewegung', wobei die Pietisten sich nicht von der Kirche trennten, sondern als 'Kirchlein in der Kirche' (ecclesiola in ecclesia) existierten, als Kernzelle einer zu erneuernden Kirche, von der aus segensreiche missionarische Ausstrahlungen (praxis pietatis) auf Kirche und Gesellschaft ausgehen sollten.

4 Erweckung = im religiösen Sprachgebrauch das spontane Erlebnis des Gewahrwerdens einer religiösen Orientierung und Motivation des gesamten eigenen Lebens (auch: Bekehrung). Durch methodische Organisation der Erweckung entstand im 18./19. Jahrhundert eine inner-protestantische Erneuerungsbewegung (Erweckungsbewegung), deren gemeinsames Element die Besinnung auf den biblischen Offenbarungsglauben und die spirituelle Opposition gegen den Rationalismus der Aufklärung ist.
In der Mystik, einer beseonderen Form der Religiosität, bei der der Mensch durch Hingabe und Versenkung zu persönlicher Vereinigung mit Gott zu gelangen sucht, bedeutet Erweckung ein plötzlich vernommener Anruf zur völligen Hingabe an Gott.

5 Jünglingsvereine wurden Anfang des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts in vielen Orten Deutschlands gegründet. Diese Vereine entstanden im Zusammenhang mit der evangelischen Erweckungsbewegung und dienten ledigen jungen Männern, besonders des Arbeiter-, Handwerker- und Kaufmannsstandes, einen geselligen Mittelpunkt zu schaffen, wo sie Unterhaltung, Erbauung und Belehrung fanden. 'unsittlicher' und 'antichristlicher' Einwirkung entgehen sollten. Unter Leitung von Geistlichen dienten sie der Abwehr 'unsittlicher' und 'antichristlicher' Einwirkungen.
Der erste derartige Verein ("Gemeinschaft der ledigen Brüder") entstand 1768 in Basel, begründet vom dortigen Pfarrer Meyenrock; 1816 folgte seinem Vorbild der Verein des Pastors Karl August Döring in Elberfeld.

6 Karl August Döring (*22. Januar 1783 zu Mark Alvensleben bei Magdeburg, †17. Januar 1844 in Elberfeld) war ein evangelischer Theologe, geistlicher Liederdichter, Erbauungsschriftsteller und Vorläufer der 'inneren Mission'.
Er studierte von 1801–1804 in Halle Theologie, wurde 1808 Lehrer in Kloster Berge bei Magdeburg, 1814 Prediger an St. Petri in Magdeburg, 1815 Archidiakonus in Eisleben, 1816 Prediger in Elberfeld, wo er auch starb.
Seine Bekehrung erlebte er 1808 unter dem Einfluss pietistischer Kreise als er an der Schule des Klosters Berge bei Magdeburg lehrte. Von 1816 bis zu seinem Tod im Jahr 1844 war er Pastor der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Elberfeld.

7 Die Evangelische Missionsgesellschaft (kurz: Basler Mission), eine ökumenische missionarische Organisation, die 1815, im Jahr der Neuordnung Europas, als Tochtergesellschaft der Deutschen Christentumsgesellschaft von Christian Friedrich Spittler und Nikolaus von Brunn in Basel von frommen Christen aus Südbaden, Württemberg und der Deutschen Schweiz gegründet wurde. Sie wurzelt im Pietismus, einer Frömmigkeitsbewegung mit prägendem Einfluss in Süddeutschland und weiten Teilen der deutschen Schweiz. Ab 1816 wurden in Basel Seminaristen aufgenommen, die ab 1820 als Missionare tätig waren.

8 In Neurussland tauchten die ersten Reformierten zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Kolonien Worms, Rohrbach und Neudorf im Gouvernement Cherson auf und bilden von Anfang an gemeinsame Gemeinden mit den Lutheranern. Als dann aber 1848 der lutherische Pastor Theodor Anton Neander, in das Kirchspiel Glückstal kam, der seine Ausbildung in Dorpat genossen hatte und den Reformierten in den Schulen den Heidelberger Katechismus verbot, gingen die Gemeindeglieder zueinander auf Distanz, was schließlich 1861 zur Gründung der selbstständigen reformierten Kirchspiele Neudorf und Worms-Rohrbach führte.
In den Kolonien, in denen es nur wenige Reformierte gab, wurden ihre Gemeinden, da sie keine eigenen Priester hatten, von lutherischen Pastoren betreut. Ende des 19.  Jahrhunderts gingen daher ihre traditionellen calvinistischen Grundlagen verloren und sie verschmolzen mit den Lutheranern. Anlässlich des 300. Jahrestages der Reformation im Jahre 1817 gaben viele europäische Monarchen Erlasse zur Vereinigung der zersplitterten protestantischen Kirche heraus, indem sie die Bezeichnungen „lutherisch“ und „reformiert“ im offiziellen Sprachgebrauch verboten und sie durch den gemeinsamen Namen „evangelische Kirche“ ersetzten. In Russland wurde der erste Zusammenschluss in Archangelsk durch die Gründung einer vereinten evan- gelischen Gemeinde vollzogen. Ungeachtet des Protests von lutherischen und reformierten Theologen, wurden 1819 Lutheraner und Reformierte des ganzen Reiches per Erlass Alexanders I. zur vereinten evangelisch-lutherischen Kirche zusammengeschlossen.
Ende des 19.  Jahrhunderts waren 3,57 % der Russland- deutschen Reformierte. 1900 lebten in St.  Petersburg 3 500 deutsche Reformierte und in Moskau 1.900. Anfang des 20.  Jahrhunderts gab es, ohne die mit den Luthera- nern zusammengeschlossenen Wolga-Kirchspiele Norka, Messer und Balzer, sieben große reformierte Kirchspiele: in Moskau, St.  Petersburg, Archangelsk und Odessa, in den Kolonien Schabo (Schweizer) und Neudorf sowie in dem zusammengeschlossenen Kirchspiel Worms-Johannestal-Waterloo-Rohrbach. Reformierte lebten auch in Turkestan, am Kaspischen Meer und in anderen Regionen des Reiches.